COARBEGH
~ 5. September 2020, LUcation, Ludwigshafen ~
Erst einmal sei festgestellt, Corona sei Dank ist auf dem Livesektor lange nicht viel passiert. Streamkonzerte, Auftritte im Autokino, relativ schnell wurde versucht, aus der Situation das Beste zu machen. Und es wird immer noch versucht. Die ersten Clubs und Bands versuchen, unter Einbehaltung aller möglichen (und unmöglichen) Regeln etwas auf die Füsse zu stellen. Was ich schon länger denke, man kann sich jammernd und bebend zu Demonstrationen treffen. Oder man bekommt den Arsch hoch und die Zähne auseinander. Auch wenn es jetzt vor einer Bühne anders aussieht als noch am Anfang des Jahres. Aber es gibt die Bühne. Und ist das nicht das Wichtigste? Statt sich zu echauffieren über Sitzplätze und Beschränkung der Personenzahl sollte man doch dankbar sein, dass Wege gefunden wurden.
Ein Weg führt nach Ludwigshafen. Dort, in der LUcation, spielen heute Abend COARBEGH. Ort des Geschehens ist das ehemalige Hallenbad Nord, unweit des Ebertparks und in Sicht- und Rufweite des Müllheizkraftwerks. Da gehört die LUcation dazu, denn im Schwimmbecken befinden sich eine Million Liter Löschwasser, zurückgehalten für den Notfall. Aber es ist auch ein Veranstaltungsort. Aktuell gibt es eine Ausstellung zu den Vier Elementen und was sie mit Umweltschutz zu tun haben. Dazu kann man Fotos sehen, in denen Künstler Müll, den sie in Meer und Flüssen fanden, zu Kunstwerken machten. Kunst, Wissenschaft, die Wasserfläche und Musik, eine gute Voraussetzung für einen fantastischen Abend.
COARBEGH sind ein Side-Project. Hier haben sich Keyboarder Philipp Jaehne und Flötistin Pia Darmstaedter zusammengetan, die der geneigte Progfan von POOR GENETIC MATERIAL kennen könnte. Dort sind sie zuständig für schwebende atmosphärische Klangkaskaden innerhalb der Grenzen des Rockgenres. In ihrem Nebenprojekt leben sie diese Vorlieben noch stärker aus. Und dieses Nebenprojekt steht nun auf der anderen Seite des Wasserspiegels vor der gläsernen Wand, die nach draußen führt und innen und außen trennt und verbindet.
Die Lichter in der Halle, der leuchtende Schornstein des Müllheizkraftwerkes und die Lichter in der Ferne vorbeifahrender Autos, auch Blaulicht ist dann dabei, sorgen für eine besondere Atmosphäre. Dazu kommen Fotoeinblendungen auf dem Bildschirm über den beiden Musikern. Das passt aber wunderbar zu den ambienten Klängen von COARBEGH.
Ganz klar, das ist keine Rockmusik. Hier mischen sich Elektronik der Marke TANGERINE DREAM mit warmen Flötentönen, treffen Loops auf Samples, trifft Handgemachtes auf Verfremdung. Hauptlast des Abends liegt auf dem 2019er Album ´The Sound And Flow Of London Town´. Dessen Cover ist auch immer wieder auf dem Bildschirm zu sehen. Die Stücke dieser CD sind in London entstanden. In jedem Stück sind Samples enthalten. Diese wurden aufgenommen an Orten in der britischen Hauptstadt, die für die Geschichte der Pop-Kultur von Bedeutung sind, etwa in ´The Magic And Mystery Of Maryon Park´. Dort entstand unter der Regie von Michelangelo Antonioni der 1966 erschienene Film “Blow Up”. Wie in diesem Film finden sich in diesem Stück das Rauschen des Windes in den Bäumen und der Rhythmus eines Tennisspiels.
Die Mittel sind einfach. Klare Keyboardklänge, einige Flötenrufe, erwähnte Samples, einige Loops und Verfremdungen, einfache Rhythmen. Zwei Stücke sind so konzipiert, dass auf feste Muster frei improvisiert werden kann. Auch das gelingt. Die leider wenigen Zuhörer sitzen gebannt auf ihren Stühlen. Aufmerksames Hören ist gefragt, nicht hemmungsloses Abfeiern. Das ist, bei aller Simplizität sowohl spannend, gerade im Zusammenspiel mit Ort und Licht, als auch entspannend. Sitzen, hören und genießen ist das neue Headbangen.
Auch vom Hauptact POOR GENETIC MATERIAL gibt es zwei Stücke in Bearbeitung für diese besonders kleine Besetzung. ´Watercolours´ aus dem Frühwerk ´Spring Tidings´ kommt ebenso zu Ehren, wie der 2015er Titeltrack ´Absence´. Diese passen genauso perfekt ins Set, wie das ganz neue ´Hometown Lockdown´, das erst in den letzten Monaten unter dem Eindruck des Lockdowns entstand. Beeindruckend dabei die Bilder der menschenleeren Stadt Ludwigshafen im letzten März, die dieses Stück perfekt untermalen.
Sogar das Debüt von COARBEGH kommt zu Ehren. Das Album ´The Colour Of Happiness´ ist noch im Bandkontext entstanden und enthielt zehn Jazzstücke. So kommt heute ein Gast hinzu. Sängerin Jutta Brandl ist bekannt in der Jazzszene im Rhein-Neckar-Dreieck und war an diesem Album beteiligt. Heute singt sie also ´Chalkhill Blues´. Das ist eine wunderbare Synth-Jazz Nummer, wirkt hier aber leicht unpassend. Das tut der Qualität des Songs keinen Abbruch, ist für manchen Gast vielleicht eine willkommene Abwechslung.
Die kurze Pause lässt sich nutzen, um sich den Ausstellungen zu widmen und den Ort zu erforschen, einen Ort den man so sonst eher nicht sieht. So geht dann also ein Abend zu Ende, der die ruhige und entspannende Seite der Musik in den Mittelpunkt stellt. Es muss nicht immer laut sein, Qualität hängt nicht nur an der Härte eines Gitarrenriffs. Qualität spielt sich ins Herz. Da die Besucher lächelnd nach Hause gehen, ist sicher, deren Herzen sind genau wie meines getroffen worden.