HELION PRIME – Question Everything
~ 2020 (Saibot Reigns) – Stil: Epic Melodic Power Metal ~
Als das aktuelle und somit dritte Werk der aus Sacramento stammenden HELION PRIME zur Rezension im Angebot stand, habe ich nicht lang gefackelt und zugegriffen, denn ich konnte mich dunkel daran erinnern, vor einigen Jahren bereits in ihr Debüt reingehört und es als recht ordentlich erachtet zu haben. Das ist bei klassischem Power Metal europäischer Prägung bereits ein Lob aus meinem Munde, denn ich kann mit dem in diesem Genre typischen Doublebass-Geballer und den üblicherweise penetranten Singalongs nicht wirklich viel anfangen. Der melodische Power Metal des Debüts weist aber eine (in den Grenzen dieses Genres) durchaus abwechslungsreiche Schlagzeugarbeit auf. Gepaart mit ausgefeilten Gitarrensoli und der melodischen Stimme der damaligen Sängerin Heather Michele Smith operiert das Album stellenweise an der Grenze zum Heavy Metal, wobei sich beim Hörer, also auch bei mir, immer wieder gefällige Hooklines einzuschmeicheln wissen.
Seitdem sind einige Jahre vergangen und es hat sich einiges getan.
Eigentlich könnte man sogar überspitzt formulieren, dass der Künstler Marc Whisnant, der zum dritten Mal in Folge für das Cover-Artwork verantwortlich zeichnet, die einzige Konstante bei HELION PRIME darstellt. Ich gebe gerne zu, dass neben dem Bandnamen (HELION PRIME ist ein Planet aus dem Film „Riddick: Chroniken eines Kriegers“) es vor allem das CD-Cover gewesen ist, das mich als bekennenden Sci-Fi-Fan dazu bewegt hat, in das Debüt reinzuhören. Und damit sind wir auch schon bei den Veränderungen.
Bezogen die beiden ersten Longplayer noch ihren textuellen Inhalt aus Science und Sci-Fi, wovon Songtitel wie ´The Drake Equation´ oder ´Into The Black Hole´ Zeugnis ablegen, so behandelt im neuen Albums jeder Song eine Persönlichkeit die, dem Albumtitel entsprechend, das Offensichtliche in Frage gestellt und mit ihrer Neugier und Hartnäckigkeit schlussendlich zu Erkenntnissen gekommen ist, die einen bedeutenden Beitrag für die Weiterentwicklung der Menschheit dargestellt haben. Das Album hat also ein Konzept und ist demzufolge…genau, ein Konzeptalbum. Dass sich Socrates, Galileo oder Einstein darunter befinden, ist jetzt nicht sonderlich überraschend. Interessanter wird die Sache aber mit Alan Turing, Rosalind Franklin, Alice Ball und Katherine Johnson. Letztere verstarb am 24. Februar dieses Jahres im stolzen Alter von 101 Jahren und mag einigen Lesern dieses Reviews insbesondere auch vom sehr zu empfehlenden Film “Hidden Figures” her bekannt sein.
Die zweite und mit Abstand markanteste Veränderung ist aber wohl die mehrfache Neubesetzung der Position hinter dem Mikro. Bereits 2016, also noch im Jahr des Debüts, verließ Heather die Band, die sie zusammen mit dem Gitarristen Jason Ashcraft 2014 in Sacramento gegründet hatte, um sich auf ihre andere Band GRAVESHADOW zu konzentrieren (HELION PRIME war ursprünglich nur als Projekt geplant s. u.) und übergab das Mikro an Kayla Dixon. Kayla gab aber bereits ein Jahr später, ohne sonderlich Spuren hinterlassen zu haben (lediglich der Song ´Remnants Of Stars´ zeugt von diesem Gastspiel), den Stab, also das Mikro, an den Zyprioten Sozos Michael weiter, um ihr Glück bei den in Portland beheimateten Doomern WITCH MOUNTAIN zu suchen.
Im Zuge der Vorbereitung zu diesem Review habe ich mir nun auch das zweite Werk mit dem länglichen Titel ´Terror Of The Cybernetic Space Monster´ angehört und stelle fest, dass Sozos zwar über eine sehr gute, variable und mit Power versehene Stimme verfügt, die Musik aber dadurch näher an die europäische Spielart des Power Metal gerückt war. Die Platte klingt dadurch aber eben auch beliebiger und der Charme des selbstbetitelten Erstlings war bedauerlicherweise verflogen. Die Tatsache, dass Sozos auf einem anderen Kontinent lebt und dadurch die Zusammenarbeit nicht gerade erleichtert wird, hat wohl schlussendlich dazu geführt, dass nun mit Mary Zimmer bereits die vierte Person der Band ihre Stimme leiht.
Und wieder vollzieht die Musik einen Wandel. Leider keinen, dem ich noch folgen würde. Ich habe ja per se nichts gegen Tasteninstrumente, schließlich waren auch bereits auf dem Debüt solche zu vernehmen. Dort waren sie aber im Sci-Fi-Kontext sehr gut eingebunden und versahen unauffällig, aber effektiv ihre Aufgabe. Nun aber sind die Keyboards omnipräsent und bewegen das Werk mit Nachdruck in Richtung epischen/symphonischen Power-Metal, der mit seinen süßlichen Klängen bestens dazu angetan ist, meine Gehörgänge zu verkleben. Es spielt dabei auch keinerlei Rolle, dass das Tasteninstrument von Alex Nasla (u.a. WITHERFALL) bedient wird, den man für dieses Album als Gastmusiker gewinnen konnte. Es ist wirklich schade anhören zu müssen, welche Entwicklung HELION PRIME genommen haben. Von einem in seinen Grundzügen interessanten Erstling, bei dem zwar auch nicht alles perfekt war (´Apollo´ ist ein in meinen Ohren grausames Stück), zu einem Album, das für mein Empfinden bestenfalls belanglos dahinplätschert und im Meer ähnlicher Veröffentlichungen vermutlich sang- und klanglos versinken wird.
Ich hätte zu gerne gehört, wie dieses Album mit der von mir sehr geschätzten Sängerin Kayla Dixon geklungen hätte. Ich bin mir sicher, dass es sich in eine ganz andere, für meine Ohren zuträglichere, Richtung bewegt hätte, was in dem oben bereits angesprochenen ´Remnants Of Stars´ angedeutet wird. Aber vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, dass Kayla und HELION PRIME getrennte Wege gegangen sind.
Falls sich jemand darüber wundert, dass ich bislang nur Songs von Vorgängerscheiben namentlich erwähnt habe, aber keines aus der aktuellen ´Question Everything´, dann hat das seinen Grund. Ich wüsste nämlich nicht, welches ich hervorheben sollte, denn insgesamt leidet das Hörvergnügen daran, dass die meisten Stücke an meinen Ohren vorbeigleiten, ohne einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen…oder vielleicht weigert sich mein Gehirn auch näher hinzuhören. Zwinge ich mich aber dazu, über den Keyboard-Kleister hinwegzuhören, dann entdecke ich tatsächlich einige gefällige Hooklines und Gitarrensoli, wie z.B. bei ´Prof´, ´Photo 51´ oder ´E Per Si Muove´(mit meiner Meinung nach unnötigen Growls), aber das ist mir auf Dauer zu anstrengend. Ausgerechnet das letzte reguläre Stück auf dieser Scheibe und mit über sieben Minuten auch das längste, hebt sich wohltuend hervor und lässt erahnen, wie diese Scheibe ohne den “Gastmusiker” hätte klingen können. Das abschließende MISFITS-Cover ´Kong At The Gates/ Forbidden Zone´ ist dann an Belanglosigkeit kaum zu überbieten und gibt mir rein gar nichts.
Ok, ich bin wahrscheinlich der falsche Rezensent für diese Scheibe und Hörer, die auf NIGHTWISH-Klänge mit Power stehen, das Titelstück ist genau auf diese Zielgruppe zugeschnitten, würden sicherlich eine höhere Bewertung ziehen. Aber diese Keyboards…ich kann nicht anders…
(6,5 Punkte)
Abschließend möchte ich nun doch noch auf eine Konstante zu sprechen kommen. Obwohl wie bereits oben erwähnt HELION PRIME von Jason Ashcraft ursprünglich lediglich als Projekt neben seiner Hauptband DIRE PERIL gestartet wurde, existiert mit Bassist Jeremy Steinhouse, der seit dem Debüt in der Band durchgehalten hat und mit den beiden 2016 hinzugekommenen Chad Anderson an der Gitarre und Alex Bosson am Schlagzeug bereits seit dem zweiten Album eine stabile Formation an den Instrumenten. Interessanterweise ist nun auch Gründungsmitglied Heather Michele Smith, die zwischenzeitlich GRAVESHADOW verlassen hat, wieder bei HELION PRIME involviert, da sie maßgeblich zu den Texten von ´Question Everything´ beigetragen hat.
Nachdem die ersten beiden Scheiben bei “AFM Records” erschienen waren, wird das aktuelle Album am 5. Oktober 2020 in Eigenregie über das hierfür eigens gegründete Label “Saibot Reigns” auf CD herausgebracht.
HELION PRIME sind:
Jason Ashcraft Rhythmusgitarre
Mary Zimmer Gesang
Jeremy Steinhouse Bass
Alex Bosson Schlagzeug
Chad Anderson Leadgitarre
https://www.facebook.com/helionprimemetal
(VÖ: 05.10.2020)