CONVULSE – Deathstar
~ 2020 (Transcending Records) – Stil: Progressive (Death) Metal ~
Spät im Jahr erschienen, bisher von der Musikkritik weitgehend unbeachtet und somit leider auch in kaum einer Favoritenliste aus 2020 auftauchend, ist das neueste Werk von CONVULSE ein veritabler Geheimtipp – und zwar bei weitem nicht nur für aufgeschlossene Fans der ehemals Elchtod-Pioniere, sondern für alle Freunde treibender, abwechslungsreicher Musik mit Wurzeln genauso tief im progressiv-bluesigen Heavy Rock der 70er wie im skandinavischen Extremmetal der 90er.
Dreissig Jahre nach Bandgründung (von 1994 bis 2012 lag die Band auf Eis) ist die aktuelle Stilistik der Finnen nur noch marginal unter Death Metal abzulegen, und hat ausser Ramis Kellergrowlen weder mit den klassischen Elchtod-Anfängen der Band viel zu tun, noch lässt sie sich der experimentellen, stark Groove/Death‘n’Roll-beeinflussten ´Reflections´-Phase zuordnen. Ohne zuviel an Fazit vorwegzunehmen, haben die Freigeister es mit dieser Platte geschafft, ihre bekannten Trademarks von extrem abwechslungsreicher Komposition und weit atmendem Sound bei bodenständiger Härte in neue, sehr komplexe Sphären und zuvor völlig unerkundete Weiten zu transportieren, in denen sich der verwöhnte Hörer für viele, viele Spins komplett verzückt verlieren kann, ohne dass es ihm jemals langweilig werden würde. Und wie das die ganze Platte durch einfach nur groovt, das muss diesen junggebliebenen Veteranen erstmal jemand nachmachen!
Schon die Single ´The Summoning´ hatte vor zwei Jahren angedeutet, dass das Trio die Linie des bereits sehr progressiven 2016er Vorgängers ´Cycle Of Revenge´ fortsetzen würde, aber welch düsterer und gleichzeitig kaleidoskopisch in vielerlei Klangfarben funkelnder Todesstern uns nun heimsuchen wird, war damals kaum zu erahnen. CONVULSE waren schon immer eine Band, die zwar als stilprägende Blaupause für etliche Nachfolger diente, schicksalshaft jedoch weitgehend unter dem Szeneradar flog, was nicht nur angesichts der grossen stilistischen Variabilität und vor allem dem Einfallsreichtum der Nordmänner extrem schade ist. Der nun vorliegende Sternenzerstörer kann mit all seiner Detailverliebtheit bei gleichzeitiger konzeptueller Stringenz jedoch unmöglich von irgendeinem Fan vielschichtiger und durchdachter Klänge ignoriert werden.
Was jedoch erwartet uns genau im Inneren des Todessterns? ´Extreme Dark Light´ beginnt logischerweise auf der dunklen Seite des Mondes, die zugleich so 70ies-reminiszent wie virtuos erkundet wird, um plötzlich, Tadamm!, in leadflirrendem Sternenstaub zu einem Boogie-Groovemonster mit himmlischer Gitarrenmelodie zu zerbersten. Und diese eigenartigen, grossen, an die Wegbegleiter von AMORPHIS (´Tuonela´!) erinnernden Melodiebögen werden uns in Folge immer mehr in ihren Bann ziehen, ´Whirlwind´ erzählt wieder diese typischen folkloristischen Geschichten aus dem Land der tausend Seen, setzt ihnen jedoch in der zweiten Hälfte nochmal ein Lehrstück an Sechssaiter-Suspense und RUSH-Verehrung oben drauf. Das bereits erwähnte ´The Summoning´ präsentiert unendliche nordische Weiten und klaren Sprechgesang, der so perfekt mit dem Growlen harmoniert wie zum tiefschwarzen Textkonzept kontrastiert. Gerade durch die weiterhin uncleanen Vocals erinnert die Entwicklung der Finnen an CHAPEL OF DISEASEs letztes Meisterwerk, das sich zwar stilistisch viel mehr im Classic Rock bewegt, aber eben auch aus den Gegensätzen der gesamten Rockgeschichte eine ganz eigene, nicht mehr kategorisierbare Spielart erschafft.
Aus starken Kontrasten und scheinbar Unvereinbarem hartnäckige und denselben gleichzeitg lockernde Ohrwürmer zu erschaffen, ist generell der Stoff, aus dem auf ´Deathstar´ die Träume sind. ´Chernobyl´ bietet eine Hörspiel-Reise zurück nach 1986, ´We Sold Our Soul To Rock’n’Roll´ preist nochmals den guten alten Death‘n’Roll, und der Titelsong zeigt, wie man in einer Geschichte über den Untergang der Menschheit die Hochzeiten des Hard Rock gezielt mit Todesblei vermählt. Das nach Sänger und Gitarrist Rami Jämsä zweite Gründungsmitglied Juha Telenius verziert Irrwisch Ramis prägnante Riffs und Tappingläufe von ´Make Humanica Great Again´ (Anspieltipp!) mit seinen singenden fretless Bass-Vibratos und sorgt dafür, dass sich das Trio fett durch über vierzig Minuten groovt. Mit dem luftig-leichten, fast frühlingshaften ´Light My Day´ gehen wir einem versöhnlichen ´The End´ entgegen – „Still loving you“ flüstert Rami, es gibt noch Hoffnung für die Menschheit, wenn sie sich endlich zu Kooperation statt nur Koexistenz entschliesst…
Was für ein Trip! Wer jetzt nicht sofort die Nadel wieder am Anfang auflegt, hat kein metallisches Herz im Leibe. Und was für ein Spass muss das erst live sein! Genau darauf lasst uns nun hoffen, auf intensive Konzerte, bei denen wir uns trunken vor Freude in den Armen liegen und die noch viel länger als nur auf dem Heimweg in uns nachklingen werden. CONVULSE werden sie liefern, gar keine Frage.
(8,5 Punkte)