DORDEDUH – Har
~ 2021 (Prophecy Productions) – Stil: Progressive/Pagan/Black Metal ~
Auf meiner Suche nach Waldmeister & Maiwipfeln hatte ich treue, ja hartnäckige Begleitung im heute gar nicht dunklen und nebligen Forst. Vom NEGURĂ BUNGET (so die rumänische Übersetzung) kann der Ohrwurm [i] daher kaum gekommen sein – oder etwa doch? Bringen wir mal etwas Licht ins Unterholz…
Vor 12 Jahren verließen die beiden Hauptsongwriter und Multiinstrumentalisten Edmond „Hupogrammos“ Karban und Cristian „Sol Faur“ Popescu die Band und gründeten kurz darauf DORDEDUH; Schlagzeuger Negru führte NEGURĂ BUNGET bis zu seinem plötzlichen Tod 2017 mit neuen Musikern weiter. Drei der verbliebenen Mitglieder formierten wiederum ein Jahr später SUR ASTRU, es gibt heute also zwei Bands, die das Vermächtnis der bedeutendsten rumänischen Folk/Black Metal-Legende am Leben halten. Doch – Vorsicht, Spoiler! – wer das große Erbe einer Band, die ihrer Zeit schon immer voraus war, tatsächlich bewahrt, indem er es auf eine ganz neue Ebene hebt, das machen die beiden Originalmitglieder nun mit ´Har´ endgültig deutlich.
Vor 9 Jahren ließ ihr LP-Debüt ´Dar De Duh´ aufhorchen, war es doch noch experimenteller, was den Einsatz einer Vielzahl folkloristischer Instrumente aus allen Ecken der Welt und vor allem die so facetten- wie kontrastreiche, immer wieder überraschende Ausgestaltung der acht Longtracks betrifft; aber gleichzeitig immer noch der dissonanten schwarzmetallischen Wut und Düsternis verpflichtet, die sich stets mit einer latenten Melancholie abwechselte. Das Herz von NEGURĂ BUNGET war zurück! Doch sein Schlag hatte sich verändert – eine über das bisher von ihnen gewohnte hinausgehende Schwere durchzog dieses ambitionierte Album, es ist künstlerisch hochfliegend, doch in seinem Fokus auf Rückblick und Verarbeitung negativer Emotionen viel mehr der Vergangenheit verhaftet, als Erneuerung, Vision und Transzendenz zu bieten. Doch wie sich nun zeigt, weisen, wie so oft, die letzten Songs den Weg zurück in die Zukunft…
…denn sie erinnerten frappant an das Meisterwerk transsilvanischen Metal, das herausragende ´Om´ aus dem Jahr 2006. Und hier schließt sich der Kreis: mit ´Har´ machen Hupogrammos und Sol Faur genau dort weiter, wo sie vor 15 Jahren aufgehört haben. Ihr meint, ich übertreibe? Keineswegs. Das mit Flavius Misarăș am Bass und Putrid am Schlagwerk vervollständigte Quartett hat nichts weniger als die diesjährige Referenzplatte abgeliefert, was die Fusion von Pagan- und Progressive Metal angeht (ENSLAVED haben ja erst letzten Oktober ´Utgard´ herausgebracht und werden nicht so schnell nachlegen…), und damit gleichzeitig einen ganz heißen AOTY-Anwärter ins Rennen gebracht.
Und nun wird es spannend. Seit Tagen versuche ich hineinzuspüren und herauszubekommen, was ´Har´ außer seiner absoluten kompositorischen und technischen Brillanz so magisch, einzigartig und innovativ macht. Klar ist bereits jetzt: dieses Album wird wachsen und wachsen, und in einem Monat werde ich ganz andere Schwerpunkte setzen oder Details entdecken als heute, auch wenn die Scheibe hier fast ununterbrochen läuft. Sie ist unglaublich abwechslungsreich, enorm vielschichtig, jedes Stück ist wie ein Fenster in eine jeweils vollkommen unterschiedliche Transsylvanische Landschaft oder ein anderes Zeitalter als das vorige, und dabei auch in sich stets so dynamisch und lebendig, gegensätzlich, abwechslungsreich und überraschend gestaltet, dass ich mich gelegentlich wundere, wie gut das alles zusammenpasst, sich zusammenfügt. Denn all diese Kompositionen fließen so organisch ineinander, dass man Zeit und Raum darüber völlig vergisst und mit Glück in einer träumerische, freudige Trance gerät. Hupogrammos mal harscher und dann wieder eindrücklich klarer, wie immer rumänischer Gesang übernimmt erzählend die Führung, Sol Faurs Gitarren brechen immer wieder in galoppierendem Riffing aus (´Timpul Intilor´, ´Vraci De Nord´) oder schweben schwelgerisch wie im Adlerflug über dem Geschehen, die Keyboards breiten einen weiten grünen Karpatenwaldteppich aus (´Desferecat´), und die neue Rhythmusgruppe legt ein federndes, ja bisweilen groovendes Fundament darunter (das zu Tränen rührende ´De Neam Vergur´) – alles gleichzeitig so warm wie knackig-brillant von Jens Bogren herausgearbeitet, der auch den diversen traditionellen Instrumente wie Hackbrett, Tulnic, Mandola oder Toacă ausreichend Platz lässt.
Wobei diese ungewöhnlichen Klänge die Songs meist perkussiv, fast rituell einleiten und sich dann wiederum völlig organisch integrieren, genau wie die opulent ausgedehnten Ambient-Anteile (´Vraci De Nord´ mit seinem Mittelteil zwischen Volkslied und Pop, die sperrig-anspruchsvolle erste Single ´Desferecat´, die sich nach einem tribalartigen Beginn zum elektronischen Filmscore entwickelt). Dabei gehen einige der stark rhythmusbetonten Songs sogar in die Beine und animieren zum Tanz, und vielleicht erklärt ja das die Faszination dieser Platte: sie ist eine Ode an das Leben, und könnte nicht deutlicher in die Zukunft gerichtet sein. Selbstbewusst atmet sie die Weite der Transsylvanischen Bergländer, doch ist sich ihrer Herkunft und Erdung dabei stets bewusst – es hat viel von einem Übergangsritus in acht Kapiteln, einer Lebens- oder Heldenreise als persönlichem Entwicklungsweg, und darauf deuten auch die Songtitel hin. Und damit beschreibt sie genau das, was DORDEDUH bedeutet: die Verschmelzung von Seele & Geist durch spirituelle Suche und Praxis, sich zum wahren Menschen entwickeln aus der Weisheit unseres gemeinschaftlichen unterbewussten Erbes heraus. Dann meint ´Har´ auch nicht mehr nur Talent oder Gnade, sondern göttliche Begabung. Und wer eine völlig neue, eigenständige, von sämtlichen Stil- und Spielarten losgelöste und dabei noch eingängige Art von Musik erschaffen kann, der hat den schwarznebligen Wald endgültig hinter sich gelassen, und den Blick frei in eine weit offene Zukunft. Klassiker!
(10 Punkte)
[i] ´Descânt´ ist mein Ohrwurm, der jedoch nur einen kleinen Einblick in das breite Spektrum dieser Platte geben kann. Enjoy!
https://dordeduh.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/Dordeduh/
…und ein Interview mit Hupogrammos zu ´Har´findet ihr hier