RONNIE JAMES DIO
~ Zum zehnten Todestag von Ronald James Padavona ~
von Hagen Schmidt
Das prägendste Schlüsselerlebnis meiner gerade keimenden Liebe zur Musik passierte, als ich zwölfjährig im “Fairy Records” in Karlsruhe, wie fast täglich nach der Schule, die Platten-Auslagen durchblätterte, auf der Suche nach neuem Futter für die Ohren.
Bisherige Impulse kamen vom Radio, hauptsächlich der allsonntäglichen Hitparade im SWF3, der von der versammelten Familie beim Abendessen aufmerksam gelauscht wurde, sowie aus dem Zimmer meiner Schwester, ziemlich einseitig, da sie damals wie heute ausschließlich ABBA konsumiert, und der “Szene” in der Schule: hier wurden eifrig Platten gegenseitig verliehen. An PINK FLOYD, Helen Schneider, SOFT CELL kann ich mich erinnern, während meinerseits ELO und ALAN PARSONS PROJECT in Umlauf gebracht wurden.
Nun also, in besagtem Plattenladen, fiel mir eines Tages ein Albumcover ins Auge, wie ich noch keines gesehen hatte. Minutenlang betrachtete ich dieses morbide, bedrohliche Bild und, jetzt kann man sich fragen, weshalb so etwas einen Heranwachsenden derart fasziniert, ein anderer hätte die Platte wahrscheinlich schleunigst wieder zurück ins Fach gestellt, keine Ahnung, ich jedenfalls nahm die Scheibe zu dieser Kanzel, an der man sich die gewünschte Musik anhören konnte, und der nette Angestellte legte mir mit leicht hochgezogener Augenbraue die Nadel auf, und mein Leben war nir wieder dasselbe.
Brachial ertönte ohne Vorwarnung ein musikalisches Gewitter: ´Turn Up The Night´ , ´Voodoo´, dann meine wahrscheinlich erste musikalische Gänsehaut überhaupt: ´The Sign Of The Southern Cross´ …was für ein Epos, welch ein Sänger! In den folgenden Tagen war ich immer wieder im Plattenladen und ließ mir ´The Mob Rules´ auflegen, bis mir der freundliche Angestellte nahelegte, das Album auch zu erwerben, da er es sonst aufgrund der Abnutzung nicht mehr anderweitig an den Mann bringen könne. Also kratzte ich mein spärliches Taschengeld zusammen und nahm das begehrte Werk nach Hause.
Hagen, 1984
Damit nahm eine Obsession ihren Lauf. Nicht allzu lange später, quasi sobald es das Taschengeld wieder erlaubte, ´Heaven And Hell´, zwar lange nicht so böse aber trotzdem geil, und ´Live Evil´, als Kassette. Diese lief dann im Autoradio nonstop, als ich mit meinem Vater kreuz und quer durch Frankreich fuhr, anlässlich des Sommer-Camping-Urlaubs. Hier waren es die inbrünstig gesungenen, mir bis dato unbekannten Songs ´Black Sabbath´, ´N.I.B´, ´Children Of The Grave´, ´Iron Man´, die mich dazu veranlassten, auf dem Flohmarkt ältere BLACK SABBATH-Alben zu kaufen, nämlich das Debüt, ´Vol 4´ und ´Never Say Die´. Sehr wunderte ich mich über den weinerlichen, gar ausdrucksarmen Gesang eines gewissen Herrn Osbourne…überhaupt kein Vergleich. So hatte sich BLACK SABBATH Mark 1 schnell gegessen und ich widmete mich weiterhin dem Real Thing…
…um kurz darauf festzustellen, dass dies auch schon wieder vorbei war: das Schaufenster des Plattenladens stellte wieder ein beunruhigendes Cover zur Schau: ein ertrinkender Priester, gepeinigt von einem anubisartigen, kettenschwingendem Ungeheuer. Auf dem zweiten Blick entzifferte ich da DIO. War es etwa derselbige jene? Es war. “Kauf sie diesmal am besten gleich”, sagte der nette Angestellte.
Erneut wurde ich von der Stimmgewalt sowie einiger Songs schwer beeindruckt. Allerdings warfen andere auch unterschwellig die ersten Schatten voraus: denn kommerziell ausgelegte Lieder wie ´Rainbow In The Dark´ oder AC/DC-artiges wie ´Gypsy´ wollte ich vom Meister der Dramatik eigentlich nicht hören.
Nichtsdestotrotz fing ich in der folgenden Zeit an, alles Mögliche mit dem DIO-Logo zu verzieren: Schultasche, Schulhefte, Schulbänke etc. Nebenher erweiterte sich auch mein musikalischer Horizont durch Empfehlungen einer im Plattenladen regelmäßig anzutreffenden Person. Ein paar Jahre älter als ich, ganz in engem Leder gekleidet, arschlange wasserstoffblonde Haare, stets einen weißen Zwergpudel auf dem Arm: ´Creatures Of The Night´, ´Shout At The Devil´…diese beeindruckende Gestalt wanderte wenige Monate später fahnenflüchtig nach L.A. aus und ich verlor ihn aus den Augen. Erst nach einigen Jahren erkannte ich ihn wieder, mit geändertem Namen, den Pudel durch deutlich größere Hunde ersetzt, die Haare jetzt pechschwarz: es war Mandy Lion, der mittlerweile mit den DIO-Musikern Jimmy Bain, Vinnie Appice und Tracy G in der Band WORLD WAR 3 musizierte!
Allderweil, in der Schule, blieb meine Vorliebe für härtere Musik keinem verborgen, und eine Klassenkameradin schenkte mir einen Stapel gebrauchter Schallplatten, angeblich ein Hinterbleibsel des Ex-Freundes der Mutter, oder so, ich weiß es nicht mehr genau. Dieses unverhoffte Geschenk bestand aus diversen DEEP PURPLE-Alben, der ´Virgin Killer´ von den SCORPIONS (mit dem befremdlichen Cover) sowie RAINBOWs ´Rising´, ´Long Live Rock And Roll´ und ´On Stage´. Auf diesen dreien entdeckte ich wieder den Namen Ronnie James Dio und damit war ich zunächst wieder bedient. Alle anderen Neuentdeckungen – JUDAS PRIEST, Ozzys ´Bark At The Moon´, SATANs ´Court In The Act´ und weitere wurden erstmal wieder vom Plattenteller verbannt und ´Stargazer´, ´Kill The King´, ´The Gates Of Babylon´ das unglaubliche 15-minütige ´Catch The Rainbow´ etc. bis zum Abwinken gehört.
Hagen, 1985, San Francisco
Unterdessen hielt ich mich auch über das Zeitgeschehen auf dem Laufenden, mittels des damals durchaus lesbaren “Metal Hammer”, und groß war die Freude, als ganzseitig sowohl ein neues DIO-Album als auch eine Tournee angekündigt wurden. ´The Last In Line´ wurde dann für eine Weile exklusiv angehört, und tralala-Ausrutscher wie ´Mystery´ wurden vom epischen Titelsong oder ´Egypt´ locker wettgemacht. Dann hieß es, die Eltern zu überzeugen, denn DIO gastierten in Mannheim. Für mich mittlerweile 14-jährigen zwar in Deutschland anzusiedeln, genauer wusste ich nicht wo das ist, aber ein Schulfreund und ebenfalls DIO-Anbeter meinte, das sei von Karlsruhe nicht allzu weit entfernt, man bräuchte nur eine Fahrgelegenheit. Meine Eltern fuhren, gingen eine Kunstaustellung anschauen und anschließend essen, während meinem Freund und mir in der ersten Reihe des Mannheimer Rosengartens der kleine Sänger übergroß erschien. An diesem Abend gab es im Übrigen ein weiteres Schlüsselerlebnis, denn im Vorprogramm spielten QUEENSRYCHE, und den Mark erschütternden Schrei von ´Queen Of The Ryche´, mit dem der Abend begann, werde ich nie vergessen.
Zeit verging, weitere Bands erhaschten meine Aufmerksamkeit (METALLICA, Yngwie Malmsteen, die erwähnten QUEENSRYCHE…) und im Endsommer 1985 zog ich für ein Jahr nach San Francisco, im Rahmen eines Schüleraustausches. Kurz vor Abflug erschien mit ´Sacred Heart´ das dritte DIO-Album, aber hier war meine anfängliche Euphorie nur noch von kurzer Dauer. Zum einen, weil es deutlich “weltlicher” klang als alles zuvor und zum anderen, weil ich nach meiner Ankunft in der Bay Area so ziemlich sofort in die dort brodelnde Thrash-Szene einverleibt wurde. Trotzdem ließ ich mir das DIO Konzert am 8. Dezember im Cow Palace/Daly City nicht entgehen, das aber auch gemischte Gefühle hinterließ. Manche finden die Ronnie-mit-Laserschwert-erlegt-den-Gummidrachen-Showeinlage ja legendär, ich selbst fand es eher peinlich und unter seiner Würde. ´Intermission´ kaufte ich dann schon nicht mehr und ich verlor zunehmendst Interesse an meinem Helden. ´Dream Evil´ ließ ich mir nur noch von einem Freund auf Kassette überspielen, und haute mich auch nicht vom Hocker. Hatte Ronnie nicht gesagt, er habe RAINBOW wegen der kommerziellen Ausrichtung verlassen? Hier fanden sich ein paar Stücke, die ich mir mit Joe Lynn Turner bei eben diesen gut vorstellen konnte. Live durfte ich die Band mit Craig Goldy dennoch zweimal erleben, beim “Monsters Of Rock Festival 1987” in Donington und eine Woche später in Pforzheim. Bei letzterem Festival spielte auch Ritchie Blackmore mit DEEP PURPLE, nur leider kam es nicht zur erhofften gemeinsamen Darbietung alter RAINBOW-Klassiker.
´Lock Up The Wolves´ weckte Hoffnungen, da angeblich mein lieblings-Tastenmann Jens Johannsen darauf spielt, nur ist er nicht zu hören, und die bluesigere Ausrichtung des neuen Wunderkinds an der Gitarre sowie die Songs blieben nicht hängen, also hatte ich DIO eigentlich endgültig abgeschrieben, als die Ankündigung, BLACK SABBATH in der ´Mob Rules´ Besetzung wiedervereint! dann doch mein Interesse erweckte. Nun ist es ja so, dass BLACK SABBATH seit Dios Ausscheiden nie geschwächelt, und sogar mit den letzten drei Platten kontinuierlich Klassiker veröffentlicht hatten, mit ´Tyr´ sogar ein Jahrhundertalbum. Darum waren meine Erwartungen sehr hoch. ´Dehumanizer´ war dann leider die Enttäuschung meines Lebens. Hier und da nette Ansätze, aber nichts annähernd so episch wie meine Hoffnungen es mir ausgemalt hatten. Bis heute finde ich keinen Zugang zu dieser Platte. Im Lauf der Jahre dreimal gekauft und enttäuscht wieder verkauft. Ein Jammer.
Was Ronnie James Dio in den folgenden Jahren veröffentlichte, habe ich in real time gar nicht mehr verfolgt. Erst als BLACK SABBATH ´The Dio Years´ veröffentlichten und ich mit starken Zweifeln drei neue Stücke anhörte, schien mir, eine neuerweckte Leidenschaft in diesen zu vernehmen, vor allem in ´Shadow Of The Wind´. So ging ich wieder hoffnungsvoll an das darauffolgende Album ´The Devil You Know´ heran, und wurde diesmal nicht enttäuscht: Songs wie ´Atom And Evil´, ´Follow The Tears´ und ´Bible Black´ sind die besten seit ´Tyr´ und entrosteten meine alte Liebe. Dass dann am 16.06.2009 die mittlerweile unter dem Banner HEAVEN & HELL auftretende Band in der Karlsruher Europahalle spielte und er sich offensichtlich so wohl dabei fühlte wie ein Fisch im Wasser, ließ mich alle Enttäuschungen vergessen. Ich habe Dio live nie besser erlebt.
Genau elf Monate nach diesem Erlebnis starb Ronnie James Dio.
Erst posthum beschäftigte ich mich mit dem post-´Dehumanizer´-Werk, und muss zugeben, ich hatte ihn zu früh abgeschrieben. Es sind zwar auch durchschnittliche Alben dabei, allen voran ´Angry Machines´ (mit der unsäglichen Celine Dion-artigen Ballade) und ´Killing The Dragon´, welches außer dem sehr guten Titeltrack nur einen deplatziert wirkenden Doug Aldrich an der Gitarre und mittelmäßige, uninspirierte Songs zu bieten hat, sind da noch wirkliche Perlen zu finden: ´Strange Highways´ ist das Album, dass ´Dehumanizer´ hätte sein müssen, man höre sich nur die atemberaubende Version des Titelsongs auf der “Live at Hammersmith” 1993 an! Auch das Konzeptalbum ´Magica´ hat großartige Momente, und das allerletzte DIO-Album ´Master Of The Moon´ ist mittlerweile nach ´Holy Diver´ und ´Last in Line´ für mich das Beste seiner Solo-Karriere.
So bin ich also sehr froh, von meinem ersten wahren Idol nicht enttäuscht habe Abschied nehmen zu müssen. Und dankbar, natürlich, für ein Leben, dass ohne ihn ganz sicher ärmer an Gänsehautmomenten verlaufen wäre.
Portrait von Amélie Schmidt