FUNKADELIC – Maggot Brain
~ 1971 (Westbound Records) – Stil: Psychedelic-Funk-Rock ~
George Edward Clintons Friseursalon im West End von Plainfield, New Jersey, war einst der Treffpunkt allerlei Musiker der kommenden Soul-, Funk- und Rock-Szene. Hier gründete sich im Hinterzimmer das Doo-Wop-Quintett THE PARLIAMENTS. Die Schwesterband FUNKADELIC entstand 1968 und war bis 1982 aktiv. Beide Gruppen führte George Clinton an.
Erst als Backingband für die Gesangsgruppe THE PARLIAMENTS angetreten, entwickelten sich FUNKADELIC zu einer Funk und Heavy Psychedelic Rock-Formation, gerade weil THE PARLIAMENTS sich viel zu bieder und zugleich skurril an den TEMPTATIONS und SUPREMES orientierten. FUNKADELIC müssen hingegen zu den Progressive Funk Rock-Pionieren der Siebzigerjahre gezählt werden. Insbesondere ihr drittes Werk aus dem Jahre 1971 ist neben den beiden Vorgängern und den beiden End-Siebzigerjahre-Werken unverzichtbar, ein gigantischer Klassiker.
Im Gegensatz zu SLY & THE FAMILY STONE oder WAR bestand FUNKADELIC allein aus Musikern of Color und musste in jenen Tagen um jeden Zentimeter ihres Erfolges kämpfen. George Clinton schrieb in seiner Biografie (“Brothas be, yo like George, ain’t that funkin’ kinda hard on you?”): “´Maggot Brain´ ging an Orte, an die Black Groups nicht gegangen waren, und fragte sich, ob Amerika noch auf dem richtigen Weg oder ob das Versprechen der späten 60er Jahre vollständig verflogen war.”
´Maggot Brain´ wurde von George Clinton in den letzten Monaten des Jahres 1970 bis ins Jahr 1971 aufgenommen und produziert. Anschließend zerfiel die Ursprungsbesetzung. Gitarrist Tawl Ross (verdaute einen Acid-Ess-Wettbewerb nicht), Bassist Billy Nelson (stritt mit Clinton über Geld) und Schlagzeuger Tiki Fulwood (übertrieb den Drogeneigenverbrauch) verließen auf dem Höhepunkt ihres Schaffens FUNKADELIC.
Die Ableitung des Albumtitels ist indessen bis heute nicht geklärt, entweder soll er auf den Spitznamen von Gitarrist Eddie Hazel zurückgehen oder auf die Begebenheit, dass Clinton das dekompostierte Skelett seines Bruders in einem Chicagoer Appartement fand. Dagegen ist zumindest das schreiende Model des Artworks bekannt, denn die bis auf ihren Kopf völlig in der Erde steckende Barbara Cheeseborough posierte für das Foto des Covers.
Daneben sollten die konzeptionellen Worte über die menschliche Angst aus den Linernotes FUNKADELIC in die Ecke der Satan-Worshipper-Bands rücken, stammten diese wohl von einem, in den 60s gegründeten satanischen Religions-Kult namens “Process Church of the Final Judgement”.
Aller bewusst konzipierter oder schlicht gestellter Lärm um Nichts war tatsächlich nichts gegen die revolutionären Klänge, die sich aus den Lautsprechern gruben, sobald die Nadel auf dem Vinyl ansetzte. George Clinton, Tawl Ross, Billy Nelson, Tiki Fulwood, Eddie Hazel und Keyboarder Bernie Worrell waren über die Jahre zuvor eng zusammengewachsen und hörbar ein perfekt eingeschworenes Team geworden.
Mit den Worten von Bandleader George Clinton beginnt der Titelsong ´Maggot Brain´ zu sanften Gitarren und wackelnden Percussions: “Mother Earth is pregnant for the third time. For y’all have knocked her up, I have tasted the maggots in the mind of the universe. I was not offended. For I knew I had to rise above it all or drown in my own shit.”
Danach setzt Eddie Hazel zu einem geschichtsträchtigen und überhaupt einem der mächtigsten Gitarren-Soli aller Zeiten an. George Clinton soll ihm unter LSD-Einfluss zugeflüstert haben, er solle sich die Gefühle und das gesamte Leben an dem Tag vorstellen, an dem seine Mutter stirbt. Mit Fuzz- und Wah-Wah-Effekt im Sinne seinen Idols Jimi Hendrix agierend, gerät das Solo zu einer One-Man-Show, weil Clinton die restlichen Musiker bei der Mischung nahezu ausgeblendet hat. Apokalyptische Klänge, wie es etwa nur Jimi Hendrix, Carlos Santana oder Rory Gallagher möglich war, sie zu erschaffen, stehen für den Anbeginn und den Untergang von Allem.
Auf das Feuerwerk der Gitarre folgt das Hit-Feuerwerk für das Gemeinschaftsgefühl. Ein Weltklasse-Song folgt auf den nächsten. FUNKADELIC stürmen ruhelos und aufgeregt in des Hörers Wohnung und wollen auch so schnell nicht wieder gehen. ´Can You Get To That´ gründet sich auf dem THE PARLIAMENTS-Song ´What You Been Growing´ und wuchert mit dem bereits dort gelernten und nun perfektionierten Chorgesang zur Folk, Blues und Gospelmusik, unterstützt von Isaac Hayes’ Gesangsband HOT BUTTERED SOUL. Der nächste Ohrwurm ´Hit It And Quit´ wabert mit Orgelklängen aus anderen musikalischen Universen der frühen Siebzigerjahre, verblüfft sozusagen mit Progressive Funk und rüttelt die Politik des Ostens als auch des Westens auf: “You can shake it to the east. Shake it to the west. Hit it. Good god, hit it and quit it. You can shake it to the one you love the best.”
Hernach geht ´You And Your Folks, Me And My Folks´ mit seinen morbiden Trommel-Schlägen nicht nur durch Mark und Bein, sondern dient auch, von Billy Nelson gesungen, als Weckruf für den Zusammenhalt aller Armen. Die drogenbehafteten Gitarren von ´Super Stupid´ lehnen sich sogar an LED ZEPPELIN an und warnen vor dem Missbrauch von Rauschmitteln. Nachdem ´Back In Our Minds´ zum Rückzug gemahnt (“We don’t fight no more. We done close that door. This time for sure. We can’t stand no more.”), kippt die Instrumentierung nochmals zum Finale ´Wars Of Armageddon´ ordentlich Benzin ins Feuer. Schlagzeuger Tiki Fulwood steht hierbei derart im Blickpunkt, dass ihn in der Folge Jazz-Legende Miles Davis vorübergehend für seine Musik abwarb.
Noch psychedelischer, noch paranoider, noch freakiger als die Eröffnungsnummer wird der Apokalypse nun tief ins Auge geblickt. Schauten wir zuvor nur auf das Skelett des Schädels, kriechen zu ´Wars Of Armageddon´ alle Maden aus diesem. “Make love, not war” ist der nie genannte, aber über allem stehende Slogan für mehr Liebe und den Frieden. Die Tasten schlenkern, Detonationen in allen Ecken. Babys plärren, Männer schreien, Sirenen heulen, Kühe muhen und Glocken werden geschlagen: “When do we want freedom? Now! What do we want? Freedom! When do we want it? Now! Freedom! Now! Freedom! Now! More power to the people. More power to the people. More pussy to the power. More pussy to the people!”
(Klassiker)