FIONA APPLE – Fetch The Bolt Cutters
~ 2020 (Epic) – Stil: Singer-Songwriter ~
´Fetch The Bolt Cutters´ ist bereits bei Erscheinen ein moderner Klassiker. Fiona Apples fünftes Studioalbum übertrifft kurzerhand vieles aus ihrem bisherigen Œuvre. Die Konkurrenz ohnehin.
Acht Jahre seit dem letzten Werk sind eine überaus lange Zeit, obwohl größere Perioden zwischen den Alben in Apples überschaubarem Gesamtwerk nicht ungewöhnlich sind. Die mittlerweile 42-jährige hat sie genutzt, um mit einem Meisterwerk zurück ins Rampenlicht zu gelangen. Sie klingt intim, sie singt emotional, sie sitzt am Klavier, sie agiert energisch, Fiona Apple ist in diesen Tagen ein Unikum.
Alle Kompositionen wurden innerhalb der letzten fünf Jahre maßgeblich bei Fiona Apple zuhause in Venice Beach, Los Angeles, aufgenommen. Aufsehen erregend und brillierend sind die mit Percussions oder normabweichenden Gerätschaften, mit Gebrauchsgegenständen – auch im Sinne des Industrial – vorgetragenen Rhythmen. Selbst Fionas Hund Mercy ist zu hören. Diese aus Improvisation und Experimentierfreude entstandenen Klänge tragen maßgebend zum Soundbild des Werkes bei. Fiona Apple befreit sich von allen Zwängen und endgültig von dem ihr angedichteten kindlichen Image.
´Fetch The Bolt Cutters´ – holt den Bolzenschneider raus, in Anlehnung an die britische TV-Serie “The Fall – Tod in Belfast”, und befreit Fiona von allen Fesseln der düsteren Vergangenheit. Es fehlt nur noch, dass Hammer und Meißel im Einklang zur Befreiung ertönen. Aber natürlich nicht im Sinne des sozialistischen Verderbens, sondern um die Mauern zur Gleichberechtigung einzureißen. Fiona singt seelenzerreißend über ihr Liebesleben, über mehrere unheilvolle Beziehungen und elenden Liebesschmerz, Meditationserfahrungen, behandelt Minderwertigkeitsgefühle und Depressionen, den Missbrauch an Frauen, ein prominent besetztes Dinner und zitiert Kate Bush.
Unvergleichlich klingt ´Fetch The Bolt Cutters´. So als hätte sich Fiona Apple monatelang in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen, um sich spirituell von allen Qualen ihres bisherigen Daseins zu erlösen, sie in den jüngsten Liedern zu entfesseln. Dann nahm sie sich in der Wohnküche alle herumliegenden Gegenstände vor, zwischen denen sich zumindest altgewohnt das Klavier befand, das sie konträr zu den anderen Klangkörpern hämmernd anschlägt. Treffen sich also bei dieser Jam-Session zwischen den Kissen und Metallen in irgendeiner Sequenz Tori Amos und Randy Newman, lässt sich längst nicht erahnen, in welche Weiten ´Fetch The Bolt Cutters´ vordringt.
Ergo machen wir es wie Fiona Apple, holen den verdammten Bolzenschneider heraus und uns selber aus der derzeitigen Situation, die wir abgrundtief verabscheuen. Vielleicht hilft uns dabei dieses musikalisch beispiellose Bravourstück.
(10 Punkte)