STEVE VON TILL – No Wilderness Deep Enough
~ 2020 (Neurot Recordings) – Stil: Psychedelic Folk/Ambient/Country ~
Alles, das die Band-Mitglieder von NEUROSIS in die Hand nehmen, geschieht ganz und gar zu ihren eigenen Bedingungen. Ihre Musik bleibt nicht nur den Zwängen kommerzieller Erwartungen oder Genregrenzen fern, sondern sie bleiben auch in nahezu jeder anderen Facette ihres Business völlig autonom. Die Nordkalifornier betreiben ihr eigenes Label und haben zudem ihre Live-Auftritte mittlerweile mit nur wenigen Ausnahmen auf Off-One-Shows und Festivals beschränkt. Gerade ihr hohes Maß an Unabhängigkeit macht NEUROSIS zu einer überaus faszinierenden Band, der man stets folgen sollte, auch wenn sie hin und wieder für einige Zeit in der Versenkung zu verschwinden scheinen. Seien wir aber besonders dankbar dafür, dass die beiden Band-Leader, Scott Kelly und Steve Von Till, nebenbei auch umfangreiche Arbeiten außerhalb ihres primären kreativen Vehikels abliefern, STEVE VON TILL mit seinem mittlerweile fünften Solo-Album.
Während Von Tills frühe Veröffentlichungen eher zu einem europäischen, keltischen Folk-Stil tendierten, bietet ´No Wilderness Deep Enough´, wie sein Vorgänger-Album übrigens auch, erneut deutlich stärkere Americana-Einflüsse, indem vor allem Elemente des Ambient Country neben traditionellen Folk-Strukturen dominieren. Geschichtete Synthesizer, unheimlich klingende Streicher-Arrangements, Lap-Steel- und E-Gitarren setzen hierauf wieder einmal ganz deutlich die atmosphärischen Akzente, und zu behaupten, seine Stimme sei launisch und kratzig wäre eine maßlose Untertreibung.
Von Tills feierlicher und zugleich ramponierter Bariton klingt wie eine Kombination aus MARK LANEGAN und TOM WAITS nach einer Nacht voller Alkohol- und Drogenexzesse und wenn die Sonne über all’ diesen Ausschweifungen schließlich aufgeht, ist sie einfach nur wunderschön – gleich der morbiden Schönheit, die von so vielen einst stolzen, aber mittlerweile verfallenden amerikanischen Großstädten ausgeht.
Wie bei seiner Stamm-Band wirkt auch hier die Musik höchst organisch. Brütende Streicher bilden dabei den Kern für die spärlichen und dunklen Orchester-Arrangements, die dieses düstere, akustisch geführte Album dominieren, und einem immer wieder neue, noch viel tiefer liegende psychologische Räume erschließen – mit Von Tills knurrenden Bären-Vocals stets im Vordergrund.
´No Wilderness Deep Enough´ ist eine weitere, tiefschwarze Selbstbeobachtung und vermittelt das gleiche Grübeln, die gleiche Stimmung und das gleiche Gefühl eines gebrochenen emotionalen Zustands. Eine Welt, müde, gequält, umkämpft, blutig und leer – aber immer noch aufrecht stehend. Von Till transportiert all das mit seinen knarrenden Seufzern und einem verwüstenden Knurren, und er liefert es konsequent und mit einer großartigen Haltung. In jeder Note. Mit jedem Wort.
(8,5 Punkte)
(VÖ: 07.08.2020)