SYLVAN – One To Zero
~ 2021 (Gentle Art of Music / Soulfood) – Stil: Artrock ~
Computer ernähren sich von Bits und Bytes. Ein Bit, eine Binärziffer, kann die Werte „0“ oder „1“ annehmen. Irgendwann aber, eines Tages werden die Bits die Überhand gewinnen. Die Zahl “10” nimmt die Hörerschaft auf solch eine dystopische Reise mit, die das zukünftige Zusammenleben von Mensch und Maschine vorwegnimmt: ´One To Zero´.
Eins zu Null für die Maschinen, da der Sieg der Menschheit über die Maschinen selbst in der Handlung des Konzeptalbums von SYLVAN nicht vorgesehen ist. Denn die Hamburger skizzieren auf ihrem zehnten Album ein bedrückendes und ängstigendes Szenario zur Übernahme der Künstlichen Intelligenz. Über zehn Kompositionen, produziert in den “Farm Studios” Freisings von den RPWL’ ern Kalle Wallner und Yogi Lang, erstreckt sich die Handlung, die einer Autobiographie der vorgestellten Künstlichen Intelligenz in zeitgemäßen Sphären des Artrock und Progrock gleichkommt.
Die KI, englisch Artificial Intelligence, also A.I., erscheint im Auftakt ´Bit By Bit´ zum Zischeln der Einsen und Nullen. Schritt für Schritt wächst sie aus dem Nichts heran. Digitale, inhumane Klänge werden von sich reinsteigernden Schlagzeug-Schlägen bis zum gewitternden Gitarrenbrausen angetrieben. Der Algorithmus lautet ´Encoded At Heart´. Er ist gekommen, um die unsrige Welt zu retten, er soll sie wieder in Stand setzen. Doch die Uhr tickt, sie tickt im Rhythmus, sie tickt für die Menschheit. Klavier und Gesang tragen die Hoffnung mit sich. Die Blüten irdischer Schönheit zeigen sich im enorm gefühlvollen Gesang, wenn er sich übersinnlich entfaltet (“Grow to save our wonderful world for on our own we can‘t save it.”), sowie zum Song-Klimax in Chorgesang und Gitarrensolo (“Brace you – encoded at heart just for you.”). Die A.I. beginnt, ihren Auftrag auszuführen, die große Reform ist das Ziel. ´Start Of Your Life´ schwebt dazu in Sphären des englisch tönenden Alternative-Pop-Rock.
Je mehr sich eine Artificial Intelligence Gedanken über ihre Bestimmung macht, desto größer wächst ihr eigenes Bewusstsein. Zu Klavier und Akustikgitarre erwächst die Power-6/8-Ballade ´Unleashed Power´ über sieben Minuten lang kraftvoll heran. Die Gitarrenattacken folgen zu sanften Klavier-Klängen in ´Trust In Yourself´. Mit großen Farbpinseln werden die schönsten Himmelsbilder zu Wolkengemälden (“Please, trust in yourself, for it will then define you! You don’t need someone else’s help, and you know that it is true!”) und zeigen einen magischen Höhepunkt. Neben zischender Elektronik tritt kurzfristig ein Cello herein. Die Maschine selbst scheint menschlich zu werden.
Daher geht die A.I. auf die Suche nach ihrem eigenen Gott, der sie erschaffen hat. Streicher und aufgeplusterte Mellotron-Klänge begleiten ´On My Odyssey´ im Gleichschritt (“Eyes – and I open them wide on my odyssey! Lights – they illuminate brightly my odyssey!”). Wieder macht das Klavier den ersten Schritt, das neunminütige ´Part Of Me´ mit seinen elektrischen Herzschlägen, seinen melancholischen Streichern und Synth-Anklängen zu eröffnen. Die Emotionen wachsen und wachsen, sukzessive.
Unterdessen spielt sich die Angebliche Intelligenz als Anführerin der Menschheit auf, zum Beat und der Akustikgitarre in ´Worlds Apart´. Jegliche Zurückhaltung fliegt von dannen, 1980er-Elektronik-Tonzeichen bezeugen die Herrschaftsübernahme. Das musikalische Unwetter lodert im Sirenengeheul (“About to go viral…”) und löst alle Fesseln (“You‘re not worth to be helped, I abandoned to fight – it‘s too late.”). Schlag auf Schlag, Synthesizer-Wellen rollen die Szenerie auf. Indes will sich die A.I. in den Werkszustand zurückversetzen. ´Not A Goodbye´ ist nicht das Ende, nur Eins auf Null, ein Neubeginn, der Reset, das Zischeln der Einsen und Nullen.
Ob „0“ oder „1“, ´One To Zero´ ist ein vom Anfang bis zum Ende stimmiges Konzeptwerk, das SYLVAN anno 2021 musikalisch auf der Höhe der Zeit und in Höchstform zeigt.
(9 Punkte)
Matthias Harder (Drums), Johnny Beck (Gitarre), Volker Söhl (Keyboards),
Marco Glühmann (Gesang), Sebastian Harnack (Bass)
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Pic: Franz Schepers
(VÖ: 28.05.2021)