LOGOS – L’Enigma Della Vita

Mario Wolski20. Oktober 2020

~ 2014/2020 (Independent) – Stil: Prog Rock ~

Gerade erst das aktuelle Album ´Sadako E Le Mille Gru Di Carta´ entdeckt, festgestellt, die Vorgänger sind ausverkauft, da ist zu lesen, ´L’Enigma Della Vita´ wird neu aufgelegt. Als Dank an Unterstützer und Fans erweitern LOGOS ihren 2014er Dreher um eine zweite CD. Diese glänzt mit sechs Livetracks von Festivalauftritten in 2015-2017 etwa in Villersexel, beim renommierten Rock au Chateau oder im heimischen Verona.

Dort gründeten sie sich 1996 unter dem Einfluss von LE ORME oder BANCO DEL MUTUO SOCCORSO. Im Laufe der Jahre entstanden mittlerweile vier Langspieler. Dieses hier ist der dritte Dreher, ein thematisch geschlossenes Album, auf der Suche nach dem Geheimnis des Lebens.

Ist das Leben ein Geheimnis? Oder besteht es aus Zufällen? Ein Mann trifft eine Frau, ein Spermium eine Eizelle, Geburt, Kindheit, Kampf, Flucht, Krieg, Not. Oder ein Leben im Überfluss. Was der Mensch erlebt, glückliche Fügung oder Vorbestimmung? Große Fragen für jeden kleinen Menschen. Große Fragen eben auch für LOGOS.

Eher zufällig hatte ich beim Hören des Albums einen Bildband zum Maler Giovanni Battista Tiepolo in den Händen und vor Augen. Das passt zusammen. Er stammte aus der gleichen Region, hat auch in Verona und Umgebung Kirchen und Residenzen mit Bildern ausgestattet. Dass er zu seiner Zeit in seinem Metier führend war, seine Wege ihn bis nach Würzburg, gar bis Madrid führten, seine Kunden gar in England lebten, sei hier nur eine Fußnote. Aber sicher wünschen sich auch Musiker wie LOGOS solche Reichweite.

Wichtig hier ist eher, auch wenn Tiepolo biblische oder mythologische Sujets verarbeitete, sein Thema war genau dies, das Geheimnis des Lebens. Schon in der Antike oder der Bibel, im Roman oder in der Oper, das eigentliche Streben der Kunst war genau das. Das Leben des Menschen mit all seinen Rätseln. Darum passen Tiepolo und LOGOS so wunderbar zusammen.

Auf solch alte Traditionen beruft sich bereits das Intro ´Antifona´. Dieses griechische Wort bezeichnet einen Wechselgesang, Rede und Antwort, eine Art von Gesang, wie er über Jahrhunderte in Klöstern im Stundengebet geübt wurde. Darauf folgt ´Venivo Da Un Lungo Sonno´. Dieser Zehnminüter, überraschend stark an IQ erinnernd, ist ein Ausblick auf das Album. Der Hörer findet Melodien zum Niederknien, der Kenner genießt ausgedehnte Instrumentalabfahrten und krumme Rhythmen. Selbst in der dramatischsten Szene findet sich Schönheit. Drama und Glück liegen dicht beieinander. Hier ist es die Geburt, als Erwachen aus einem langen Schlaf, ein einschneidendes Ereignis. Glück für die einen, Drama für das Neugeborene, ein großer Schritt in eine neue, fremde Welt.

Dann findet der Hörer Stücke wie ´N. A. S.´. Hier wir ganz Jazz-Rockig der Dissonanz gefrönt. Allein der Basslauf bei Sekunde 25, göttlich. So werden sie gebunden, die Knoten im Ohr des Hörers.

Oder nehmen wir ´In Fuga´. Fuga steht im Italienischen nicht nur als musikalischer Begriff. Es bedeutet auch einfach Flucht. Ein alten Thema, Menschen verlassen ihr daheim, wegen Krieg oder Hunger. Aeneas trug seinen Vater Anchises aus dem brennenden Troja. Die Heilige Familie zog laut Bibel gen Ägypten.

Während der Religionskriege verließen zahlreiche Hugenotten Frankreich und ließen sich etwa in der Pfalz nieder. Deutsche Bauern verließen im 19. Jahrhundert in Massen ihre Heimat, um in Amerika eine bessere Zukunft zu suchen. Diese Ströme ließen bis heute nicht ab, änderten nur ihre Richtung.

Giovanni Battista Tiepolo, Ruhe auf der Flucht, Staatsgalerie Stuttgart

Und genau wie Tiepolo Ängste und Nöte des Menschen ins Bild brachte, etwa in Person von Maria, Josef und dem Christkind, aber auch glückliche und idyllische Auenblicke, so gießen LOGOS solche Situationen in Töne. Etwa auch in Anlehnung an Bach’sche Fugen, so bekommt der Songtitel einen doppelten Boden.

Dann ist es da, das Ende des letzten Kapitels ´Alla Fine Dell’Ultimo Capitolo´. Solange jedoch die Flamme brennt, das Licht des Erinnerns, so lang werde ich da sein, als ein Bild, ein Ton, eine Erinnerung, ein Leuchten. Vielleicht ist das das Geheimnis des Lebens. Mag das jeder für sich selber lüften, vielleicht mit Hilfe dieser Doppel-CD.

Wer ihn liebt, den Prog aus Italien, der sollte LOGOS und ´L’Enigma Della Vita´ eine Chance geben. Sollte dies nicht ungehört vorüber ziehen lassen. Da gibt es so viel zu entdecken. Und sicher findet sich noch ein Obdach, dass dieses Album nicht einsam und verlassen durch die Wellt irren muss.

Sono una piuma vagante e qui mi poso
ad ascoltare ciò che mi dicono le foglie

(Ich bin nur eine fliegende Feder und hier kann ich hören, was die Blätter sagen.)

(9 Punkte)