POOR GENETIC MATERIAL
~ im 6-Augen-Gespräch ~
Eines der Prog-Alben des Jahres, das steht schon fest, stammt aus dem Rhein-Neckar-Delta. ´Here Now´ hat sich binnen kurzem in viele Progger-Herzen gespielt. Sogar ein Bericht im SWR-Fernsehen war die Folge, schließlich ist ein Herzstück des Albums, ´The Garden´, ein Longtrack über den Schloßgarten Schwetzingen. Und so entstand ein Special über dieses Lied und den (Gast-)Sänger Martin Griffiths, der Eingeweihten schon von BEGGAR’S OPERA bekannt ist. Für uns Streetclipper ist das der Moment, sich noch einmal genauer mit POOR GENETIC MATERIAL zu beschäftigen. Und so befragten wir Keyboarder Phillipp Jaehne (PJ) und die hauptamtliche Stimme Phillip Griffiths (PG) zu ihrem neuesten Baby.
Da die meisten Euch vielleicht eher nicht kennen, wer steckt denn hinter POOR GENETIC MATERIAL?
PJ: POOR GENETIC MATERIAL das sind Philip und Martin Griffiths (Gesang), Stefan Glomb (Gitarren), Pia Darmstaedter (Flöte), Dennis Sturm (Bass), Dominik Steinbacher (Drums) und meine Wenigkeit.
Wo seht Ihr die Highlights in Eurer Karriere?
PG: Ich habe ein Leben voller Highlights geführt. Im Ernst, musikalisch war das sicherlich die Tour meiner Band ALIAS EYE mit SAGA 2004 oder das ROSFEST 2004 in den USA. Das war schon etwas ganz Besonderes. Ich liebe es auch, mit POOR GENETIC MATERIAL Alben aufzunehmen; unsere Arbeitsweise liegt mir sehr und passt in meinen jetzigen Lebensstil sehr gut rein.
PJ: Da POOR GENETIC MATERIAL bis jetzt nicht live gespielt haben, können wir nicht auf besonders große oder gefeierte Auftritte als Highlights verweisen. Es sind dann immer die Album-Releases, die dann ein solches Highlight darstellen. Dabei ist sicher das letzte Album ´Absence´ besonders hervorzuheben oder das Doppelalbum ´Island Noises´. Einer meiner persönlichen Favoriten ist ´Spring Tidings´ von 2006. Mal schauen, wo sich das neue Album da einreiht ….
Ich habe Euch ja auch noch nie live gesehen. Woran liegt das?
PG: Tja, das hat mit unserer Arbeitsweise zu tun: wir nehmen ausschließlich Alben auf, wie die späten BEATLES….der Vergleich mit der besten Band aller Zeiten hinkt natürlich 🙂 , aber die BEATLES hatten auch unheimlich Spaß, im Studio zu werkeln, die Studiotechnik komplett auszureizen und endlos an Songs zu tüfteln. Das ist bei uns auch so. Wobei – es scheint mir schon so, als ob es in der Band gärt und wir doch Lust bekommen, das ein oder andere Konzert zu spielen…mich persönlich würde das freuen!
Eure Alben haben immer schon ein inhaltliches Konzept. Das hat angefangen mit den Jahreszeiten, es folgten zwei Literaturvertonungen. ´Absence´ und ´Here Now´, die beiden letzten Scheiben gehören nun irgendwie auch zusammen. Erklärt mal bitte genauer, wie sie das tun?
PJ: Es geht bei beiden um die Vergänglichkeit des Augenblicks. Jeder Moment, den wir erleben, ist bald Geschichte und nichts weiter als Erinnerung. So ist für alles Schöne, das wir erleben, ein Preis zu zahlen, da es eben irgendwann vorüber ist und zu etwas wird, an das wir wehmütig zurückdenken. ´Absence´ betont diesen Aspekt von Verlust und nicht Festhalten-Können an Personen, Ereignissen, Stimmungen, die eine Zeitlang unser Leben bestimmt haben, aber dann scheinbar mehr und mehr entschwinden.
´Here Now´ sieht die andere Seite dieser Medaille, nämlich dass tatsächlich nichts, was wir je erlebt haben, verschwindet. Es hat uns geprägt und es ist für immer bei uns. Wenn man es so will, ist ´Here Now´ die optimistische Sicht der Erfahrung, um die es in ´Absence´ ging. Beide Sichtweisen gehören zusammen, die eine ist ohne die andere nicht komplett.
Wie entstehen denn Eure Lieder, erst die Texte oder erst die Musik?
PJ: Immer zuerst die Musik. Stefan (Glomb, Gitarre) und ich schreiben die Grundlage jedes Stücks, legen den Aufbau fest und nehmen alle Gitarren- und Keyboard-Spuren auf. Dann kommen nach und nach die anderen dazu und spielen ihre Parts ein. Dabei haben sie absolute Freiheit und machen, was immer sie für passend für das Stück halten. So kommt am Ende oft etwas heraus, dass sich durchaus entfernt hat von unserer ursprünglichen Idee.
Die Texte sind auch fast alle von Stefan oder mir. Aber was die Gesangslinien anbelangt haben unsere Sänger natürlich ihre eigenen Ideen, so dass auch hier noch einmal eine neue Facette dazukommt.
Mein Höhepunkt auf dem neuen Dreher ist ganz klar ´The Garden´. Der stammt von Martin Griffiths. Gehörte das von Beginn an ins Konzept oder fügte sich das später ein?
PJ: The Garden ist nicht anders entstanden als die anderen Stücke. Die Grundidee und der komplette Aufbau von Stefan und mir, dann legt Dominik diesen Marsch-Rhythmus unter das Intro, der den Charakter völlig verändert. Und so ging es weiter. Ich hatte sogar schon einen Text für The Garden, aber dann kam Martin mit seinem fertigen Text, dem geschichtlichen Bezug und diesen genialen Gesangsmelodien. Da war klar, das ist es.
Was sind jetzt die ´Notes From My Younger Self´?
PJ: Ein Lieblingsthema von uns. Wie verändert sich das Selbst in der Biographie. Was würde der, der ich vor 30 Jahren war, heute zu mir sagen. Was würde ich antworten? Habe ich erreicht, was er damals erträumt hat? Oder bin ich froh, dass ich da nie hingekommen bin, dass ich da bin, wo ich bin? Gibt es Kontinuität zwischen diesen „Selbsten“ oder bin ich heute etwa eine andere Person?
Martin ist ja auch schon länger ein Teil des Teams. Wie kam es dazu?
PG: Mein Vater war schon immer an meinen Bands und Projekten interessiert, hat ja auch schon bei ´The Readiness Is All´ auf dem Album ´Field Of Names´ (2001) von ALIAS EYE mitgesungen. Bei PGMs ´Island Noises´ (2011) war er noch Erzähler, und dann stieg er voll ein und wurde zum Mit-Leadsänger der Band. Dieses Mal hat er zwar nur einen Song gesungen – dafür ist das aber auch gleich der längste! Mal sehen, was die Zukunft bringt!
Inwieweit ist denn Dein Vater für Dich Vorbild? Wieviel Einfluß hatte er auf Deinen musikalischen Weg?
PG: Natürlich hatte Papa einen riesigen Einfluss auf meinen musikalischen Werdegang. Wir haben immer zusammen gesungen – jetzt bereits über 40 Jahre lang – und ich genieße es sehr, mit ihm im Studio zu arbeiten. Er ist ein unglaublich guter Sänger und ich versuche jeden Tag, mir eine Scheibe bei ihm abzuschneiden….mich ehrt es, wenn Leute sagen, dass wir uns ähnlich anhören.
Treten Deine Kinder auch in Deine Fußspuren?
PG: Die Kids singen beide gerne, aber ich dränge sie nicht, mit mir zu singen oder bei einem Bandprojekt mitzuwirken. Wobei – wenn wir jemals Schlager produzieren, wäre das ja eine Option! :-). Nein, meine Kinder führen ihr eigenes Leben und werden sicherlich unbetretene Wege gehen.
Phillip Jaehne, und wo sind Deine musikalischen Vorbilder? Hast Du da auch jemand in der Familie?
PJ: Mein Vater war Solo-Flötist im Staatsorchester Rheinland-Pfalz. Das genetische Material gibt es also auch bei mir. Ich bin mit Musik aufgewachsen: Mein Vater hat zuhause geübt und unterrichtet, es gab eigentlich keine Minute, in der es in unserem Haus keine Musik gab. Irgendwann kam dann zu der klassischen Musik aus der einen Ecke des Hauses von der anderen Seite die der Beatles, von GENESIS, PINK FLOYD und KING CRIMSON dazu. 😉
Ihr habt ja noch mehr Standbeine. Was kann man von Dir noch hören?
PJ: Mit Pia Darmstaedter, unserer Flötistin habe ich das Ambient-Klassik-Prog-Projekt COARBEGH, mit dem wir schon drei Alben eingespielt haben. Im Unterschied zu POOR GENETIC MATERIAL spielen wir auch live und haben da schon einige sehr, sehr schöne Konzerte an wirklich besonderen Orten hinter uns.
Wer PGM-Stücke live hören will, sollte mal bei COARBEGH vorbeikommen, wir haben auch das eine oder andere im Programm.
Und wie siehst es bei ALIAS EYE aus? Was gibt es da zu berichten?
PG: Wir sind wieder in der Urbesetzung unterwegs und schreiben aktuell an neuen Songs. Dann steht noch im Frühjahr 2021 das Finale des Bandwettbewerbs SPH Music Masters in Montabaur an. Mal sehen, wo wir da landen!
Das Label QuiXote Music ist ja Euer eigenes. Was war denn Euer wichtigstes, was das erfolgreichste Release?
Im Ernst: das mit Abstand erfolgreichste war THE AMBER LIGHT, tolle Psychedelic-Prog-Band aus Wiesbaden, die ein Album und eine EP bei uns gemacht haben. Die dann etwas poppiger und für uns zu groß wurden. Sehr schade, dass es diese Band nicht mehr gibt, ob in ihrer Prog- oder der „Pop“-Phase, die Jungs haben einfach klasse Songs geschrieben.
Hast Du am Abverkauf auch das kurze Special im SWR-Fernsehen bemerkt? Hatte das Auswirkungen?
PJ: Ja, das war schon spürbar, da kamen für ein, zwei Tage auf einmal eine Reihe von Bestellungen aus unserer Region. Langfristig wirkt so etwas aber eher nicht, dafür müsste man dauerhaft in Radio oder Fernsehen präsent sein.
Zu guter Letzt, wo sind Eure Ziele für die Zukunft?
PJ: Mehr Zeit für Musik haben. Stefan und ich haben ständig Ideen für neue Stücke.
Deshalb werden wir zwischen Alben mit der vollen Band (das nächste ist schon fertig geschrieben) Singles in kleiner Besetzung (Phil, Stefan und ich) veröffentlichen. Spontan eingespielt, ohne die große Studio-Maschine dahinter. Diese Singles werden als Ergänzung zu und als Überbrückung zwischen den Alben digital veröffentlicht.
Tja … und vielleicht doch mal live spielen … Wenn es einen Rahmen und Anlass gäbe, würden wir das machen. (POOR GENETIC MATERIAL im Schwetzinger Schlossgarten, das wär doch mal was 😉 )
PG: In meinem Alter sage ich klar: Gesundheit! Wobei, kann man das als Ziel definieren? Es ist mehr eine Hoffnung…. konkreter sage ich: weiter mit Lust Musik machen mit den Leuten, die mir sehr viel bedeuten – den Jungs von PGM und ALIAS EYE!
Ich weiß, auch ein anderer Rahmen würde Phillipp Jaehne zusagen, in einem anderen Gespräch hat er mir von seinem Traum erzählt, beim WOMAD zu spielen, die World of Music Art and Dance, einem von Peter Gabriel initiierten Festival im Süden Englands.
Bis es soweit ist, begnügen wir uns eben mit den Alben. Denn, hier grabe ich die BEATLES noch einmal aus, POOR GENETIC MATERIAL existieren noch, also wird da sicher noch einiges auf uns zu kommen. Lassen wir uns überraschen, was die Zukunft bringt. Und dann gibt es ja noch die anderen Baustellen.