BESTIALIS – Ritus (EP)
~ 2020 (Vendetta Records) – Stil: Beyond Black Metal ~
Also ich als Frau fand Ishtar ja schon immer ziemlich cool. Sie ist eine extrem selbstbewusste, temperamentvolle und sinnliche Göttin der Sexualität und des Todes, und steht einzig mit Kali auf einer Stufe. Das kann mann jedoch als letzter (oder eher erster?) westfälischer Stierverehrer auch ganz anders sehen, vor allem, wenn man sich ihren wenig rühmlichen Beitrag bei der Geschichte mit Gilgamesch und dem Himmlischen Auerochsen anschaut, den sie für ihre persönliche Rache missbraucht und opfert… was wiederum massig Stress und weitere Tote nach sich zieht. Blöde beleidigte Bitch, göttlich souverän geht anders.
Die Anbetung des Urs, des Vorfahrs der heutigen Zuchtrinder, im Zweistromland hat wiederum viel mit großen Umbrüchen in der menschlichen Frühgeschichte, der Sesshaftwerdung und dem Beginn des Ackerbaus, vor allem aber der Entstehung von Religionen zu tun, leider jedoch auch des Patriarchats mit allen seinen bis heute schwer wiegenden Folgen. Über Religion kann man denken was man will, Riten & Kulte jedoch machen auch heute noch Sinn, besonders wenn sie in Münster stattfinden. So, und jetzt fragt ihr euch zu recht, was all dieses wirre Gerede mit Black Metal zu tun hat? Eine ganze Menge, und das werde ich im Folgenden mal aufzudröseln versuchen.
Am 13. November letzten Jahres brachten BESTIALIS ihre Debüt-EP ´Ritus´ heraus, die ihre Interpretation des oben angerissenen Kapitels des Gilgamesch-Epos darlegt – Ishtars Rache an König Gilgamesch, der die um ihn buhlende, aber ob ihrer Grausamkeit berüchtigte Göttin zurückweist. Zornig holt diese sich von ihrem Vater den riesigen Himmelsstier, der daraufhin im Königssitz Uruk ein Blutbad anrichtet, bis die Helden Gilgamesch und Enkidu ihn schließlich im Nahkampf töten können. Urus, der angebetete Auerochse, Lebensspender und Grundlage für die Entstehung bäuerlicher Landwirtschaft, wird so Spielball göttlicher Intrigen und dabei sinnlos geopfert; immerhin muss für diese Aktion auch Enkidu mit dem Leben bezahlen. Zumindest steht schließlich der Himmelsstier als Sternzeichen wieder auf und ist damit frei und für immer unsterblich am Firmament zu bewundern…
Yoke bearer of the past
Many times betrayed
Enslaved and slaughtered
In sumerian clay
This is your regeneration
Existence free from constraint
As from now your raging free
On your way to hell
… offenbar auch von Lastaurus, dessen Pseudonym bereits auf ein gewisses Interesse am Stierkult hindeutet. ´Non-Domestication: Fall Of Gilgamesh´ erzählt die oben angerissene Geschichte, und noch viel mehr zum Thema erfahrt ihr in den Lyrics zu den drei Songs plus Vorspiel, die dieses erste Lebenszeichen des Duos umfasst, dessen zweiter Part Gitarrist Absorber ist. Beide kommen ursprünglich aus dem traditionellen Black Metal und machen nicht nur seit Jahrzehnten Musik, sondern sind auch erfahrene Unaussprechliche Culthisten, will heißen als Organisatoren des Münsteraner Culthe-Fests tätig und damit tief in der Extremmetall-Szene verwurzelt. Und ein guter Überblick plus exquisitem Musikgeschmack hat noch nie geschadet, wenn man als Musiker erfolgreich sein will – diese These stützt der interessanteste deutsche Newcomer des vergangenen Jahres im Bereich progressiv-atmosphärischen Black Metal auf jeden Fall, und wird auch mit seinem für 2021 ersten geplanten Langspieler ganz sicher nicht auf taube Ohren stoßen.
Hier soll es jedoch um BESTIALIS‘ allererstes Lebenszeichen gehen. Und das bietet trotz seiner Kürze von knapp 17 Minuten so viel an Ideen und Detailreichtum, dass auch ein längeres Review Sinn (und Spaß, ok, zumindest mir…) macht. Da wäre zunächst einmal das thematisch-lyrische Konzept, das sich durch die Stücke zieht und diese miteinander zu einem unendlichen Rad verbindet, welches sich um das Rind als Symbol ewigen Lebens dreht, um Fruchtbarkeit, Unsterblichkeit und Freiheit im Gegensatz zur eigenverschuldeten Unterjochung, den selbst auferlegten Zwängen der Zivilisation, die alles tierische im Menschen unterdrücken sollen – und damit gerade das Gegenteil davon bewirken.
Mit sanftem, mehrstimmigem Zupfen der Akustischen wird ein Licht (´Incensio (Prelude)´) entfacht, das den Weg weist, hinein in diese Geschichte, die vor ungefähr viertausend Jahren zum ersten Mal in Stein gehauen wurde. Gewaltig wie die Stadtmauern von Uruk setzen Bass (ebenfalls Absorber) und Drums dazu ein und bauen eine erhabene Stimmung auf, die kurz zurückgenommen wird – nur um plötzlich in einem Ur-Schrei und ´Re-Incantation´ auszubrechen: Blastbeats, treibende, rollende Rhythmen, das volle skandinavische Programm inklusive diverser Reminiszenzen („A blaze in the sky…“) wird aufgefahren, um kurz darauf in einen Walzer zu münden, der jubelnd das Werden und Vergehen, das Leben, die kultische Verehrung und die triumphale Wiedergeburt der Bestie auch im Menschen feiert; man kann ´Re-Incantation´ damit auch als Gleichnis zur Entwicklung des Genres verstehen:
Regenerate the primeval cult, symbol, reborn in the sign
We renovate life, desires and drives, spirits revive
Verpackt wird das Ganze in einen Stil, der Black Metal immer wieder hinter sich lässt, ohne seine Wurzeln zu verleugnen, sehr progressiv und detailreich, genauso harsch wie melodisch, doch immer erdverbunden ist und mit vielerlei Symbolik spielt, auch im Einsatz von Percussions oder der Akustikgitarre als Gegenpol zu den elektrifizierten Mehrsaitern. Absorber legt seine vielfältigen Riffs und Gitarrenläufe sehr klar herausgearbeitet in diversen, korrespondierenden Schichten neben- und übereinander, überhaupt ist diese EP, was die Produktion betrifft weit über dem üblichen Niveau eines Erstlings. Die Gitarren malen starke Kontraste, gleichzeitig ist da immer mehr als nur schwarz/weiß, Aggression und Sanftheit, nordische Kälte und organische Rhythmen, die Stücke nehmen unerwartete, überraschende Brücken und Wege, und werden durch wechselnde Phrasierung und große Dynamik lebendig. Einzig ein echter Schlagzeuger fehlt mir hier, er würde dem Sound nochmal eine Spur mehr Wärme und Schwere verleihen.
In the early days lust for life was born
With the powerful appearance of the horned one
Soon the beast became part of veneration
Cult, symbol, sign – primeval revelation
Beeindruckend ist dabei, dass Lastaurus‘ Gesang stets verständlich bleibt – was bei der Breite seiner Ausdrucksformen alles andere als selbstverständlich ist. Da werden neben epischem Klargesang und einem fauchenden, aber immer artikulierten Growlen auch entfesselte, animalische Schreie und sogar Kehlkopfgesang eingesetzt, je nachdem, was BESTIALIS’ Erzählung gerade braucht. Raffiniert werden all diese verschiedenen Vocals kombiniert oder wie ein Chor übereinandergelegt, was den Effekt des Wechsels zwischen tierischer und menschlicher Natur nur noch eindrücklicher macht.
Und wenn ich den artikulierten Gesangsanteil nun mit einem vergleiche, der für ein ganz anderes Genre steht, das trotzdem auch in diesem Mix vertreten ist, dann ist das ein Riesenkompliment: in der Verbindung von krasser Aggression, pointiert-scharfer Aussprache und damit stets nachvollziehbaren Lyrics hat er mich sofort an SODOMs Tom Angelripper erinnert, und eine Black Thrash-Schlagseite ist BESTIALIS auch nicht ganz abzusprechen.
Mit ´Ur-Veneration´ betreten wir dann südlicheren, wilden Boden, und eine Zeit weit vor unserer – oder nur eine andere Welt, die sowieso immer in uns weiterexistiert? Das Riffing erhält dosierte Dissonanz, hinzu kommen orientalische Percussions (von beiden bedient), und wieder die Spannung aufbauende Akustikgitarre, Stimmengewirr und Stöhnen, wir befinden uns nun mitten im Ritus, der beschwörenden Anrufung nicht nur des Stiergottes, sondern der tierischen Anteile in jedem von uns, die fleischlichen, lustvollen, animalischen Seiten gewinnen Oberhand, Seelen wandern, Körper verschmelzen, wer ist Gott, wer Tier, wer Mensch? Transzendenz wird zur Essenz dieser Band, hier fließt ihr Blut frei, leidenschaftlich und ungezügelt, und erschafft einen neuen Kult.
Soul to soul
Metempsychosis
Blood to blood
Life juice absorption
Limb to limb
Mergence of bodies
Strength to strength
Potentisation
Wie anders als mit morgenländischen Klängen und an die Großmeister Sumerischen Black Metal, MELECHESH, erinnerndem Riffing könnte schließlich ´Non-Domestication: Fall Of Gilgamesh´ beginnen? Ashmedi hätte sicher seine wahre Freude daran, diesen Oriental Metal-Hit mit Lastaurus live im Duett zu singen…Tribal-Trommeln, flirrende Gitarren, sehr rhythmisch auf die Lyrics abgestimmter, fast sprechender Gesang und starke Phrasierung, ein mächtiger Stimmungsaufbau und schließlich ein akustischer Ausklang – mit meinem wunderbar tanzbaren persönlichen Favoriten endet diese runde Sache, und hinterlässt ihre Hörer mit dem Wunsch, immer wieder von vorne zu beginnen… ihr erinnert euch noch an das Rad des Lebens?
Gleichzeitig wird deutlich, dass wir es hier mit einem in sich geschlossenen Teil eines größeren Ganzen zu tun haben, dass nun endlich eine neue Bestie erwacht ist, die schon lange verborgen im Dunkeln vor sich hingeträumt hat, und uns nun viel zu sagen und zu geben hat. Die uns zurückführt vom Kopf in den Bauch, vom Mensch zum Tier, das wir tief in uns immer noch sind. Es täte uns allen gut, mehr in der Gegenwart zu leben und das sinnlich wahrzunehmen, was gerade ist – und das könnte eben genau diese himmlische Musik sein. Meine Erwartungen an den ersten Langdreher von BESTIALIS sind dementsprechend nicht weniger als stellar…
The spell is cast
May it last
(8,5 Punkte)