JESSIE LEE & THE ALCHEMISTS – Let It Shine
~ 2021 (Dixie Frog) – Stil: Blues ~
Himmelfahrts-Brückentag, kurz nach dem Frühstück. Nur ein paar Wolken am Himmel, ein laues Lüftchen weht. Die Sonne lockt, im Kirschbaum randaliert ein Schwarm junger Spatzen. Bienen schwärmen um blühende Fliederbüsche und Apfelbäume. Guter Zeitpunkt. Für den Rasenmäher…
Den Player in der Hosentasche, Kopfhörer im Ohr, ´Let It Shine´ in der Playlist, Volumeregler nach oben. Wenn mich da irgendein Nachbar gesehen hätte, mit dem Rasenmäher über die Wiese tanzend, wäre mir auch egal. JESSIE LEEs zweites Album ist aber auch ein starkes Teil.
Meine früheste Begegnung mit dem Blues war wohl der Film “Crossroads”. Allerdings, das Gitarrenduell zwischen Daniel LaRusso und Steve Vai war höchste Gitarrenkunst, nur vom Blues war in dieser Szene nichts zu spüren. Es folgte GARY MOOREs ´Still Got The Blues´, das ich noch heute liebe. Und ich hatte bei B.B. KING in der Gütersloher Stadthalle die Gelegenheit, live zu erleben wie er Lucille liebkoste.
Korinthenkacker und Beckmesser würden JESSIE LEE sicher nicht als der reinen Blues-Lehre zugehörig erklären. Gibt es die aber überhaupt? Vielmehr mischen die Alchemisten ihren mit Blues getränkten Rock mit Soul, Funk und Jazz. Feine Backings, eine schweinisch geile Orgel, fette Bläser, so entsteht ein heißes und tanzbares Gebräu. Es kommen aber auch die ruhigen Augenblicke nicht zu kurz.
Aber fangen wir untern an. Die Truppe Alchemisten zu nennen, das ist schon ein Treffer. Schließlich sorgen sie für die nötige Chemie, um die Frontfrau überhaupt glänzen zu lassen. Und so, wie Rumpelstilzchen Stroh zu Gold spinnt, können JESSIEs Songs erst mit dieser magischen Hilfe so gülden klingen.
So glänzt sie dann auch, die Pariserin mit dem Amerika versprechenden Namen. Mit ihrem Instrument muss sie sich sicher nicht hinter KollegInnen wie LAURA COX oder JOE BONAMASSA verstecken. Au contraire. Eher würde sie, um auf den schon erwähnte Film zurückzukommen, es mit dem Teufel aufnehmen können. Doch sie muss es sich und uns nicht ständig beweisen. So spielt sie eher sparsam und songdienlich und angemessen bodenständig. Dafür strahlt die Stimme. Sie zetert und bettelt, sie jubiliert und zürnt, sie trauert und jubelt. Das tut sie mit Verve und mit Schmelz. Die Katze schnurrt und die Löwin brüllt. Und wenn sie Dir und mir ihr “You” entgegenhaucht und ruft und lockt, dann kann der Hörer nur niederknien.
Das ist aber alles nichts ohne Songs. Diese Songs sind der Stoff, der Gitarre und Gesang erst zum Glühen bringt. Und jedes Lied trifft. ´Another´ ist ein kraftvoller Start. Das Gitarrenriff bringt einen Hauch STEVIE WONDER, Motown lässt grüßen. ´But You Lie´ fesselt mit als schlicht getarnter Opulenz. Wenn der Chor sein “Ahoo” haucht, und die Bläser die Strophen untermalen, ist die Heilung des gebrochenen Herzens schon begonnen. Denn JESSIE weiß, “You say you love, but you lie“. Das ist Gefühlskino. Gefühlskino in Tönen.
Es folgen der straighte Rocker ´You Gotta´ und ´The Same´, mit einem Hauch von Reggae. Der Titelsong des Albums hat ein bombastisches Finale, das wirklich ausgespielt wird, ohne auf eine Uhr zu achten. ´Sometimes´ entführt einen dann in die mittägliche Hitze des Südens. Die Essenz des Blues kommt in ´Only One Thing´ zum Tragen, Gefühl, Melancholie, ein Hauch von Trauer und Wehmut. ´Get Out Of My Head´ hingegen wirkt fast zornig und fordernd. Bis hierhin ist alles wirklich Klasse. Mit ´You Took My Mind Away´ hat sich dann aber ein etwas schwächerer Track eingeschlichen. Allerdings würden sich danach sicher viele andere noch die Finger lecken.
Aber danach kommt noch ein Höhepunkt gefühlvoller Tonkunst. Mit fast neun Minuten der längste Song, beginnt er fast still. Man findet sich an einem Lagerfeuer, in mondheller Nacht in einem Canyon. Das muss nicht einer in den Staaten sein. Der Süden Frankreichs hat da auch reichlich Auswahl, am Verdon oder im Tal der Ardéche. Von diesen stillen Momenten steigert sich der Song, hin auf die höchsten Erhebungen. Dabei wird nicht übertrieben, keine Egotrips, nur der Song, der alle Zeit der Welt bekommt, um zu wachsen.
JESSIE LEE, bitte, Du machst Musik, die auf die Bühne gehört. Und ich glaube, auch bei uns gibt es genügend Fans, die Dich und Deine Begleiter gern einmal in echt musizieren erleben würden. Diese Art von Musik schreit förmlich nach Club und Publikum.
(9 Punkte)
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