MeilensteineVergessene Juwelen

CHICKEN SHACK – Imagination Lady

~ 1971 (Deram) – Stil: Blues Rock / Hard Rock ~


Ende der 70er Jahre war ich irgendwo auf Verwandtenbesuch. Bei welchen Verwandten und warum, weiß ich nicht mehr. Ich weiß aber noch, wie ich aus Langeweile zu einer interessant aussehenden Doppel-LP ´Stan The Man´ einer Band namens CHICKEN SHACK griff, obwohl der Bandname nicht gerade große Erwartungen bei mir auslöste. Im Innencover war ein verwegen aussehender Gitarrist zu finden, der sein Instrument in Ekstase malträtierte. Ich war sofort von der Studio-LP ´Unlucky Boy´ begeistert (das war die eine LP, die andere war die Live-Aufnahme ´Goodbye Chicken Shack). Und Stan Webb und seine Gitarre eroberten einen festen Platz in meiner Plattensammlung.

Ende der 60er Jahre erschien Stan Webb mit CHICKEN SHACK auf der Bildfläche und war einer der führenden Vertreter des britischen Blues Booms auf dem “Blues Horizon”-Label. Die talentierte Pianistin Christine Perfect verlor er schnell an die Mitkonkurrenten FLEETWOOD MAC, wo sie als Christine McVie zu Weltruhm aufstieg. Bei Stan sah das anders aus….

Er wurde zu Beginn teilweise für seinen authentischen Blues gelobt oder auch heftig kritisiert, weil er nicht nur viele Freddie King (Blues-Gott!!!) Stücke nachspielte, sondern anscheinend auch ganze Melodiebögen und Akkorde von Freddie King und B.B. King rauf- und runterspielte. Das mag sein, das haben andere Bands aber auch gemacht (wie LED ZEP mit Muddy Waters). Stan Webb ist aber auf jeden Fall ein ganz starker Gitarrist. Leider wurde ihm nach dem kurzen Höhenflug zu Beginn nie die Ehre zuteil, die er nicht nur in meinen Augen verdient hätte.

Waren die ersten Veröffentlichungen noch stark am Blues ausgerichtet, so wurde sein Gitarrenstil Anfang der 70er deutlich härter und exaltierter und die Alben zunehmend mehr dem Rock zugewandt. Außerdem profilierte sich Stan Webb zunehmend als Songwriter und war auch immer ein sehr respektabler Sänger.

´Imagination Lady´ ist für mich sein stärkstes Album. Mit ´Crying Won’t Help You Now´ beginnt das Album noch mit einer gewohnten Blues-Coverversion, aber schon stark im Rock-Kontext verortet. Aber spätestens mit der hervorragenden Eigenkomposition ´Daughter Of The Hillside´ mit den feinen Wah-Wah-Soli werden alle lästigen Schatten vertrieben. Die Version des Klassikers ´If I Were A Carpenter´ gehört zu den besten Coverversionen des beliebten Stückes (auch Robert Plant hat später eine hervorragende Variante abgeliefert). Mit dem Klassiker ´Poor Boy´ und ´Telling Your Fortune´ (überlang, war schon in anderer Version auf dem Vorgängeralbum) reiht sich Stan Webb spätestens in die Reihen der Guitar Heroes ein und spielt eine aggressive, von Feedback-Orgien ausgezeichnete Gitarre. ´Poor Boy´ blieb bis heute sein bekanntestes Stück (neben dem Blues-Klassiker ´I’d Rather Go Blind´ von den Anfangstagen). In einem Zeitungsartikel war zu lesen, wie Stan mit einem 40m langen Kabel durch die Zuschauer wanderte. Ich habe Stan Webb seit 1982 des Öfteren live gesehen. Ja, er wanderte gerne durch das Publikum. Er war nicht immer richtig fit. Ich erinnere mich an ein Konzert in Stuttgart, wo er nach jedem Song ein Bier auf ex getrunken hat. Und vor jedem Song noch eines. Aber er war immer präsent und gab sein Bestes und an guten Tagen spielte er den kompletten Club (größere Auftrittsorte als Clubs gab es für ihn nicht mehr) in Grund und Boden. Außerdem hat er den typischen britischen Humor und nahm sich auch nicht immer selbst so ernst.

Die Mitmusiker seines Power-Trios sind auf ´Imagination Lady´ übrigens nicht schnödes Beiwerk. Der leider früh verstorbene John Glascock (später bei JETHRO TULL) spielt einen trockenen Bass und hält das Trio zusammen. Paul Hancox hat einen gnadenlosen Drumbeat und auf ´Telling Your Fortune´ ist – meiner bescheidenen Ansicht nach – eines der besten Studio-Drumsoli enthalten, dass dank der kongenialen Produktion von Neil Slaven auch heute noch zu verblüffen mag. Auch der Nachfolger ´Unlucky Boy´ hatte nicht nur eines der witzigsten selbstironischen Cover (Stan Webb hatte das Musikgeschäft schnell durchschaut!), sondern mit dem wieder genialen Hancox an den Drums (warum wurde der nicht berühmt?), Bob Daisley am Bass und Tony Ashton am Piano und Songs wie ´Jammin‘ With The Ash´ viel Potenzial. Aber typisch für Stan Webb: Es gab kaum eine Platte mit gleicher Besetzung. Die Band glich nicht einem Hühnerstall, sondern einem aufgescheuchten Hühnerhaufen. Auch Ende der 70er Jahre und Anfang der 90er gab es sehr gute Studio-Alben von Stan Webb, vor allem immer wieder gute Live-Platten. Ich habe einiges im Platten- und CD-Regal stehen. Der gute Stan ist auch noch am Leben und tourte hin und wieder in der Prä-Corona-Zeit durch deutsche Lande. Im Oktober 2021 soll er wieder Deutschland bereisen. Einfach in dieses starke Werk reinhören!

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