NACHTGREIF – Schattenwandler
~ 2020 (7Hard/Nova MD) – Stil: Dark Rock/Metal ~
Was? Habe ich mich vergriffen und eine meiner seltenen Klassik-CDs eingelegt? Äääh – nein. BÄM! Das Schlagzeug und die Brettgitarren setzen ein und los geht’s. Ich bin wieder zu Hause, sie sind wieder da. Der ´Schattenwandler´ geht umher und die Welt wird wieder dunkler als sie ohnehin schon ist, aber sie wird erträglicher.
Unbeirrt dreht der NACHTGREIF zum vierten Mal seine Runden und wer seinen Ruf bereits vernommen hat weiß, dass er schon lange prophezeit hat, dass die Zukunft der Welt und ihrer am obersten Ende der Nahrungskette stehenden “zivilisierten” Bewohner immer düsterer werden. Sei es drum, er ist nicht der einzige, dessen Warnungen nicht gehört oder ignoriert werden: Wissenschaftler, Umweltaktivisten, Soziologen und alle, die sich ernsthaft Gedanken und Sorgen um den Fortbestand einer in sich tief gespaltenen Art machen, reden auch gegen die Wand der wirtschaftlichen Interessen, des Geizes und des Hasses. Also bleibt dem Nachtgreif nichts übrig, als weiter hoch über der Welt zu gleiten und von seinen Beobachtungen zu berichten.
Die Schwingen des NACHTGREIF – Sänger Thorsten Fries und Drummer Arndt Hebel – haben in dem Ausnahmegitarristen Bernd Basmer (RED RAVEN, ex-SUPERIOR) einen neuen Verbündeten gefunden, der sich diesmal auch um die Keyboards gekümmert hat und dem typischen Sound und der gewohnten Heavyness mit seinen Fähigkeiten weitere Finesse hinzufügt und damit das songschreiberisch schon immer tadellose Niveau weiter anhebt.
Kaum eine andere Band verbindet diese brachiale, lyrische Wut und Ohnmacht mit warmen, sonoren Vocals und einer ungezügelten Power und Intensität, die ihre Wurzeln tief im Hard & Heavy hat, im Gegensatz zu vielen NDH-Protagonisten der sogenannten “Gothic”-Szene. Auch deshalb ist für mich eine Szenezuordnung von NACHTGREIF irreführend, das hier ist immer noch Metal, der Grenzen sprengt, sich selbst definiert und seiner eigenen Fährte, seiner eigenen Flugbahn folgt.
Wenn ein Vergleich, dann aufgrund der Texte und durch die Brettgitarren ein Stücklein OOMPH! (speziell ´Rabenvögel´), die ebenfalls jenseits aller Konkurrenz agieren, bereits das Ei und zugleich das Huhn vor RAMMSTEIN waren und letztes Jahr eines meiner Alben des Jahres geliefert haben. Wie immer haben NACHTGREIF ein Händchen für Hits wie ´Geliebter Feind´ (wer denkt da nicht an das legendäre Gespann Klaus Kinski und Werner Herzog?), ´Tiger´ oder ´Resilient´, dezent eingesetzte Elektronik beim Stampfer ´Psycho´ (wieder Kinski?), oftmals eine Intensität und Dynamik zwischen Strophen und Refrain ´Bis kein Licht mehr scheint´ und setzen vor allem in Sachen Sound diesmal alles in Schutt und ´Asche´. Überraschungen halten die mächtigen, brachialen „Halb-Balladen“ ´Babylon´ oder ´Angst´ bereit. Eine ´Eisige Schönheit´ (als Abschlußtrack eine Neuaufnahme vom letzten Album) entfaltet ebenfalls das mit Klavier unterlegte ´Wenn sie kommt´.
Wer die Neue Deutsche Härte zwar kategorisch ablehnt, aber schon immer von dieser Urgewalt und Düsternis in seinem Wohlfühlbereich des Hard Rock und Metal in klarer, verständlicher Muttersprache geträumt hat, den lassen NACHTGREIF auch 2020 nicht aus dem Nest fallen.