CASSANDRA JENKINS – An Overview On Phenomenal Nature
~ 2021 (Ba Da Bing Records) – Stil: Ambient Indie Folk Rock~
Cassandra Jenkins wuchs an der Ostküste der Vereinigten Staaten in einer Folk-Kommune auf. Seit über einer halben Dekade lebt sie ihre musikalischen Ambitionen als Solo-Künstlerin aus.
Die Songwriterin wollte 2019 die PURPLE MOUNTAINS auf ihrer Tournee begleiten, doch David Berman beging kurz vor Tour-Start Selbstmord. Die infolgedessen einsetzende Trauer, plötzliche Einsamkeit und Hilflosigkeit ziehen sich wie ein Nebel durch ihr zweites Solo-Werk. Während das Debüt der New Yorkerin von der West Side noch gewöhnlichen Indie Pop mit dem Hauch von Country barg, präsentiert sie fünf Jahre später auf ´An Overview On Phenomenal Nature´ Indie Folk Rock mit Ambient-Klängen.
Die Kompositionen sind impressionistisch, sie sind träumerisch und zugleich scharf beobachtend. Es sind keine Lagerfeuergeschichten eines Singer-Songwriters, sondern die Lebensgeschichten auf dem Weg von der Beerdigung zurück in das Leben. “Nichts verschwindet jemals wirklich,” sagt Cassandra Jenkins. “Es ändert nur die Form.”
Die Kompositionen bieten bei aller Trauer und Freude, bei aller Melancholie und allem Frohsinn Hilfe zur Selbsthilfe an.
Gemeinsam mit Produzent und Multiinstrumentalist Josh Kaufman gestattet Cassandra Jenkins ganz neue Einblicke in das Leben. Sie reflektiert ihre vergangenen Reisen über drei Kontinente, ihre Wanderungen und Besuche in Museen und Parks. ´Hard Drive´ beginnt mit Jenkins Vortrag über einen Besuch im ehemaligen Museum “The Met Breuer” in Manhattan, bei dem eine Wachfrau über “Phenomenal Nature” und Mrinalini Mukherjees Skulpturen plaudert. Das Saxofon erklingt und Jenkins unterbricht ihre Rede nur für den gehaucht gesungenen Refrain.
“Wenn wir unsere Verbindung zur Natur verlieren, verlieren wir unseren Geist, unsere Menschlichkeit,” erklärt Cassandra Jenkins weiter und singt in der Eröffnung ´Michelangelo´ über einen dreibeinigen Hund. Sie klingt wie Neil Young, der sein Solo lauter und lauter im Dröhnen loslässt. Cassandra Jenkins’ Gesang kommt hingegen eher einem lieblichen Flüstern gleich. Ein paar Streicher fügen sich neben Gitarre und Klavier ein.
Die Akustikgitarre von Cassandra und die Gitarren von Josh Kaufman, die Flöten von Stuart Bogie sowie die Violinen von Oliver Hill erzeugen im wunderschönen ´Crosshairs´ diesen warmen Klang, in dem sich die bezaubernde Stimme wohlfühlt, um loszulassen, um sich in die Arme eines Fremden zu werfen und die Gitarren wieder kurz dröhnen zu lassen: “All I want is to fall apart, in the arms of someone entirely strange to me. In your eyes I see the panoply. All the people inside me.”
Federleicht singt Cassandra Jenkins ´New Bikini´ über die Heilungskraft des Wassers, derweil der Jazz-Besen zum Klavier kreist und wieder das Saxofon von Stuart Bogie ertönt: “Go to the ocean. The water, it cures everything.” Gefangen in der Poesie umspielen die Synthesizer ´Ambiguous Norway´: “The poetry. It’s not lost on me. I’m left asking. How it found me. The poetry. It’s not lost on me. I walk around alone. Laughing in the street.”
Die zurückgehaltenen Töne spielen eine große Rolle in Cassandra Jenkins’ Werk. Das Harmonium surrt leicht, Banjo und Akustikgitarre werden gezupft, wenn der Gesang in ´Hailey´ ansetzt. Zu Field Recordings, Vögel- und Kinderstimmen sowie weiteren Geräuschen gesellen sich im finalen ´The Ramble´ Gitarren und Synthesizer, Drone und Voyager. In der ´The Ramble´-Version mit langem Intro rezitiert Cassandra über ihren Rückzugsort Mutter Natur, an den sie immer wieder heimkehrt.
Die Natur spendet Kraft und Heilung. Die Schwierigkeit des Phänomens: Um für die Signale der Natur empfänglich zu sein, sollte der Mensch ebenso wie zur Musik von Cassandra Jenkins emotional leer oder aufgeladen sein.
(8,5 Punkte)
https://cassandrajenkins.bandcamp.com/album/an-overview-on-phenomenal-nature
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Pic: Wyndham Boylan-Garnett