THE STRANGLERS – Aural Sculpture
~ 1984 (Epic) – Stil: Rock/Pop/New Wave ~
Das ist für mich das sträflich unterbewertete Meisterwerk der STRANGLERS. Klar, mit dem auch sehr guten Punk Rock (so richtig in die Punk-Schublade passten sie eigentlich nicht, schon die “Schweineorgel” sorgte immer für Pop-Sprengsel) der ersten drei Werke (insbesondere des starken ´No More Heroes´) hatte das nichts mehr zu tun. Nach ´Black & White´ irrten die STRANGLERS etwas ziellos zwischen verschiedenen Musikstilen herum. ´La Folie´ schmeichelte dem Hörer schon mit ´Golden Brown´, war sonst aus meiner Sicht aber nicht so spannend. ´Aural Sculpture´ war da deutlich konsequenter und verwöhnte den Hörer mit einer zeitlosen Mischung aus Rock, Pop und rudimentären New Wave-Sprengseln. Das ist sehr eingängig, aber gleichzeitig auch sehr anspruchsvoll und von hervorragender Songwriting-Qualität.
Die erste Seite ist durchgehend auf höchstem Niveau. Das – nicht nur im Titel – eiskalte ´Ice Queen´ zeigt gleich die Richtung an. Lustig oder warmherzig geht es – trotz ein paar Titel, die später vom Namen in die Richtung gehen könnten – auf dem Album nicht zu. Song zwei bis vier waren begrenzt erfolgreiche Singleauskopplungen und 1984 sogar Disco-Nischen-Titel. Das großartige ´Skin Deep´ ist wie das kühle ´Let Me Down Easy´ und das nihilistische ´No Mercy´ bei allen dunklen Textzitaten mit Ohrwurmcharakter ausgestattet, als hätten THE STRANGLERS nie was Anderes wie Popsongs für die Charts geschrieben.
Bei aller Kommerzialität aber ist diese Platte viel zu abgründig für die Sonnenseite des Lebens. Seite eins endet mit dem apokalyptischen Meisterwerk ´North Winds´, das so klingt, als wären JOY DIVISION wiederbelebt worden. Laut Textverfasser und Bassist Jean-Jacques Burnel ist ´North Winds´ aber ein deutliches Statement gegen Krieg (siehe hier).
Seite 2 kann nicht ganz mit Seite 1 mithalten. Das sonnige ´Spain´, das melancholische ´Souls´, das ambivalente ´Laughing´ oder das an Godley&Creme erinnernde ´Mad Hatter´ sind aber auch Glanzpunkte. So stark waren THE STRANGLERS nie wieder.
Letztendlich ist ´Aural Sculptures´ – wie alles – Geschmackssache. Die kalte, glasklare Produktion vom damaligen Hitproduzenten Laurie Latham und die gewisse Radiotauglichkeit wird nicht jeder/jedem zusagen. Der versteckte Zynismus, die unterdrückte Hoffnungslosigkeit und der STRANGLER’sche Nihilismus heben ´Aural Sculptures´ aber weit über eine harmlos, nett anzuhörende Popplatte hinaus. Das sollte die geneigte Hörerin / der geneigte Hörer antesten.
Ich liebe dieses Werk und bekomme seit 1984 nicht genug davon. Ein Vergnügen für die reichlich auf dem Cover und im Innersleeve vorhandenen Ohren. Ein Klassiker in Stein gemeißelt wie die aurale Skulptur auf dem Frontcover. (Nur eine Warnung: die neun Bonustitel auf dieser CD kann man sich schenken, die verunreinigen das Gesamtkunstwerk unnötig).