DIRK & DAS GLÜCK – ZÖLLNER trifft KARMA
~ 2017 (Buschfunk) – Stil: Deutsch Pop ~
Eher durch einen glücklichen Zufall bin ich, leider mit zu viel Verspätung, auf dieses Gipfeltreffen (ost-)deutscher Popmusik gestoßen. Ein kleiner Anlass, der aber löste größte Begeisterung aus.
Der eine Gipfel dieses Treffens ist Dirk Zöllner. Der hat in den letzten Jahren der DDR dort mindestens zwei Hits gehabt. Sein ´N Käfer Auf’m Blatt´ hat die Fühler ´Viel Zu Weit´ausgestreckt, um nicht auf den verschiedensten Samplern zum Ostrock in Erscheinung zu treten. Mit etwas mehr Zeit wäre es für ihn wohl möglich gewesen, eine Art intelligenten Soul-Pop zu etablieren, weit entfernt vom Sondermüll, der heute die Charts und Radiosender füllt. Allerdings war die Wende für ihn zumindest in kommerzieller Hinsicht ein heftiger Karriereknick. Kaum einer wollte damals die Musik der DDR haben. So verlor ich ihn, sicher wie viele andere auch, mehr oder weniger aus den Augen. Dennoch hat er eine beeindruckende Diskographie erschaffen, in der wohl eine Menge Perlen zu finden sind.
Zum Musiker Zöllner kommt der Texter Werner Karma. Er hat seit den 7oern mit seinen Texten immer wieder den Finger tief in die Wunden des real existierenden Sozialismus gebohrt. Bestes Beispiel sind seine Texte für SILLY, von ´Mont Klamott´ bis 1988, als er sich mit Tamara Danz zerstritt. Grandios seine Rückkehr, als Anna Loos das Mikro übernahm. ´Alles Rot´ war sicher sein größter Erfolg nach 1989.
Dann kam ´Wutfänger´. Anna Loos wollte ihre Texte selbst schreiben, um authentischer zu sein. In der Berliner Zeitung vom 20. März 2017 liest sich das so:
“Doch mit den oft penetranten Texten verprellte SILLY dann viele von denen, die von der Band eine gewisse sprachliche Intelligenz erwarteten. Dirk Zöllner, selbst SILLY-Fan, wie er sagt, erzählt, dass er die letzte Scheibe ´Wutfänger´ vor Wut aus dem Autofenster geschleudert habe, als so beleidigend habe er sie empfunden.”
Auch DIE ZÖLLNER hatten Songs mit Karmas Texten im Programm. Eigentlich wollte Dirk diese neu aufnehmen, dann trafen die beiden zusammen. Daraufhin entstanden Stücke mit den von SILLY abgelehnten Lyrics. So entstanden 14 Lieder, über Glück, das Glück im Kleinen wie im Großen, die Abwesenheit von Glück, Anfang oder Ende von Glück. Und das nicht ohne mit dem Finger auch mal in offenen Wunden zu bohren, wie man es von Werner Karma kennt.
Schon der Opener, ´Zwei Sonnen´, im Duett gesungen mit Steffi Breiting, einer leider unbekannten Sängerin, ist ein Loblied auf die Liebe. Ursprünglich war das Lied als Duett für Anna Loos zusammen mit Jan Josef Liefers gedacht. Glück ohne Liebe ist undenkbar. Die einfachen Worte im Refrain, Gott sucht Göttin, kann man besser zeigen worum es bei Liebe geht? Das ist auf den Punkt getextet und mit sehr viel Zärtlichkeit musiziert.
In der Liebe finden wir Schutz wie in `nem Gotteshaus
Weil wir Gott und Göttin sind müssen wir da auch nicht raus
Außer Liebe braucht die Welt wohl keine weit`ren Majestäten
Das ist echter Gottesdienst: Seine Liebe anzubeten
´Hallo´ erzählt von der Einsamkeit des Einzelnen in der Welt, ohne Liebe, ohne Job – und am Ende auch ohne Glück. So ist es, ich schau die Welt an, die Welt schaut mich an, ich sage Hallo, die Welt sagt nix. Das ohne Pathos erzählt, leichtfüßig, ein bisschen Jazz. So entspricht die Musik der Leichtfüßigkeit der Texte, trotz aller Schwere des Inhalt.
In dem funkigen ´Die Dritte´ geht es um den Zwiespalt, zweigleisig zu fahren. Das ist negatives Glück, nicht nur für die/den Betrogene/n. Du fühlst, während dich die And’re liebkost, die halbe Lust nur, den halben Trost. Jeder ist betrogen, selbst der Betrüger, der sich am Ende selbst betrügt.
Luftig und locker erzählt ´Ich Und Das Glück´ von der glücklosen Jagd nach Glück. Wenn es da ist, geht es fort. Will ich es halten, flieht es. Ein Küßchen vor und zwei zurück.
Besonders leicht und schwebend folgt dann ´Leicht Sein´. Ballast abwerfen und Leicht sein- einfach nur leicht sein… Fallen lassen, was ich nicht brauche, Kann es so leicht sein? So leicht sein wie leicht sein? Da ist so viel Sperrmüll, im echten Leben und im Kopf. Loslassen und frei und leicht zurückbleiben. Das swingende ´Benzin´ blickt dann über den privaten Tellerrand.
Nächster Höhepunkt, das Loblied auf ´Die Frauen´. Loblied, Liebeslied, so lakonisch beschreibt Karma Frauen, ihre Eigenarten, das was wir Männer an ihnen lieben, und auch das was uns Angst macht. Und vor allem sind die Frau’n mein Grund, von hier nicht abzuhau’n. Im Kontrast dazu folgt das bedrückende, gar traurige ´Immer Einer´, das von den Zeiten erzählt, wenn die Liebe verloren, das Glück vergangen ist.
Immer einer öffnet das Fenster und der andere fängt an zu frier’n
Immer einer kann’s locker ertragen und der and’re nur auf allen Vier’n
Immer einer macht das Licht an und der and’re wird häßlich dabei
Immer einer macht, daß er wegkommt und der and’re kommt um – statt frei
´Lieb Sein´erzählt von Menschen, die nicht in der Lage sind eine Beziehung zu führen, humorvoll der Text, Country im Klang, aber niemand wird denunziert oder bloßgestellt.
Eine andere Form der Abwesenheit von Glück sind Depressionen oder andere psychische Erkrankungen. Menschen die darunter leiden, die Selbstmordfantasien haben. Darüber berichtet ´Engel´, die tatsächlich bedrückendste Nummer des ganzen Albums.
´Du Mästest Mich´ Ich werde fett. Feeding als Obsession? Machtspiele? Das bleibt offen. Nicht offen bleiben die Folgen. Du mästest mich, ich werde breit, ich werfe Schatten wie ‘ne Sehenswürdigkeit.
Vom kleinen Glück hin zum großen. Im selbsterschaffenen ´Ghetto´ leben sie, sich fragend Wie schützt man sich vor ‘ner Welt, sein kleines und sein großes Geld? So sitzen sie im Luxus, in ihrer Angst, dass ihnen von Neidern, Dieben alles genommen wird. So geht es dem Superreichen, so geht es jedem. Immer könnte jemand da sein, der mir missgönnt, was ich habe.
´Bleifrei´ berichtet von der Angst des Soldaten in der Schlacht. Und von der Sinnlosigkeit von Kriegen. ´Kamerad´ ist ein Plädoyer für ein bisschen Menschlichkeit, gerade gegenüber dem Menschen, der in prekären Verhältnissen lebt, oder gar auf der Straße.
Der Schluss, das Finale, beginnt mit schrägen Tönen, aus den sich einige jazzige Harmonien schälen, die Gitarre übernimmt die Führung. Und eine im Verhältnis fast metallische Nummer läutet das Ende ein. Es geht um das unglückliche Leben und Ende unseres Essens. Jeder weiß, wie die Massentierhaltung aussieht. Jeder weiß, wie sich Massenschlachtung auswirkt. Man muss sicher nicht dem Motto ´Keine Schweine´ folgen. Aber ab und zu das Bewusstsein zu diesem Thema schärfen, sollte drin sein. Denn,
Sie haben ja noch kaum gelebt wenn das Schwert der Fleischerei über ihnen schwebt…
Sie sind noch in der Pubertät, wenn Sterben auf dem Zettel steht…
Sie hatte nie eine Date im Stroh, nie so richtig rumgesaut…
Das ist sogar eindrücklicher als so mancher Fernsehbericht. Eigentlich ein eher unversöhnliches Ende eines Albums, das vom Glück erzählen soll. Aber der Hörer kann ja zurück auf Anfang gehen. Gott sucht Göttin…
So geht es zu Ende, ein schönes, schmerz-erzeugendes, harmonisches, weinendes, fröhliches, wunderbare, nachdenkliches Album, das Liebe, Glück und deren Abwesenheit zu dem macht was es ist. Unser tägliches Leben. Im Kleinen daheim, im Großen, im ganzen Land…
(9 dicke glückbringende Punkte)