AGENT STEEL – No Other Godz Before Me
~ 2021 (Dissonance) – Stil: Speed Metal ~
22.04.2021
Prolog:
Sie traten auf ihrem in fest definierten Zeitzyklen wiederkehrenden Erkundungsflug in die Stratosphäre ein und durchstreiften ungläubig die Troposphäre, auch wenn man ihnen eingeschärft hatte, für die niederen Lebensformen dieses seltsamen Planeten unsichtbar zu bleiben.
Doch sie mussten es mit eigenen Facettenaugen sehen, denn sie mochten es nicht glauben, was ihnen ihre diversen Scanner anzeigten: Die zweibeinige, am höchsten entwickelte Lebensform verhielt sich immer noch so unglaublich dämlich wie die ganzen vergangenen Jahrtausende, seit ihre Ahnen – vielleicht zu voreilig – ihre pyramidenförmigen Botschaften errichtet hatten.
Unfassbar enttäuscht drehten sie ab, gaben die Koordinaten ihrer 144000 Lichtjahre entfernten Heimatwelt Afron-V in den Navicomputer ein und legten zum Trost die neueste Silberscheibe ihres einzigen irdischen Freundes Cyriis auf den Hoverlaser – warum die Erdbewohner ihn Johnny nannten, würde ihnen immer ein Rätsel bleiben.
Wild bangend verglühten sie in einer unerwarteten Sonneneruption, doch hatten sie in der letzten Sekunde ihres Daseins ein ekstatisches Lächeln und Tränen der Freude um ihre purpurnen Rüssel…
„Times I’ve had, good and bad – win or lose, this is what I choose.“ (OVERKILL – ´The Years Of Decay´ – 1989)
Tja, wie eröffnet man es nun, dieses Logbuch? Vielleicht mit „Erwartungen“. Erwartungen können ein böses OMEN sein. Was erwartet man nach 34 Jahren von dem einstigen EXXPLORER von Zeit, Raum, irren Screams und Speedmetal? Was bewerkstelligt der letzte wiederkehrende WARRIOR einer legendären Band, die ohne ihn in nahezu stabiler Besetzung seit ´Omega Conspiracy´ von 1999 unter dem Namen AGENT STEEL drei starke Scheiben veröffentlicht hat, danach zu den MASTERS OF METAL wurden und von denen nun doch keiner zu den anderen „Godz“ zählt?
Würde es ein schmerzliches Wiederhören werden, wie bei den oben reingeschmuggelten drei Kultcombos, die mir die besten und schlechtesten Momente meines Lebens beschert hatten (zum Teil im Studio, zum Teil live)? Oder gibt es Anlass zur Freude über ein Comeback wie es nach verschieden langer Abstinenz nur zum Beispiel CIRITH UNGOL, PSYCHOTIC WALTZ, THE DAMNED oder TYRANT hingelegt hatten? Da hilft nur hören, denn – Erwartungen hin, Erwartungen her – heiß bin ich schon irgendwie trotz allem, was da in den letzten Jahren im und um’s All herum so passiert ist.
Und ich bin tatsächlich angenehm überrascht. Zunächst einmal: Man benötigt eine Band, wenn man nicht gerade Multiinstrumentalist ist. Da (wie scheinbar momentan überall auf dem Planeten Erde) die Fronten ziemlich verhärtet sind – zwischen Musikern als auch Fans mittlerweile – musste eine komplett neue Mannschaft ran. Gleich vorweg: Das Gitarrenduo Nikolay Atanasov & Vinicius Carvalho und die Rhythmusgruppe Shuichi Oni (Bass – war auch bei STELLAR SEED und S.E.T.I. mit Captain Cyriis an Bord) & Rasmus Kjær (Drums) erweisen sich als perfekte Wahl.
Während die bisherigen AGENT STEEL und späteren MASTERS OF METAL zwischen US Metal und melodischem Powerthrash angesiedelt waren, zelebriert Mr. Cyriis mit seinen neuen Mannen eins zu eins den wilden Speed Metal des Debüts ´Skeptics Apocalypse´ – aber für mich persönlich kein Vergleich mit der weitaus abwechslungsreicheren ´Unstoppable Force´ – besonders das Gitarrenduo legt hier eine dermaßen true oldschool-Performance hin, dass es fast außerirdisch anmutet.
Es ist auf apokalyptische Weise alles da, was der Skeptiker nicht für möglich hielt: Die neue Mannschaft liefert exzellentes Hyperspeed-Shredding, wartet absolut fachmännisch den donnernden Warpkern und dazu ein alter Captain, der seine Befehle nahezu ebenso wahnwitzig über die Kommandobrücke erschallen lässt, wie auf den ersten beiden Kessel-Flügen. Das alles mit einer „Unstoppable Force“ auf den Tonträger gelasert, dass eigentlich keine Wünsche offen bleiben.
Und doch finden bei all’ dem durch stimmiges In- und Outro umrahmten Dauerfeuer-Wahnsinn fantastische Gitarrenmelodien und Soli Einzug in die Songs, zieht euch nur mal die CRIMSON GLORY-Gitarren vor Minute 3 von ´Sonata Cósmica´ rein. Cyriis bemüht sich nicht um irgendwelche catchy Refrains, er tut eben das, was er schon vom Anfang der Zeiten an getan hat: Highpitched gedoppelte Kauzgesangslinien und Spiele mit Hall in seinem eigenen Strophenrhythmus, die in den übertriebenen Höhen schon immer ein wenig weh getan haben und es auch müssen, wenn man mal ehrlich zu sich selbst ist. Nur weil es heutzutage Kult ist, gibt es dennoch Fans jeglicher Altersgruppen, denen die alten Klassiker gerade des Gesanges wegen nicht abgehen und ebenso eine große Schar derer, für die eben dieses Comeback der einzig wahre AGENT STEEL-Genuss nach 1987 darstellen wird.
Sound? Echt jetzt? Wann habt ihr das letzte Mal die ersten beiden Scheiben auf eurer aktuellen Anlage gehört? Ha! Mal ehrlich: Eine fettere, modernere Produktion hätte geheißen, den rasenden Falken durch die Waschstraße zu schieben, ihn innen von einem Designer-Ehepaar pimpen zu lassen und jegliches illegale Tuning vorm TÜV-Termin zu entfernen. Da hätte die gesamte erste Order „zu modern! zu modern!“ gejohlt. Was da in der technischen Medizin-Bay eventuell an Knöpfchen gedreht und an Substanzen zusammengemischt wurde, ist mir diesmal so egal, wie wenn eine Schraube in den Schlund des Sarlacc fällt. Das Ergebnis stimmt einfach. Das Einzige, was mir hier fehlt, sind mystische Atmosphären, die ´Chosen To Stay´, ´Still Searching´ und der ´Traveler´ inklusive massiver Gänsehaut hervorgerufen hatten.
Es dürfte wohl auch klar sein, dass aufgrund der paar Jahrzehnte an Erfahrung beim Best-Age-Banger kein Titel mehr so kultig in den Hirnkasten einschlägt und sich dort einnistet wie anno dazumal die ´Agents Of Steel´ und man heutzutage einen Slogan wie „Masters Of Metal“ nie wieder derart ekstatisch durch Raum und Zeit schmettern wird, aber ´No Other Godz Before Me´ ist trotz aller Klasse der drei Cyriis-losen Scheiben (als auch den „Metalmeistern“) der direkte Nachfolger von ´Skeptics Apocalypse´. ´Unstoppable Force´ bleibt für mich weiterhin das unübertreffliche, unantastbare, abwechslungsreiche Meisterwerk und somit reden wir hier zumindest von den traditionellsten AGENT STEEL, die man in diesem Universum, in diesem Raum-Zeit-Kontinuum bekommen kann. Dann braucht’s auch keine sensationellen, übermenschlichen Kunststücke oder neue Klassiker, denn die gibt’s eh nicht mehr.
Also – von meiner Seite aus: Mission geglückt. Und jetzt beam’ ich mich weg.
Less Leßmeister
11.06.2021
Das Ufo landet tatsächlich – ganz offiziell. John Cyriis ist an Bord – ganz offiziell. Die Öffentlichkeit wird ohnehin in den nächsten Monaten aufgeklärter sein, wenn US-amerikanische Geheimdienste und Pentagon offenbaren, was sie über unerklärliche Erscheinungen am Horizont wissen: »Es gibt viel mehr Sichtungen als bisher öffentlich bekannt.«
AGENT STEEL sind zumindest wieder auf dem blauen Planeten gelandet. AGENT STEEL sind aktuell John Cyriis. John Cyriis ist AGENT STEEL. Und wir haben dabei mit Argusaugen die Klassiker ´Skeptics Apocalypse´ (1985) und ´Unstoppable Force´ (1987) ganz genau im Blick.
Besitzt also John Cyriis die Namensrechte? Wer waren die falschen Kaiser und Könige, die die drei Alben ´Omega Conspiracy´, ´Order Of The Illuminati´ und ´Alienigma´ unter dem Namen AGENT STEEL dem Universum lieferten? Zumindest waren es Original-Gitarrist Juan Garcia und Bernie Versailles, die mit Sänger Bruce Hall neue Welten erforschten.
Ein Auge schaute dabei aber immer gen Himmel und wartete auf die Rückkehr von Sänger John Cyriis, der wohl einst als João Campos in Brasilien – oder doch auf “Afron-V”? – geboren wurde, der jedoch auch unter dem Namen John Camps oder als John Syriis (bei ABBATOIR), als Father Damien, Max Kobol sowie Max A. Havlock auf Erden wanderte. Dennoch ist er nach dem unergiebigen Projekt S.E.T.I. wieder zum Bandnamen AGENT STEEL zurückgekehrt, hat sich mehrfach um eine neue Begleitmannschaft gekümmert, damit die UFOs in allen Teilen der Erde und des Universums landen können.
Somit steigen wir nach fast 35 Jahren abermals mit AGENT STEEL und John Cyriis tiefer in die bald Realität werdende Science-Fiction-Thematik ein als es Fox Mulder und Dana Scully jemals konnten. Die Wahrheit ist irgendwo da draußen. Grenzen werden überschritten. John Cyriis lotet sie aus. Wir fliegen durchs All. Wir durchqueren Galaxien.
John Cyriis singt wieder derart extrem, dass seine Höhenlagen bisweilen einem Helium-Quietschen nahe kommen. Dennoch bleiben seine gesanglichen Aussagen bei guten Ohren immer verständlich. That’s Metal. Intergalaktische Klänge auf Erden, aus dem Studio-Afrons: extremer Gesang, kein Röcheln, niemals, wunderbar schrille und hohe Tonlagen. Grenzen überschreiten und polarisieren. Love it or hate it. Niemand muss sich auf Erden ein gequältes Lächeln abringen.
Selbst wenn eine gewisse Nostalgie mitschwingt, sollten Vergleiche mit ´Skeptics Apocalypse´ und ´Unstoppable Force´ unterbleiben. Das neue Gitarrengespann – der Bulgare Nikolay Atanasov (PROPHECY) und der Brasilianer Vinicius Carvalho (A RED NIGHTMARE) – ist selbstverständlich ein erlesenes Shredding-Duo, besitzt aber dennoch nicht das Blut der US-metallischen Saitenschwinger Kurt Colfelt, Juan Garcia und Bernie Versailles. In dieser Hinsicht sind wir bei der UFO-Sichtung 2021 nicht ganz im frühen Speed Metal von AGENT STEEL, aber natürlich im wahnsinnig old schooligen, klassischen Speed Metal der Achtzigerjahre angelangt. John Cyriis und seinen Mitreisenden, auch dem japanischen Bassisten Shuichi Oni (Ex-S.E.T.I.) und dem dänischen Schlagzeuger Rasmus Kjær (DISINTEGRATED, IMPALERS), sei Dank.
Den intergalaktischen Rahmen, das Alpha und das Omega, bilden das Wurmloch ´Passage To Afron-V´ und der Fortsatz ´Entrance To Afron-V´. Ein heftiges Gewitter, klassisch-metallische Gitarrenläufe entführen uns wohlgestaltet in das aktualisierte Universum von AGENT STEEL.
´Crypts Of Galactic Damnation´ thrasht zur Begrüßung eigentlich nur permanent zu den Worten “Ladies and gentlemen, welcome to the show!” durch die Galaxie. Mit ´No Other Godz Before Me´ geht es erst richtig los: “No Godz, no Goddesses, no falling to my knees, to worship you (no way), your cities full of crime and greed.” – langgezogene Schreie, ein zum Kopfschütteln unablässiger Rhythmus und Steigerungen im Songaufbau. That’s Hysterie im Dauerlauf. Dazu wird im klassischen Speed Metal-Stil gesungen als sänge man mit seinem zweiten Ich. ´Trespasser´ holt dazu im Refrain die klassischen Thrash-(Background-)Shouts hinzu.
Beinahe herkömmlicher US Metal mit dem Anflug von QUEENSRYCHE ist ´Veterans Of Disaster´. Äußerst gradlinig sucht das Raumschiff auch mit ´The Devil’s Greatest Trick´ seine weitere Reiseroute auf schwermetallenen Bahnen. John Cyriis nähert sich sogar gesanglich King Diamond und im anfangs portugiesisch gesungenen, schön die Töne lang gezogenen ´Sonata Cósmica´ den frühen Tagen von Hansens Kai. Überraschenderweise wird ´The Incident´ etwas später durchgehend portugiesisch vorgetragen. Bevor wir den Wurmfortsatz jedoch endgültig verlassen, bricht die völlige Ekstase durch ´Outer Space Connection´ aus: “You against them, you´re against you, you against all, all against me, me against all, all against all, you against me, me against you.”
Origineller als AGENT STEEL schießen andere Speed Metal-Combos in diesen Tagen auch nicht durch die Stratosphäre, aber niemand hat einen John Cyriis auf der Brücke. Obwohl die Produktion ihre Knöpfchen nicht in die Gegenwart teleportiert hat, reichen sie in diesem Moment für ihre Zwecke aus. Schließlich nimmt die Metal-Gemeinde im Übrigen auch jede Gelegenheit wahr, mit einem DeLorean Vorwärts in die Vergangenheit zu reisen. Live long and prosper, Johann.
(8,5 Punkte)
Michael Haifl
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und noch eine – freie Galaxien, freie Auswahl:
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