FLEETBURNER – Fleetburner
~ 2020 (Butler Records) – Stil: Atmospheric Progressive Metal ~
Vertraut mir, ich erkenne meine Alben des Jahres, wenn ich sie entdecke…und habe konstante Gänsehaut beim Hören, während ich diese Zeilen schreibe. Erlebt mit FLEETBURNER ein tosendes Wechselbad der Gefühle im offenen Meer der anspruchsvollen Musik zwischen reflektiver Ruhe und fesselndem Metal. Selten war Progmetal so gefühlvoll, statt auf technische Spielereien zu setzen – große Emotionen statt Gefrickel.
Was für ein kreatives Pflaster die Niederlande in Sachen progressivem und emotionalem Metal sind, muss man nicht weiter erklären. Wenn dann das Kernteam um Mastermind Kevin Storm (Gitarre), Peter Iwers (Bass), Tomas Myklebust (Schlagzeug), Ken Simerly (Gesang) und Veli-Matti Kananen (Keyboard) verstärkt wird durch Christopher Amott (DARK TRANQUILITY, ex-ARCH ENEMY), Nils Courbaron (SIRENIA), Mascha “Scream” Arkiphova (ARKONA) als auch Agnete M Kirkevaag (MADDER MORTEM) und der Mix von Hans Pieters (AFTER FOREVER, HAIL OF BULLETS) gefertigt wird, dann atmet man mit erhöhtem Puls mal schnell durch und stürzt sich nur noch in die Musik, um in ihr komplett aufzugehen…
Um es gleich vorweg zu nehmen: Mir gehen dabei die Superlative aus. Das Hirn wird aufgrund der wunderbaren Stimmungen, Melodien und dem gefühlvollen Gesang einfach abgeschaltet und lässt sich eine knappe Stunde nur noch treiben in einem akustischen Ozean der metallischen Glücksseligkeit. Dabei stehen die Fähigkeiten aller Beteiligten ausnahmslos im Dienste der Songs und der Umsetzung des Konzeptes.
Wo kriegt man einen solchen Sänger her, der in manchen Momenten neben der Prog- und Metalqualität eine gefühlvolle Tiefe von Sängern wie Ed Kowalczyk (LIVE) an den Tag legt? Ebenso die Gäste am Mikro. Eine Aufzählung aller Stilistiken und Trademarks des Gesamtwerkes erscheint unmöglich bis unsinnig, einfacher gestalten sich die Gedanken an das, was fehlt, oder dem Ganzen die Kirsche auf das sahnige Haupt setzen würde: Nichts.
Also fange ich – bis auf die weiter unten folgenden, artverwandten Referenzen – gar nicht erst mit musikalischen Vergleichen an und möchte nur noch auf das Konzept eines ganzen Lebens eingehen, das diesem Meisterwerk zugrunde liegt. Auch wenn die Texte einen sehr persönlichen Ursprung haben und Kevins Erfahrungen und Gedanken dramaturgisch verstärkt reflektieren, so sind diese frei für Interpretationen und werden bei vielen Hörern verschiedene Erinnerungen hervorrufen, die uns vereinen und somit gar Trost spenden können – denn niemand ist damit wirklich alleine.
Verpackt in die Geschichte unseres jungen Protagonisten beschreibt der von ruhigen Klavierklängen eingeleitete Opener ´The Land´ die Ohnmacht unserer und der kommenden Generation gegenüber der Zustände der momentanen Welt bereits eindrucksvoll und steigert sich nach leichtem, zerbrechlichen Beginn zu einer metallischen Ouvertüre mit Progmetaleruption.
No breakwater can hold back the currents of this heart.
No future could unfold to put back what is torn apart.
Auch die scheinbar friedliche Ruhe, die ´The Beach´ ausstrahlt, beantwortet nicht die vielen Fragen, die nur durch die eigenen Erfahrungen im Laufe eines Lebens beantwortet werden können – was bleibt ist die Einsamkeit, die Verlorenheit des jungen Ausreißers, der weite Ozean wird ihm nicht helfen, so stürmisch wie das Meer wird dazu auch die Musik – einfach magisch, diese dynamischen Wechsel von reflektiver Emotion zu atmosphärischem Powermetal.
How will you navigate the wild currents of your mind
when every thought will come down on all you left behind?
Düstermetallisch beginnt ´The Breakwater´: Der Junge lässt auf seiner Suche nach Antworten alles zurück und hofft auf die Weisheit des Ozeans mit einer ergreifenden gesanglichen Intensität und sehnsuchtsvollem Refrain.
Every wave you hide your face from the world
a vain cry from the beach you pretend to not have heard.
All that was shall come undone
Der Junge wird zum Mann und lernt durch ´Open Waters´ und die Wogen seines Leben zu navigieren, auf der Flucht vor dem Neid und der unbarmherzigen Art der Anderen – ebenfalls umgesetzt mit packendem, hitverdächtigen Chorus. Im Uptempo verfolgt ´The Fleet´ der Unzufriedenen denjenigen mit Empathie, nehmen die angebotene Hilfe und zertrampeln undankbar alles, was ihnen bereitwillig angeboten wird. Höchste Zeit, diese Menschen hinter sich zu lassen, mit donnernder Doublebass zu fantastischen Gesangslinien.
You, Fleetburner, cannot save them.
Their anchors fired upon you, false tokens of admiration.
Hark the wind, open your sails to the storm, and never look back.
Die Kernaussage zu ´The Passenger´ (siehe Video am Ende) besteht darin, dass man niemanden retten kann, der nicht gerettet werden will. Trotz aller Versuche, sein Wissen vertrauensvoll mit jemandem zu teilen, scheint der Fleetburner weiter alleine sein eigenes Ziel verfolgen zu müssen. Dies gestaltet sich als Megaballade mit äußerst intensivem Mittelpart.
From the chains of his master a man can go free
A Cry for Help but I can’t free you yet I had to stay
I couldn’t look away this time
Doch er gibt nicht auf und versucht, dem von ihm geretteten Passagier an Bord zu vermitteln, dass jeder für sich und andere Verantwortung hat und man kämpfen, füreinander einstehen und sich auf die guten Dinge des Lebens konzentrieren sollte, anstatt aufzugeben (´The Deck´). Was für eine wunderbare Steigerung gegen Ende des Songs!
What man can stand before another?
One man can stand before another
Your deeds are in your own hand.
Keine Verschnaufpause wird dem Fleetburner (und mir) gegönnt, ein weiterer Höhepunkt mit Ohrwurmcharakter folgt auf dem Fuße – zum Schwelgen, jedoch auch mit beklemmenden Parts und emotionalen Spitzen. Der traumhafte Jahrhundertsong ´The Course´ bringt beim Sturz über Bord in die Tiefe des Meeres die befreiende Erkenntnis, dass man niemals alle Geheimnisse des Lebens kennt und man – vom Kurs abgekommen – in scheinbar bedrohlicher Umgebung auf sich alleine gestellt eines behält: das selbstbestimmte Leben.
And I thought it would be the death of me, as I sank into the blue.
But the light of life awakens me like the ancient myths were true
Auch ´Below The Waves´ bleibt der musikalische Spannungsbogen auf höchstem Niveau und die Flamme, die manche in sich tragen, flackert weiter. Obgleich sie zu einem zerstörerischen Feuer werden kann, so vermag sie auch die Welt um dich herum zu erleuchten, diesen Song erleuchtet sie in einem progressiven Licht und steigert sich in stürmischen Metal. Die Enttäuschung über missbrauchtes Vertrauen ist auch hier gegenwärtig.
Come at me, and raise a fist of hatred.
Holds your grateful praise.
I held you when you were weak.
Now your treachery is plain for all to see
´The Deep´ vereint den Fleetburner mit dem Ozean und bringt ihn weiter zur Selbsterkenntnis, seine eigene Zukunft zu erbauen, die Enttäuschung über diejenigen zurückzulassen, die Vernunft, Mitgefühl und Liebe ignorieren und verleugnen, um einen neuen Kreislauf zu beginnen, aus den Tränen einen neuen Ozean zu erschaffen (´The Endless´). Nach einem wahrhaftigen Ausbruch zerstört die Heavyness des Finales alle letzten Zweifel und baut eine neue Harmonie, eine innere Ruhe und Gewissheit auf.
All das, was ich liebe und was High-End-Metal ausmacht, findet sich auf diesem einen Album. Ein überirdisches Debüt, das die Messlatte für kommende Werke so hoch legt wie einst die ersten Werke von AYREON, DREAM THEATER, MAGELLAN, PAIN OF SALVATION, SAVIOUR MACHINE, SHADOW GALLERY und andere Debütalben diverser Stilrichtungen, die in der Karriere einiger Bands durch ihre spezielle, eigene Art nahezu unerreicht blieben. Erst recht bleibt nun die Spannung und Vorfreude auf die Zukunft von FLEETBURNER, doch dieser erste Streich wird bei mir lange nachhallen, um die Wartezeit zu verkürzen.