DALRIADA – Őszelő
~ 2021 (H-Music Hungary) – Stil: Folk Metal ~
Familienurlaub 2013, Ungarn. Wir taten, was Familien im Familienurlaub tun. Faule Tage am Balaton, Kutschfahrt durch die Puszta, ein Besuch in der Sommerresidenz der ungarischen Königin Sissi in Gödöllö. In einem Supermarkt in Balatonfüred fand sich dann ein kleiner Buchladen mit einem CD-Regal. Dort griff ich ´Jégbontó´, das zweite Album der Soproner Folk Metaller DALRIADA ab.
Was mir da entgegen schallte gefiel. Auch wenn ich den Sound nicht unbedingt komplett gelungen empfand, die Mischung aus hartem Metal, zum Teil recht derber Machart und Folklore machte verdammt was her. Selbst heute lege ich sie ab und zu auf. In meinem Kopfkino reise ich dann wieder durch Ungarn.
Warum nicht noch mehr Alben den Weg zu mir fanden? Das ist wohl eine Mischung einem zu großen anderweitigen Angebot und fehlender Gelegenheit. Immerhin, auf der Suchliste stehen DALRIADA, allerdings neben vielen anderen Bands und Alben, die dieses Schicksal teilen.
Nun hat mir ein guter Kumpel das neue, elfte Album ans Herz gelegt. Dabei erwähnte er ein slawisches Flair. Meine Widerworte, Ungarn sind keine Slawen, beantwortete er mit einem einfachen “Hör mal rein!” Recht hat er. Ein paar Durchläufe reichten aus, um ihm zuzustimmen. DALRIADA schaffen es tatsächlich, Lebensfreude und Tanz im gleichen Stück zu verknüpfen, mit Wehmut und Trauer. Das ist schon etwas, was sich gern in slawischer Musik findet. Wundern kann ich mich aber auch nicht wirklich. Schließlich gehörte die Slowakei lange zur ungarischen Krone. Und die Ungern lebten und leben in enger Nachbarschaft mit Serben und Kroaten.
Es ist vor allem der Verdienst der Stimmen von Laura Binder und András Ficzek. Sie jubeln und drohen, zürnen und feiern, tanzen und weinen. Ich warte auf Growls. Es dauert, aber auch die werden eingesetzt. Das passt zur Jahreszeit, nach der das Album benannt ist. Obwohl im Frühjahr erscheinend, heißt es schlicht ´Őszelő´, zu deutsch “Herbst”. Ist der Herbst doch die Zeit des Feierns nach getaner Ernte. Und er ist die Zeit, wenn die Natur scheinbar stirbt, sich auf den Winter vorbereitet. Da kommen Erntedank und Allerheiligen zusammen. Genau so fühlt sich auch DALRIADAs Album an.
Ungarn liegt mir ja schon recht nahe. Es ist stark verbunden mit der europäischen Kultur. In kaum einem Land finden sich mehr barocke Kirchen. Budapest oder Kecskemét sind Hochburgen der Jugendstil-Architektur. Die Sprache allerdings ist eine riesige Hürde. Bei mir langt es zumindest für Bitte und Danke, jó nap (Guten Tag) und Viszontlátásra (Auf Wiedersehen). Und ich weiß, die Magyar Nemzeti Galéria ist die Ungarische Nationalgalerie.
Gleich der zweite Song beginnt dann mit dem Wort némzet. Ein wenig Lektüre, dann ist klar, das kämpferische ´Rákóczi Zászlaja´ dreht sich um den gleichnamigen Fürsten, der die ungarische Opposition gegen die Habsburger Vorherrschaft angeführt hat. Da ist das Wort Nation sicherlich nicht fehl am Platze.
Ein Höhepunkt ist der verträumte Titeltrack. ´Őszelő´ verbreitet tatsächlich eine herbstliche Stimmung. Auch ´Betyár-Altató´, mit starken akustischen Parts, geht zu Herzen. Leider habe ich keinen Text, gebe ich aber den Titel in einer Übersetzungsmaschine ein, bekomme ich als Antwort “Geächtete Schlaftabletten”. Wird hier der Suizid eines Freundes betrauert? Das ist durchaus denkbar.
Metallische Parts und Folklore halten sich durchaus die Waage, keiner der Bestandteile nimmt überhand. So treffen volksliedhafte Chöre auf harte fast thrashige Gitarren, die singende Geige auf aggressiven Gesang, ein Klavier auf Blastbeats, ungarische Tänze auf “Zigeunerbaron”. Dabei werden Klischees wie in der Sonne trocknende Ketten roter Paprika und die schmachtende Piroschka weit umritten. Die ´Huszáros´ reiten durch die Weite der Hortobágyi, die Gewitterfront hinter sich lassend. So erzählen DALRIADA von tausend Leben und tausend Sternen (´Ezer Élet, Ezer Csillag´). Das sind tausend Geschichten, die in der ganzen Welt so erzählt werden können. Tausend Geschichten, die überall verstanden werden, auch ohne die Sprache zu verstehen.
In meiner Kindheit sah ich oft einen ungarischen Zweiteiler im Fernsehen. “Die Sterne von Eger” nach dem Roman von Géza Gárdonyi erzählt von der Belagerung der Burg Eger im Jahre 1552, als eine kleine Streitmacht unter Führung des Hauptmannes István Dobó versuchte, die kräftemäßig überlegene Streitmacht der Osmanen aufzuhalten. Diese Schlacht, in der auch die Frauen aufopferungsvoll mitkämpften, ist eine der Begebenheiten, die Ungarn bis heute geprägt hat. Sie ist ein Teil des historischen Gedächtnisses in bildender Kunst und Literatur. In einer Neuverfilmung dieses Stoffes kann ich mir tatsächlich vorstellen, die Musik von DALRIADA zu hören.
Also gehe ich nun wieder auf Reisen. Mit Bertalan Székelys Gemälde in der Ungarischen Nationalgalerie und dem Album ´Őszelő´ finde ich mich wieder im Familienurlaub in dem Land zwischen Donau und Theiss. Und dazu das Buch über “Die Sterne von Eger”.
(9 Punkte)
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