BIG | BRAVE – Vital
~ 2021 (Southern Lord) – Stil: Drone/Doom/Experimental ~
Die Geschichte von Montreals BIG | BRAVE war bisher eher vom Zufall geprägt. Nachdem sie anfangs noch mit Ambient und Folk experimentiert hatten, stießen die drei Kanadier erst auf ihren unverwechselbaren Klang, als Robin Wattie aufgrund einer kaputten Akustik-Gitarre stattdessen eine E-Gitarre und einen Verstärker als Ersatz dafür nahm. Der Kontrast von Power und Fragilität ist seitdem zu ihrem wesentlichen Merkmal geworden.
Die Weiterentwicklung ihres Sounds war daraufhin eher eine Verfeinerung und sorgfältige Ausarbeitung als ein radikales Experimentieren. `Au De La` (2015) war viszeral und laut, `Ardour` (2017) war dunkel und expansiv, wohingegen `A Gaze Among Them` (2019) eine deutlich verträumtere und hellere Richtung einnahm.
BIG | BRAVEs Erkundungen konzentrierten sich jedoch stets auf einen Kernsound: wabernde Gitarren-Drones und Gezeiten-Akkorde, die um einen primitiven, aber unerbittlich-perkussiven Rhythmus strukturiert sind, versehen mit einem stimmlichen Ausdruck, der von süß und zart bis angespannt und furchterregend reicht. `Vital` ist einmal mehr eine Bestätigung dieses essentiellen Klangs und kombiniert erneut die gesättigte Klangwand von SUNN O))) mit dem rhythmischen No-Wave-Minimalismus von SWANS.
Bereits der Opener `Abating The Incarnation Of Matter` verschwendet keine Zeit damit, ein massives, verzerrtes Riff in alles zu bohren, was sich in seiner Nähe befindet. Es wiederholt sich fortwährend und verbreitet sich schließlich langsam, wie in einer Hypnose, bevor Robin Watties Gesang durch die ewig graue Wolke dringt. Sie klingt standhaft und doch hilflos, während sich ihre engelhaften Klagen in wunderbar ohrenbetäubende Schreie verwandeln.
Jeder Atemzug auf `Vital` ist voller Vorfreude und fesselnder Angst. `Half Breed` setzt Momente der Stille in beispiellosem Ausmaß ein und ermöglicht es Watties Stimme, die bedrohlichen Unterbrechungen zu durchdringen, bevor die lethargische Lawine der Verzerrung wieder in Sicht kommt.
Der Neun-Minuten-Gigant und zugleich Titelsong beendet das Album auf ähnliche, wunderbar anstrengende Weise. Je näher das neblige Scheinwerferlicht in der ersten Hälfte auf die Drums verlagert wird, desto stärker kollidieren sie mit dichten Hallschichten. Das Stück schreitet voran wie eine klangliche Dekonstruktion, die sich langsam in den Äther aufzulösen scheint, bevor das Trio schließlich mit einem letzten Energieschub losschießt.
`Vital` ist absolut unerbittlich und trägt die Intensität von sorgfältig geplanten Car Crashes in Zeitlupe, ein Sound von ganz und gar kolossaler Natur. BIG | BRAVE kombinieren erneut das seismische Gewicht von Drone mit der viszeralen Dringlichkeit des Doom und erzeugen massive Gezeiten-Akkorde, die in Rückkopplungen und Geräusche zerfallen. Mit einer Spieldauer von rund 40 Minuten erreicht das Album schließlich alles, was er sich vorgenommen hat – weder unnötig lang noch unbefriedigend kurz, entfaltet sich das wunderbar langsame Gemetzel in seiner ganzen Brillanz.
(8 Punkte)