KYLIE – Disco
~ 2020 (BMG Rights Management) – Stil: Disco Pop ~
“Wenn wir unterwegs waren und du in einen Club gehen konntest, hast du manchmal nur deine Augen geschlossen und getanzt, weißt du? Vielleicht können wir das umkehren – du bist allein, aber du schließt deine Augen und hörst diese Musik”, sagte Kylie Minogue kürzlich zu The Cut.
Einfach die Augen schließen, sich mit Kylie in die ´Disco´ reinbeamen und das Leben erreicht wieder seinen normalen Aggregatzustand. Auch eine Möglichkeit, den Ängsten der Gegenwart zu begegnen. Die in Melbourne geborene Australierin lebt heutzutage in Surrey Hills, England, und nahm ihr 15. Album während der Quarantänetage im Frühjahr 2020 auf.
Überwiegend sogar bei sich zu Hause konzipiert und produziert, schloss Kylie Minogue einfach die Augen, gedachte einer anderen, einer besseren Welt und befand sich damit plötzlich wieder in der glitzernden Welt der 70s und 80s, als die Disco-Kugel im musikalischen Kosmos die stärkste Anziehungskraft für Jung und Alt ausstrahlte.
Selbst wenn in diesen Monaten einer anderen Normalität sich gleichfalls weitere Musiker an glorreiche Dancefloor-Tage erinnern, etwa Roísín Murphy oder Dua Lipa, vergaß die Sängerin in ihrer Isolation schnell wieder den Cowboy-Hut des Vorgängers ´Golden´ und wandte sich unter der Mithilfe von Sky Adams, Teemu Brunila, Biff Stannard, Lisle Campbell, Jon Green, Troy Miller und Ph. D im Studio 54 den glasierten Streichern, der Glitzerwelt, den windigen Melodien und schmiegsamen Refrains, der Flimmerwelt, den elastischen Rhythmusgitarren, der Schimmerwelt zu. “Er muss optimistisch sein, mit einem Gefühl von Euphorie. Es braucht eine starke Melodie. Und einen Hauch Feenstaub”, sagte Kylie Minogue einst zu BBC News über den perfekten Song.
“Licht aus, Spot an!” Die mittlerweile 52-jährige Sängerin, die 1986 durch die Seifenoper “Neighbours” und den Song ´I Should Be So Lucky´ weltberühmt wurde, präsentiert schlichtweg ihr Anti-Aging-Album. Keine vordergründig zu erkennenden Welthits, ´Last Chance´ geht sofort in Ohr und Glieder, aber konstante Tanzflächenfüller: Calypso-Fieber in ´Monday Blues´, einige Bläser in ´I Love It´, der kleine Hinweis auf ´I Will Survive´ in ´Where Does The DJ Go?´, EARTH, WIND & FIRE bei Kylie ohnehin immer im Hinterkopf, die schummrige 70s Atmosphäre in ´Miss A Thing´, Kiekser und Handclaps zu ´Magic´. “Do you believe in magic?” Natürlich glauben wir an die magischen Kräfte der Discokugel. Denn wer möchte schließlich behaupten, dass die Achtzigerjahre gruselig waren? “Ich hatte bloß tragische Frisuren und Outfits”, erinnerte sich Kylie Minogue einmal in den Stuttgarter Nachrichten.
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Ich hatte schlicht schulterlange Haare, sinniere ich gedankenverloren, derweil ich diese Zeilen über Kylie online in den Gelben Seiten lesen. Was waren das auch für gottverdammt geile Jahre. Okay, in den frühen Siebzigerjahren war ich noch ein kleiner Hosenscheißer, aber in den Achtzigerjahren tanzte Euer kleine Mick schon wie der Bär über die Tanzflächen. Keine Scheu vor jungen Rehkitzen. Diese vielleicht erst selbst, als zum Ende jener Dekade “Thunder” auf diesen ausgerufen wurde.
Die musikalische Vielfalt blühte schließlich in den Neunzigerjahren erst richtig auf – und “Blühen” ist momentan ein gutes Stichwort, um an meine Magic Mushrooms zu denken, die allzeit schön feucht gehalten werden müssen, wie mir Kaia bei ihrem letzten Besuch als abschließenden Tipp für meine neu gewonnene Leidenschaft der Pilzzucht mitgab. Mit einem kleinen Zuchtset habe ich es jetzt in der Kammer nebenan im Baumhaus versucht, immer ein feuchtes und sauberes Milieu zu gewährleisten. Schon nach zwei, maximal fünf Tagen sollen sich dort meine kleinen Leckerlis voll entwickelt haben. “Du wirst es dann an den Fruchtkörpern sehen und spüren”, bemerkte Kaia nebenbei. Womöglich ist bereits der Tag der Ernte nahe. Wollen wir uns mal Micks-Zauberpilze anschauen.
Dass Kaia aufgrund meiner eigenen Pilz-Experimente jetzt seltener im Baumhaus vorbeischauen könnte, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Meine allerliebste Lieferantin für Imaginationsfeuerwerke sitzt oder liegt sogar öfters auf meiner Couch als jemals zuvor.
Seit heute Morgen warte ich ohnehin sehnsüchtig auf ihren Besuch, vermisse ich doch seit Tagen den Duft ihrer Haut und ihres Atems. Ich liebe es, wenn sich ihre Haut ganzkörperlich und ihre Härchen voller Sinnlichkeit dauerhaft aufstellen. Und jetzt klingelt es plötzlich an meiner Tür. Bis ich jedoch diese geöffnet habe, auf dem Weg sogar „ich komme“ rufend, ist vor dem Haus niemand mehr zu sehen. Es kommen ja auch täglich immer mehr Boten, der gelbe, der blaue oder der weiße, noch unauffällige Bote klingeln, klopfen oder stellen ihre Päckchen einfach vor die Haustür, legen sie um die Ecke auf die Veranda oder stellen sie auf dem Hintereingang zu. Unmengen fliegen hier werktäglich ein. Zeit, all diese schöne Musik zu hören, andere Dinge treffen nämlich eher selten ein, ist zumeist völlig unzureichend vorhanden.
Wollen wir also erst einmal dieses kleine Päckchen öffnen und stellen es auf die Anrichte. Ich nehme ein Messer, um die, das Paket zusammenhaltenden Klebestreifen einzureißen. Ritsche, ratsche, diese Tücke, hat jetzt gleich verloren. Nun komme ich an die wertvollen Stücke heran und ziehe flugs drei neue CDs heraus. Seltene Gäste, aber immer willkommene, da ich eigentlich Langspielplatten unterdessen wieder mehr verehre. Die neue Kylie Minogue habe ich mir aber in weiser Voraussicht im glänzenden DigiSleeve geordert, um sie vielleicht meiner lieben Kaia zu überreichen, sofern sie mich heute besuchen kommt. Denn Kaia kennt Kylie noch aus der 80er TV-Serie, die ich, ortsabhängig einst erst ohne Privatfernsehen, nie gesehen habe; womöglich nie geschaut hätte, weil die Untermalung des Lebens mit Musik schon damals im Vordergrund stand.
Wiederholt klopft es sachte an der Tür, wiederum ist niemand anzutreffen. Ich schaue nach links und nach rechts, keiner zu sehen. Nicht ganz unerwartet liegt ein paar Meter von mir entfernt etwas quadratisch Flaches im Gras. Sollte sich wohl um weiteres Vinyl für die Sammlung handeln. Einen größeren Satz machend, schnappe ich mir die pappige Verpackung und ein umherliegendes Cuttermesser zum Öffnen. Im gleichen Moment tippt mir jemand auf die Schulter. Ich drehe mich in der Schrecksekunde ruckartig herum und blicke direkt in die, nur wenige Zentimeter vor mir stehenden Augen meiner Nachbarin. Mit einem mehr als nur netten Lächeln schaut sie mich an. Sekunden werden zu Stunden und ich kann mich nicht erinnern, wie lange wir so beieinanderstehen. Unsere Lippen kleben aneinander, obwohl sie sich nicht berühren. Keiner bewegt seine auch nur einen Millimeter, aber es kommt mir vor als würden wir uns nächte- und tagelang all unsere Geschichten erzählen. Die Sonne geht bereits unter und als es unverhofft stockdunkel ist, hüpfen in allen Ecken der Ebene Glühwürmchen vor Freude.
Wie kann dies im Herbst sein? Wahrscheinlich träume ich nur. Jetzt ploppen sogar Lichtstrahler in den Ecken auf. Es bleibt schummrig und ich sehe tatsächlich Discokugeln, sich in allen Himmelsrichtungen im Glanz und Glitzer zu drehen. Als ich meinen Kopf nach rechts wende, kommt Kaia den Pflasterweg heraufgelaufen. Oder ist es Kylie in ihrem güldenen Glitzerkostüm? “Shining like a supernova, brightest of the stars, from another galaxy like Jupiter and Mars.” Hinter ihr marschieren sechs Männer im Tanzschritt einher. Meine Nachbarin tritt ein bis zwei Schritte zurück, derweil wir das Spektakel beobachten. Kylie, oder Kaia, tanzt funkelnder als eine ganze Kultur Mushrooms strahlen kann. “Baby, you can light up the dark like a solar scape.” Die Arme in die Luft – die Arme nach links, die Arme nach rechts. Die Beine nach links und rechts – die Beine kleben in der Höhe als gäbe es keine Schwerkraft. “Do you believe in magic?” Die Discokugeln drehen sich dazu immer schneller und schneller. “Would you be my dance floor darling?” Ein Feuerwerk aus glitzernden Lichtbrechungen entzündet den düsteren Abendhimmel. Ich fange an, mich zu den Sounds und Moves zu bewegen. “She know how to party, but nothing like me and you. Got that perfect body, but she ain’t got the moves. We got something better, got that real groove, baby.” Ich drehe mich und drehe mich, ich kreise und kreise um meine eigene Achse. Aus heiterem Himmel werden meine Beine abrupt schwach und ich drohe umzufallen, doch zwei Arme fangen mich auf. Schwarz vor Augen reißt mein Film hier ab. “Where does the DJ go, go, go, when the party’s over tonight?”
Im Nachhinein nicht viel später wache ich wieder klaren Kopfes auf, splitterfasernackt neben meiner Kaia liegend, sie ebenso nackt wie Gott Eva geschaffen hat. Kaia lächelt, ich lächle zurück. Wir schließen die Augen wie zum Tanzen in der Disco – “Cause the night ain’t even over yet. Gonna take you where the music never ends!” – und ich beginne behutsam, an Kaias Disco-Kugeln zu lecken und zu schlecken.
(7,5 Punkte)
https://www.facebook.com/kylieminogue
Pics: Charlie Gray, David Lopez Edwards