THURSTON MOORE – By The Fire
~ 2020 (Draydream Library/Cargo) – Stil: Post Punk/Alternative/Experimental ~
Feuer kann sowohl eine behagliche, eine tröstende und eine lebenserhaltende Kraft sein. Flammen besitzen jedoch auch die Macht, unkontrolliert zu wüten und alles auf ihrem Weg zu vernichten. Das neue Album der Post Punk-Ikone THURSTON MOORE, `By The Fire`, bietet musikalische Ausdrucksformen dieser beiden Eigenschaften – und eine exquisit ausgewogene Melange aus Schönheit und Antrieb.
Bei der Kreuzung von Kunst und Pop überschießen etliche ehrgeizige Bands meistens grob und verachten dabei eine Dimension zugunsten der anderen. Zu künstlerisch für den Mainstream, aber andererseits auch zu zugänglich für den puristischen, alternativen Punk. Thurston Moore ist einer der seltenen Musiker, der seine gesamte Karriere damit verbracht hat, diese beiden Elemente auf leidenschaftliche Weise miteinander zu vereinen.
Dabei hat der mittlerweile Wahl-Londoner diesen Raum derart vollständig vereinnahmt, dass sein einst aggressiver Klang eine angenehme Vertrautheit erreicht hat. Die experimentellen Improvisationstriebe seiner zahlreichen Nebenprojekte finden sich auch auf seinen regulären Veröffentlichungen, und so wundert es nicht, dass er auch für sein jüngstes Werk einen Großteil der Musiker rekrutiert hat, mit denen er bereits in diesen Projekten kollaborierte.
Das All-Star-Team besteht aus dem Bassisten Deb Googe von MY BLOODY VALENTINE, dem zweiten Gitarristen James Sedwards (THIS HEAT), John Leidecker alias „Wobbly“, der seine ganz besondere Art von Klangkunst in den Mix eingebracht hat, sowie Drummer Steve Shelley, bestens bekannt aus der klassischen Besetzung von SONIC YOUTH.
`By The Fire` greift nun größtenteils auf die treibenden, meditativen Gitarren-Song-Streams zurück, auf die Moore sich in den letzten zehn Jahren konzentriert hatte und kanalisiert in erster Linie seine zunehmend nachdenkliche, sich entfaltende Herangehensweise an die Komposition. Mehr denn je verschmilzt er mühelos verstörende Klangelemente mit einfachen und eigensinnigen Melodien und erschafft dadurch abstrakte Epen mit nervenaufreibendem Potenzial, die sich von den Klassikern seiner früheren Stammband maßgeblich unterscheiden.
Die erweiterten Stücke pulsieren zwar ebenfalls mit einer rohen Dringlichkeit, durchdringen jedoch mit Repetitionen im Stile von CAN oder NEU!, wobei Passagen immerfort mit minimalistischen Variationen wiederholt werden, eben bis die optimalen Hypnosewerte erreicht worden sind.
So ist etwa das rund 16-minütige Herzstück des Albums, `Locomotives`, ein erstaunlich kraftvolles Kompendium aus massiertem Gitarrengeräusch und schwirrenden Rhythmen, das mit der unaufhaltsamen Kraft einer überhitzten Dampfmaschine abläuft und auch der Rest dieses durch und durch inspirierten, kraftvollen Albums ist an Innovation und Durchschlagskraft kaum zu überbieten.
Wo seine bisherigen Soloalben oftmals etwas langweilig und flach wirkten, flackert `By The Fire` immer wieder unaufhaltsam auf und brilliert mit seinen treibenden Beats und packenden Songstrukturen. Das Ergebnis ist nicht nur Moores bislang mit Abstand bestes Solowerk, es ist zudem die bemerkenswerte Musik, an der er jemals beteiligt war.
(9 Punkte)