FRAYLE – 1692
~ 2020 (Lay Bare Recordings/Aqualamb) – Stil: Heavy Witch Doom ~
´1692´, das Jahr der Hexenprozesse von Salem, ist bis heute ein blutroter Schandfleck in der Geschichte Neuenglands, und hatte Einfluss bis hinein in die Verfassung der USA. Infolge des in den Kolonien ausgetragenen Krieges zwischen England und Frankreich wurden die Küstensiedlungen von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten überschwemmt und verstärkten die dortigen wirtschaftlichen Konflikte zwischen den armen Bauern und dem aufstrebenden Kaufmannsstand. Hinzu kam die ständige Bedrohung durch Überfälle nativer Stämme, die von den strenggläubigen Puritaniern als Kollaborateure des Teufels in flammenden, mehrstündigen Sonntagspredigten gebrandmarkt wurden. In dieser angespannten Atmosphäre voller Angst, Neid und Gier entwickelte sich eine beispiellose Massenhysterie, die in Anklagen wegen Hexerei gegen über zweihundert Menschen, wie schon zuvor in Europas Mittelalter zum größten Teil Frauen, mündeten; zwanzig Todesurteile wurden vollstreckt, weitere Angeklagte starben im Gefängnis.
Wie so oft waren die Opfer meist Menschen vom Rande der Gesellschaft: Farbige und Sklaven, Bettler und Witwen – wehrlose Outcasts, die, um in den Verhören ihren eigenen Kopf zu retten, wiederum viele andere anklagten. Ein abschreckendes Beispiel dafür, wohin soziale Isolation, fanatischer Glauben und gesellschaftlich angestachelte Angst vor dem Fremden, dem Anderen und Unkonventionellen führen können – ein Thema, das aktueller nicht sein könnte.
Das Eigene und das Fremde, Schwarz und Weiß, gut und böse –Gegensätze trennen, aber faszinieren genauso und ziehen sich an. Oder lassen es mal ordentlich krachen, wie im Falle von Gwyn Strang und Sean Bilovecky, dem Duo, aus dem die Band FRAYLE hervorging. Das Spiel mit extremen Kontrasten dient ihnen dabei, einen „sicheren Hafen zu schaffen … für diejenigen, die wegen ihres Glaubens ausgesondert und verfolgt wurden”. Dies gelingt gerade durch Gwyns engelsgleichen, fragil-schwebenden Gesang, der die dahinterliegende Kraft jedoch niemals verleugnet, ganz hervorragend. Denkt euch Debbie Harrys verlorene, in einer einsamen isländischen Waldhütte unter den Fittichen eines Kräuterweibs namens BJÖRK aufgewachsene Tochter, kundig der Magie einer Beth Gibbons und vor allem so mächtig, euch durch sirenengleichen Gesang in ihren Bann zu schlagen. – Gwyn ist FRAYLEs strahlend-zerbrechliche Seele und weise Muse zugleich.
Unter ihre hoch vibrierenden Stimmbänder legen Bilovecky & Konsorten ein zäh-schlammiges Fundament aus extrem basslastigen, schwermütig lang verhallenden Riffs, so heavy, dass sie die Saiten ganz tief gebeugt, erst kurz über dem Erdboden anzuschlagen schaffen (siehe das Video zum Anspieltipp ´Gods of No Faith´, weitere Favoriten sind ´Burn´ und vor allem ´Darker Than Black´), SLEEP lassen nicht nur von der Jeansjacke grüßen, YEAR OF THE COBRA und KING WOMAN stehen Spalier für (nicht nur Bass’n’Drum-) Wumms zum einen und Atmosphäre zum anderen, und natürlich den Gesang; auch (DOLCH) kommen hier schnell in den Sinn. Langsames, schweres und breitbeinigstes Orange- und Delay-Worshipping, brachiales Schlagzeug, konterkariert und gleichzeitig dynamisch ergänzt vom ätherischen, zuweilen fast kindlich-spöttischen Gesang, das bietet in dieser Spielart und vor allem auf diesem Niveau aktuell niemand sonst, und damit ist die Scheibe wie geschaffen dazu, die fiebrigen Träume jedes Doom-Aficionados zu versüßen. Es ist ein metaphysisches Erlebnis zwischen Himmel und Erde, zwischen Hinwegschweben und von dicken Saiten an der Erde festgehalten werden, was die Musik der Clevelander so eindringlich und unvergesslich macht -„lullabies over chaos“ eben, mit selbstreflektierenden bittersüßen Lyrics. Beeinflusst vom zurückgenommenen Trip-Hop PORTISHEAD’scher Art legen sie kunstvoll Schicht um Schicht an verhallten Klängen und gespenstischen Melodien auf die Waagschalen, die niemals die Balance zwischen Heavyness, Komplexität und kühler Klarheit verlieren, und das alles bei glasklarer und druckvoller Produktion, die den starken Dynamiken dieser Musik viel Raum lässt. FRAYLE definieren mit ´1692´ eine extrem moderne und weit offene Auffassung dessen, was Doom heute sein kann, und könnten damit nicht nur ganz neue Hörerschichten für Doom und Metal begeistern, sondern sind zuallererst starke Kandidaten für die weltweit ganz großen Bühnen – sobald diese endlich wieder bespielt werden können.
(8 schwarzviolette Hexensabbathe)
Für die Bücher: 2017 gegründet, ist ´1692´ FRAYLEs Debütalbum; zwei EPs, ebenfalls zum Bandthema Hexen, gingen ihm bereits voraus, es gibt also noch einiges zu entdecken, vor allem die Videos mit ihrer ganz eigenen Ästhetik. Und wieso ich diesmal nicht auf einzelne Songs eingegangen bin, erfahrt ihr hier von den beiden Protagonisten selbst in der Mini-Dokumentation „Behind the Doom“: