LONG DISTANCE CALLING – How Do We Want To Live?
~ 2020 (InsideOut Records) – Stil: Rock ~
LONG DISTANCE CALLING verlassen auf ihrem siebten Werk endgültig das bisweilen enge Korsett des Post Rock und positionieren sich als internationale Instrumental-Innovatoren. Die erfolgreichste instrumentale Rockband aus Deutschland scheinen die Münsteraner sowieso bereits zu sein.
Die letzten Tourneen und das dazugehörige Werk ´Stummfilm – Live From Hamburg´ forderten bei dem Quartett jedoch ein Um- und Nachdenken heraus. Der Rock/Metal sollte passend zur Materie des neuen konzeptionellen Zehn-Song-Werkes um eine elektronische Komponente erweitert werden, ohne die Härte und alle Trademarks zu verlieren.
´How Do We Want To Live?´ stellt die problematische Beziehung zwischen Mensch und Maschine, das Hinterfragen von künstlicher Intelligenz und einer dementsprechenden Fortentwicklung im Zwiespalt mit der Bewahrung menschlicher Werte und einer persönlichen Privatsphäre in den Mittelpunkt. Und wie können wir die Freiheit des Einzelnen, die Individualität bei voranschreitender Globalität bewahren?
Fragen über Fragen, die sich in diesen Tagen lieber wortlos beantworten lassen. Insbesondere zu Beginn und im Laufe des Gesamtwerkes müssen die Ohren dennoch offen für einige vorgetragene Mitteilungen sein. Im zweiteiligen ´Curiosity´ bauen sich zunächst zu Sprachsamples filmreife Soundwände dramatisch auf. Über den Rhythmus der Percussions findet die gesamte Band in Part 2 Zutritt zum Song und lässt sich im Gitarren-Bad fallen. Zu einem wehenden Unterbau schält sich die Gitarre beim nachfolgenden ´Hazard´ heraus. Auch hier hält eine weibliche Digital-Stimme zwischendurch einen kleinen Vortrag. Die Elektronik hält spätestens bei ´Voices´ offensichtlichen Einzug, in Fortführung der Düsseldorfer Schule um KRAFTWERK. Luftige Frauengesänge verleihen der Komposition einen Anspruch auf Mehrheitsfindung. Allerdings jaulen die Gitarren immer wieder im gewohnten Signature-Sound von LONG DISTANCE CALLING auf. Ein melancholisches Streicher-Spiel bestimmt hingegen das Bild von ´Fail / Opportunity´ sowie eine elektronisch unterstützte Western-Atmosphäre kurze Zeit später ´True / Negative´. Der gewohnt harte Rock-Ansatz übertönt in ´Immunity´ die elektronische Einleitung, um mit dem Aufbau der bekannten Wall of Sound zu experimentieren. Ein strammer Rhythmus treibt hernach ´Sharing Thoughts´ voran und der fast schon übliche Gastauftritt eines Sängers erfolgt in ´Beyond Your Limits´ mit dem Auftritt von Eric A. Pulverich (KYLES TOLONE). Beinahe meditativ führt ein Sprecher in den Finaltrack ´Ashes´ ein, der ebenso wehend, jedoch nicht dermaßen ergreifend wie die Album-Eröffnung das Werk abrundet.
LONG DISTANCE CALLING sind gleichsam der technisch hochgerüsteten Menschheit an einem Scheidepunkt angekommen. Anhand ´How Do We Want To Live?´ bekräftigt das Quartett seinen Anspruch auf eine gehobene Stellung innerhalb der Szene und dürfte sicherlich in naher Zukunft den Weg weiter nach oben beschreiten. Ob dies der Menschheit aus dem Hier und Jetzt heraus ebenso ergehen wird, scheint ungewisser als vorzeiten.
(8,5 Punkte)
www.facebook.com/longdistancecalling
(VÖ: 26.6.2020)