THE ELECTRIC FAMILY
~ Interview mit Tom Redecker ~
Die ELECTRIC FAMILY ist seit Jahren ein Garant für erdige und zugleich Wolken aufreißende Rock-Musik. Die Formation ist zwar nicht die Kommune No. 1, wie es sich der Anhänger in seinen Träumen ausmalt, sondern ein Künstlerkollektiv, das sich aus befreundeten Musikern zusammensetzt und immer wieder junges Blut findet, das vor allem Tom Redecker als Labelboss von „Sireena Records“ über den Weg läuft. Also wollten wir auch die Einzelheiten zum neuen Werk ´Echoes Don’t Lie´ in Erfahrung bringen. Tom gab uns Auskunft:
Tom, wie verlief die anvisierte Tour zum letzten, Eurem 2018er Werk? Habt Ihr ganz Deutschland beglückt, oder auch andere Länder?
Wir waren im Februar 2018 auf „Terra Circus Tour“, und es war zum Teil schweinekalt. Ich erinnere mich an eiskalte Nächte und schlecht geheizte Backstage-Räume. Aber die Stimmung war klasse und den Leuten hat es gefallen. Es gibt Livemitschnitte von den Gigs und gar einen kompletten Konzertfilm aus Frankfurt, den wir noch gar nicht ausgewertet haben. Wir sind ja quasi mit der Besetzung unterwegs gewesen, die auch ´Terra Circus´ eingespielt hatte. Rolf Kirschbaum und Harry Payuta kenne ich ja schon seit Dekaden, da weiss man was man hat. Trommler Steff Ulrich und Keyboarder Anders Becker waren ja neu in der Band, und sie sind bombig eingeschlagen! Ein Riesenspass!
Wurden zu ´Echoes Don’t Lie´ auch bereits Konzert-Planungen aufgenommen, oder aufgrund von C19 alles erst einmal ad acta gelegt?
Es stand schon eine komplette Tour im November fest, die wir nach Absprache mit unserer Agentur ins Jahr 2021 verlegt haben. Das macht uns bestimmt nicht glücklich, alle Musiker haben total Bock live zu spielen, aber solange nicht normale Voraussetzungen für Konzerte vorliegen, verschieben wir diese lieber. Es gibt ein Leben nach Corona!
Empfindest du die derzeitige Situation auch für dein Label “Sireena Records” wirtschaftlich bedrohlich und wie gehst du damit um?
Mir tut es leid für die Plattenläden, die ja wochenlang geschlossen hatten und sicherlich harte Verluste eingefahren haben. Wir verkaufen unsere Platten und CDs ja lieber über den kleinen engagierten Plattenshop als über Amazon. „Sireena Records“ ist ja ein Spezialistenlabel mit einer hohen Bindung an den Musiksammler. Das heisst, dass in den letzten Monaten sehr viel bei uns direkt bestellt wurde, wir kommen also wahrscheinlich mit einem blauen Auge durch die Krise. Wobei ein Ende der harten Zeiten ist ja noch gar nicht abzusehen.
Meinst Du, die Szene erhebt derzeit laut genug ihr Wort, um bei allen aktuell geltenden Regelungen nicht vergessen zu werden? Wenn wir alle Hoffnung in einen Impfstoff legen, wird die Szene bis dahin vielleicht schon völlig am Boden liegen und ausgestorben sein.
Kein Mensch kann Prognosen darüber abgeben, wie lange uns dieses Virus noch heimsuchen wird. Die gesamte Unterhaltungsbranche leidet ja massiv, die Musik-, Film-, Ferrnseh, Theater- und Buchbranche trifft es gleichermaßen – das gesamte kulturelle Leben ist fast auf Null runtergefahren. Es gibt vorsichtige Schätzungen, dass mind. 30 % der Clubs nicht mehr öffnen werden. Wahrscheinlich werden es deutlich mehr sein, das tut weh! Trotzdem sollten wir alle nicht aufgeben, sondern immer wieder auf die Situation hinweisen. Wir leben in einem reichen Land, und es gibt sicherlich noch ein paar finanzielle Töpfe, die man öffnen könnte für die Kulturtreibenden. Zumindest möchte ich das glauben. Es wird auf jeden Fall nicht wieder so sein wie vor dem Lockdown.
Aber zurück zur FAMILY. Haben sich in den letzten drei Jahren einschneidende Veränderungen bei dieser ergeben?
Einschneidend nicht. Es sind noch immer dieselben Leute dabei wie 2018, es sind einige alte Family-Mitglieder wieder dazu gestoßen, genau wie einige Neumitglieder.
Die Oud, ein arabisches Saiteninstrument, gespielt von Roman Bunka bietet eine neue Klangfarbe, bei einem Track spielt Harry Payuta auch wieder seine Sitar. Mit Jojo Brandt von THE CONVENT haben wir erstmals einen Wave-Gitarristen auf dem Album. Die beiden Schweizer Pascal Grünenfelder und Stefan Strittmatter von UNIVERSE BY EAR vertreten mehr den alternative Druckrock. Für Abwechslung ist wieder einmal gesorgt.
Die letzte, uns bekannte Stammformation ist also weiterhin derzeit aktiv. Was macht derweil die Berliner Fraktion der Gruppe, die zuletzt mit den Hufen scharrte?
Ich weiß, das hatte ich bei unserem letzten Gespräch erwähnt. Die Berliner sind durch Torsten Glade vertreten, der bei drei Titeln Schlagzeug spielt. Torsten war ja schon bei der ersten Besetzung 1996 dabei und hat auch auf den ersten beiden Alben getrommelt. Dann hat man sich etwas aus den Augen verloren. Aber 2018 bei unserem Konzert im Berliner „Quartier Latin“ war er im Publikum, und wir haben damals ausgemacht, dass er beim nächsten Studioalbum wieder dabei ist. Das haben wir hinbekommen.
Wann habt Ihr mit dem Songwriting zu ´Echoes Don’t Lie´ begonnen?
Unterschiedlich. ´Another Giant Leap´ zum Beispiel lag als Demo schon seit 2009 im Archiv. Den haben wir dann jetzt fertiggemacht. Die anderen Songs entstanden direkt vor den Aufnahmen.
Entstehen bei Euch allein aufgrund der vielen Musiker so variantenreiche Stücke oder schütten so viele Songwriter ihre Ideen in den Topf?
Es gibt ja zu jedem Song eine Grundidee, die meist mit akustischer Gitarre und Pilotgesang vorgetragen wird. Dazu steuern alle Musiker ihren Beitrag nach eigener Vorstellung bei. Weder Rolf noch ich als Produzenten reden ihnen da rein, das erklärt die Vielfalt der Songs.
Standen zu diesem Zeitpunkt bereits die vielen, neuen FAMILY-Mitglieder fest oder kamen die erst im Laufe der Aufnahmen hinzu?
Das hat sich im Laufe des letzten Jahres ergeben. Ich habe einfach die Wunschmusiker angerufen, und sie waren sofort einverstanden, sich einzuklinken.
Interessanterweise sind mit ´Echo Room´ und ´Another Giant Leap´ gleich zwei Lieder auf der Scheibe, die geradezu erzählerisch den Text vortragen. Zufall?
Ja, das ist nicht beabsichtigt gewesen. Den Text von ´Echo Room´ habe ich Anfang letzten Jahres geschrieben, allerdings fiel mir keine passende Musik dazu ein. Ich habe den Text an Rolf Kirschbaum geschickt und ihn gefragt, ob er eine musikalische Idee dazu hätte – und er hatte. Er schickte mir ein Demo zusammen mit seinem Sprachgesang, und wir haben es dabei gelassen. Ich fand es absolut passend. ´Another Giant Leap´ ist ja doch mehr ein klassischer Rocksong mit Strophen und Refrains.
Macht sich hier der Einfluss Deines Idols Neil Young bemerkbar, der schon solche Songs veröffentlicht hat, oder doch nur im Gitarrenspiel?
Neil Young hat mich als Musiker ja sehr beeindruckt, aber nicht unbedingt beeinflusst. Es ist so ein großartiger Künstler, dessen Werk ich wirklich liebe und schätze. Wenn der eine oder andere Teil unserer Musik an ihn erinnert, dann ist das wirklich unbeabsichtigt. Und von den Gitarristen auf diesem Album ist – glaube ich – auch nur Bubi Hönig von EXTRABREIT ein großer Bewunderer Youngs.
Wieso habt ihr diesmal Cover-Versionen von Jacques Dutronc und ausgerechnet Neil Young 😉 ausgewählt?
Unser Album ist im Grunde in zwei Blöcke aufgeteilt und ´Mini Mini´ von Jacques Dutronc ist das Scharnier in der Mitte. Es funktioniert wie eine Pausenmusik, die man hört, wenn man sich etwas zum Trinken holt und dann wieder seinen Platz einnimmt.
Ausserdem bewundere ich Jacques Dutronc seit vielen Jahren. Wir haben mit der ELECTRIC FAMILY ja schon mehrere Coverversionen aufgenommen, aber immer versucht, durch Arrangement und Instrumentierung eine eigene Note einzubringen. Wir spielen Songs nicht einfach nur nach, sondern sie werden fast zu eigenen Titeln.
Milla Kapolke, den viele ja von seiner Arbeit bei GROBSCHNITT her kennen, wollte immer schon bei uns mitmachen. Ich schlug ihm ´I’ve Been Waiitng For You´ von Neil Young vor, und er war sofort begeistert. Das ist keiner von Youngs bekanntesten Songs, aber schon eine echte Herausforderung. Wir haben uns dann in Hagen im Studio getroffen und zusammen mit Millas Projekt GREEN – Rolf Möller (EXTRABREIT), Bubi Hönig (EXTRABREIT), Dewa Tattwa (GROBSCHNITT) und Millas Frau Madita und seinem Sohne Manu Kapolke – den Titel an einem Nachmittag eingespielt.
Konntet Ihr nicht gemeinsam in einem Studio zusammen aufnehmen? Oder allein der Einfachheit halber? Dabei dürfte gerade Eurem Stil das gemeinsame Feeling und Erlebnis im Studio zugutekommen.
Wie gesagt, der Song von Young ist live im Studio entstanden und auch das Album ´Terra Circus´ von 2017 wurde komplett live eingespielt. Aber bei ´Echoes Don’t Lie´ waren 20 Musiker beteiligt, das lässt sich schon logistisch nicht vereinbaren. Dem Feeling der Platte hat das nicht geschadet. Ich mag beide Aufnahmeversionen.
Wie machst Du einem noch nicht mit der ELECTRIC FAMILY vertrauten Hörer diese schmackhaft?
„You can get lost in this music“ – Zitat David Fricke, Rolling Stone USA, über THE ELECTRIC FAMILY!
Und was sagst Du ihm, welchen Stil die ELECTRIC FAMILY spielt, ohne Rock, Indie, Prog, Psyechdelic etc. aufzuzählen?
„Es gibt nichts vergleichbares in Deutschland“ – Zitat Philipp Roser, Good Times, über THE ELECTRIC FAMILY!
Habt Ihr eigentlich beim Aufnehmen echte Freude verspürt?
Aber natürlich, was für eine Frage. Für Geld macht sich in diesen Zeiten kein Mensch so einen Aufwand. Was bleibt ist der Spaß und die Freude an dem finalen Resultat!