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BRUCE SPRINGSTEEN – Letter To You

~ 2020 (Columbia) – Stil: Rock ~


Bruce Springsteen ist selbst mit 71 Jahren noch “On Fire”. Er ist derzeit sogar der einzige Musiker, der in jedem der verstrichenen sechs Dekaden mit mindestens einem Album in den Top 5 der Billboard-Charts anzutreffen ist. Sein 20. Studioalbum ´Letter To You´ rauscht direkt auf Platz zwei der Charts. Er ist halt “The Boss”, es kann nur einen geben.

Aufgewühlt vom Tod seines alten Freundes George Theiss, der zu den Musikern von Springsteens erster echter Band THE CASTILES gehörte, wurde ´Letter To You´ im November 2019 in nur sieben Tagen geschrieben und in nur vier Tagen auf seiner, in ein Studio umgebauten Farm in New Jersey aufgenommen, gemeinsam mit der E Street Band: Nils Lofgren und Steven Van Zandt an den Gitarren, Garry Tallent am Bass, Max Weinberg am Schlagzeug, Roy Bittan am Piano/Keyboard, Jake Clemons am Saxofon – und Ehefrau Patti Scialfa aus dem Background ihren Gesang einstreuend.

Drei der zwölf Kompositionen schrieb Springsteen lange vor seinem 1973er Debüt ´Greetings From Asbury Park, N.J.´. Diese waren in ihrer Tiefe und lyrischen Ausdrucksform weitaus mehr im Sinne von Springsteens Vorbild Bob Dylan geschrieben, erweisen sich dennoch als zeitlose, alle Tage überdauernde Großtaten. Die Grenzen zwischen 1970 und 2020 verschwimmen, es gibt kein Gestern und kein Heute mehr.

Das Lebenslicht lodert feurig, der Boss zeigt sich sentimental. Er ist selbstverständlich nicht mehr der wilde, junge Mann der Achtzigerjahre, aber auch nicht mehr der depressive Mann seiner Midlife-Crisis. Er ist angekommen, hat Frieden mit sich selbst geschlossen, ist als Mensch gewachsen.

´Letter To You´ ist geradezu ein Geschenk an die gesamte Anhängerschaft, die ihm seit 50 Jahren folgt – mit Gitarren, Klavier, Saxofon und Glöckchen im Breitwand-Epos der Heldenjahre. Der Boss setzt sich selbst ein Denkmal.

Der große schwarze Zug des Todes rollt unaufhaltsam auf uns alle zu. Unsere Gedanken sind bei denen, die schon gegangen sind. Springsteen denkt besonders an den Saxofonisten der E Street Band, Clarence “Big Man” Clemon, und den genannten George Theiss. In der einen Minute sind sie noch hier, in der nächsten bereits von uns gegangen (´One Minute You’re Here´). Vereint begannen sie vor vielen Jahren, “when you were hard and young and proud”, die “Rock of Ages”, doch jetzt ist Springsteen der letzte Musiker (´Last Man Standing´), der letzte Überlebende der CASTILES, denen er 1965 beitrat, nachdem er seine erste Schülercombo ROUGES verlassen hatte, und ehrt seinen Kumpel George Theiss gar mit einem weiteren Lied (´Ghosts´), das der hoffnungsvollsten Zeile des Werkes Leben schenkt: “I’m alive and I’m coming home.”

Glaube und Liebe. Springsteens Gefühlswelt wird zutiefst in Flammen gesetzt (´Burnin’ Train´), einerseits von seiner Patti Scialfa, die er 1991 heiratete. Außerdem sollte niemals die Berge versetzende Macht eines Gebetes unterschätzt werden (´The Power Of Prayer´), stellt es schlussendlich zumindest eine spirituelle Verbindung her. Der katholisch aufgewachsene Springsteen sagte einmal, dass du vor deiner Religion davonlaufen kannst, nicht jedoch vor deinem Glauben. Bilder des Wilden Westens sowie biblische Bilder des christlich geprägten Springsteen (“die Jungfrau Maria leitet den Saloon, der Heilige Geist ist der Gastgeber”) zeigen den Schreibstil des jungen Bosses (´If I Was The Priest´).

Er schreibt alles in seine Texte hinein, was er in den vergangenen Jahrzehnten in guten wie in schlechten Tagen erlebt hat (´Letter To You´). Schreiben heilt im Grunde die Sorgen und Ängste der Seele. Einer Janey helfen hingegen ein Arzt, ein Priester und ein Polizist eher nicht, weil den Platz des Behüters jemand anderes einnehmen muss (´Janey Needs A Shooter´). Einen Zufluchtsort bietet uns die Musik, alle sind willkommen, im ´House Of A Thousand Guitars´, einem Hymnus auf das Leben und die Musik, in dem Springsteen nichtsdestotrotz einmal kurz politisch austeilt (“The criminal clown has stolen the throne”). Selbst der Trickbetrüger, der den Bauern Hilfe bei der Dürre verspricht, könnte im US-Wahljahr 2020 als politischer Demagoge gedeutet werden, obgleich ´Rainmaker´ vor weit über einer halben Dekade geschrieben wurde.

Die Erinnerung an alte Weggefährten und Erlebnisse, nach endlosen Jahren, schier endlosen Wegen, ist gleichwohl die zentrale Metapher. Dabei bleiben fortan unauslöschlich in diesen die letzten Gedankengänge: “I’ll see you in my dreams, we’ll meet and live and laugh again” (´I’ll See You in My Dreams´). Denn eines ist gewiss: “Death is not the еnd.”

(9 Punkte)

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