AMON SETHIS – Part 0: The Queen With Golden Hair
~ 2020/2021 (Independent) – Stil: Progressive Metal ~
Player, Player in der Hand, wer ist die beste Band aus dem Nachbarland? Es gibt diese Alben, in die man nur kurz reinhören will, da man eh mal wieder viel zu spät dran ist (papperlapapp – es ist nie zu spät für gute Musik, außerdem verdient manches einfach Schallplattenformat – kommt übrigens bald) und dann klebt man förmlich in den ersten Songs fest und fängt zwanghaft an, sich Notizen zu machen.
Schon in der Mitte des Albums ist das DinA4 Blättlein dann vollgekritzelt, man legt die Utensilien beiseite und genießt nur noch, während man sich im Hinterkopf bereits auf die nächsten Durchgänge freut. Bereits der Zweite im Auto führt zum kompletten Körperkontrollverlust, als ich von einem hochemotionalen Schrei aus meiner eigenen Kehle – gefolgt vom lauten Ausruf „wie Geil!“ – zurück in die Realität gerissen werde, nur um mich sofort wieder in die Traumwelt der laufenden Klänge zu flüchten.
Also ab nach Ägypten ins Land der Pharaonen und Legenden. Die eigene Stilbeschreibung „Oriental Progressive Metal“ ist zwar durchaus passend, doch um Exotik-Ängstliche ein wenig zu beruhigen, kann man getrost von „Monumental“ oder „Cineastisch“ reden, um der wahren Größe dieser Musik gerecht zu werden. Nach stimmungsvollem Intro schweben AMON SETHIS direkt mit ´Nitocris The Queen With Golden Hair´ auf den höchsten Wolken der mystischen Bombastgefühle und verstehen es meisterhaft, Metal mit fast soundtrackhaften Klängen zu verbinden – und das in sehr eigenständiger Weise.
War ´The Final Struggle´ bereits sehr gelungen, aber noch stark in herkömmlichen progressive Metal-Strukturen verankert, so explodiert der neue Opus förmlich über 72 Minuten durch Kreativität und sinfonische Arrangements – die ich jedoch nicht überzogen, sondern als überragend erachte – in eine neue Dimension und auch die Vocals erreichen durch gesteigerte Ausdruckstiefe als auch die zeitweise aggressive Prise Emotionalität ein weiteres Level. Die wenigen unrunden Stressfaktoren des Vorgängeralbums wurden harmonisiert, ohne das Gesamtergebnis zu verwässern – es gelang vielmehr der letzte Schliff, der ein nahezu perfektes Album hervorgebracht hat.
Wunderschöne Gesangslinien, denen im Refrain dezenter, sirenenhafter Chorgesang hinterlegt ist. Die klare, kraftvolle, hohe Stimme von Julien Tournoud klingt traumhaft und gelegentlich mit einem Fitzelchen „Midnight“-Magie vor einer abwechslungsreichen Instrumentenkulisse, die dynamisch abwechselnd druckvoll als auch gefühlvoll verführen kann. Wenn ich mir die Pyramiden auf dem ´Astronomica´-Cover von CRIMSON GLORY anschaue, frage ich mich, ob sie hier und da womöglich so geklungen hätten, wenn sie nach ´Transcendence´ ein ambitioniertes, sinfonisches Konzeptalbum über das Land der Pharaonen erschaffen hätten? Pure Spekulation oder ´The Conspiracy´ eines Nerds, der eine bestimmte Combo zu sehr vermisst? Abhilfe: Den gleichnamigen Titel hören und selbst fantasieren und entscheiden.
Julien und sein zweiter Gründervater Olivier Billoint hatten die zweifelhaft spannende Aufgabe, die Hälfte der Bandbesetzung von 2014 während der Aufnahmen zum neuen Album neu zu besetzen, was jedoch mit Drummer Sébastien „Bigballs“ Perrad, Laëtitia Bertrand, die auch „fretless“ wunderschöne Bassläufe einbringt und Keyboarder Adrien G. Gzagg augenscheinlich perfekt gelang. Darüber hinaus war Eliott Tordo für die orchestralen Arrangements, Aufnahme, Mix und Mastering zuständig. Die orientalischen Einflüsse sind zwar allgegenwärtig, klingen jedoch gar nicht so fremd, sondern ergeben eine Einheit mit den fesselnden Songgemälden.
Die Art des Songwritings von AMON SETHIS ist unglaublich spannend und lässt mich partout keine Vergleiche finden, was natürlich eine absolute Empfehlung für den Musik-Entdecker bedeutet. Am ehesten würde ich neben den wenigen obligatorischen Parallelen zu MYRATH eher SUNBLAZE, SYMPHONY X, VANDEN PLAS, VIRGIN STEELE oder KAMELOT in ihren mächtigsten, epischsten Momenten anführen, denn das ist es: Ein kraftvolles, monumentales, emotionales, fast cineastisches Werk. Dazu eine Prise des genialen Wahnsinns von BEYOND TWILIGHT. Allmächtiger!
Auf ihrem bereits dritten Album wandeln die Franzosen auf Lucas’schen Spuren und führen zum Prequel des bisherigen Schaffens um die geheimnisumwitterte „Siebte Ägyptische Dynastie“, welches von der tragischen Geschichte der Königin Notocris und ihrer Söhne Isias und Ateravis handelt. Einzelne Titel hervorheben erscheint mir fast unmöglich, da dieses Album für mich eine Einheit von durchgehendem Höhepunkt bildet – ein Werk zum Abschalten und zuhören. Ich will mal nicht so sein und empfehle wärmstens den VIRGIN STEELE – Epiktrack ´My Sister, My Love, My Pharaoh´, das spannend-dramatische, crimson-glorreiche ´The Conspiracy´, das gewaltige ´The Rise Of Aoutef’s Army´, den Orkan von ´Desert Storm´ mit etwas Growling, der Speedpowerfreak erfreut sich am bollernden Doublebassdrumming und der Aggressivität in ´Mask Of Wrath´ oder man lässt einfach den absoluten Rundumschlag des Finales ´From Dust To The Stars´ auf sich wirken, der in zehn Minuten alle Zweifel beseitigen sollte.
Das einzig Traurige an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass dieses Monumentalwerk von mir zu spät entdeckt wurde, doch der Release des Doppelvinyls Ende Februar (hoffentlich!) berechtigt seinen verdienten Platz in der laufenden Rangliste der Musikpharaonen 2021. Traumhaft. Kauf unumgänglich!