TRIPTYKON with the Metropole Orkest – Requiem (Live At Roadburn 2019)
~ 2020 (Prowling Death Records / Century Media Records) – Stil: Symphonic Extreme Metal ~
Spürt man, weiß man es in dem Moment, dass man gerade einem Konzert beiwohnt, das Rockmusikgeschichte schreiben wird? Aufgewachsen mit zwei deutlich älteren, musikbegeisterten Cousins habe ich mich das schon als Teenager oft gefragt. Wusste die Woodstock-Crowd, wussten die Hippies beim Monterey Pop Festival, in Altamont oder auf der Isle of Wight, dass die Auftritte, die sie dort erlebten, unsterblich werden sollten, die Aufnahmen davon unzählige Male und auch Jahrzehnte später von den nachfolgenden Generationen immer noch gehört werden? In den wilden, bunten, politisch wie chemisch aufgeladenen und hochkreativen Jahren Ende der 60er, Anfang der 1970er war es immer mal wieder möglich, bei einem solchen Ereignis dabei zu sein, dessen Name unvergesslich wurde. Wie sich das wohl angefühlt haben muss?
Später, als sich die Rock- und Popmusik in unzählige Untergenres aufspaltete und auch die Fans sich dadurch in diversen eigenen Nischen wiederfanden, mussten entweder viele Bands unter einen thematischen Hut gebracht werden, um doch einmal weltweit so sichtbar zu sein wie beim Live Aid oder beim Moscow Music Peace Festival, oder aber eine Aufführung künstlerisch so herausragend wie beispielsweise PINK FLOYDs ´The Wall´- oder PRINCEs ´Purple Rain´-Tour.
Einen anderen Weg gingen jedoch schon früh Produktionen, die die scheinbar unvereinbare Klassik- und Rockwelt miteinander verbanden, vorneweg Jon Lords ´Concerto For Group And Orchestra´, aufgeführt 1969 von DEEP PURPLE und dem Royal Philharmonic Orchestra, das später als die Blaupause für unzählige Kollaborationen zwischen Bands und Orchestern diente – wobei jedoch meist vergessen wurde, dass es einen riesigen qualitativen Unterschied macht, ob man vorhandene Kompositionen für ein Orchester so anpasst, dass es die Band im Hintergrund begleitet, oder man eben wie Lord eine Komposition direkt für ein vielköpfiges Symphonieorchester schreibt.
Zieht man all dies in Betracht, wäre ein historisch wegweisendes Konzert damit eines, das visionär neue künstlerische Wege beschreitet, Genregrenzen überwindet, und zum allerersten Mal aufgeführt wird. Doch was, wenn zur Vollendung und Uraufführung noch ganze Teile fehlen?
Ein solches Unterfangen ist nicht nur eine immense Aufgabe, die neben dem eigentlichen Komponisten auf Seiten der Band auch einen Arrangeur erfordert, der die Transkription, Ver- und Zuteilung der einzelnen Parts für die diversen eingesetzten Instrumente übernimmt, dabei aber nicht die Band vergisst, die ja ebenfalls mitspielt und mit den vielen Instrumentalisten des Orchesters gleichberechtigt ist; hinzu kommen noch die Gesangsstimmen. Allein diese vorbereitende Phase kann sich über sehr lange Zeit hinziehen, und so kommen wir zum logistischen Hintergrund einer solchen Megaproduktion – sie ist ohne entsprechende finanzielle und personelle Mittel schlichtweg unmöglich.
Und damit sind wir endlich beim ´Requiem´ angelangt, diesem seit über dreißig Jahren unvollendeten Werk, dessen erster Teil ´Rex Irae´ 1987 auf CELTIC FROSTs avantgardistisch-wegweisender zweiter LP ´Into The Pandaemonium´ erschien, und schon damals den Heavy Metal auf eine neue Evolutionsstufe hob. Sein dritter Teil, ´Winter´, sollte, diversen Hindernissen geschuldet, wiederum erst 16 Jahre später seine Veröffentlichung auf ´Monotheist´ erfahren, und die danach folgende, endgültige Auflösung der Band bedeutete: das Requiem blieb weiter unvollendet, eine schmerzliche Leerstelle in Warriors Werk, die durch den Tod seines kongenialen musikalischen Partners Martin Eric Ain 2017 für immer klaffend Bestand haben würde.
Doch da gibt es, wie das berühmte rebellische gallische Dorf, ein einziges zeitgenössisches Festival, das sich nicht nur durch sein ausgezeichnetes Programm am Puls des metallischen Untergrunds einen Namen gemacht hat, sondern in dessen Rahmen auch heute noch immer wieder Musikgeschichte aufgeführt und -zeichnet wird: das Roadburn Festival in Tilburg. Wer noch mehr darüber erfahren möchte, wie es sein künstlerischer Direktor Walter Hoeijmakers geschafft hat, Tom dazu zu bringen, den zweiten und Hauptteil des ´Requiem´ endlich zu Papier zu bringen, welches Team um seine aktuelle Band TRIPTYKON zwei Jahre lang an der Umsetzung arbeitete, und wie dann vor allem die Aufführung selbst war, kann all dies und noch viel mehr hier in meinem Bericht über die Uraufführung im letzten Jahr nachlesen. Im Folgenden soll es vor allem um die am 15.05.2020 in vielerlei Ausstattungen erscheinende audiovisuelle Aufnahme dieses Meilensteines gehen.
Die zentralen Protagonisten des ´Requiem´: Victor Santura (Gitarre, musikalischer Direktor), Thomas Gabriel Fischer aka Tom Warrior (Gitarre, Gesang, Komposition), Hannes Grossmann (Schlagzeug), Safa Heraghi (Gesang) und Vanja Slajh (Bass)
Das ist sie nun also, die Vollendung eines lebenslangen Projektes, und natürlich rechnet niemand mit weniger als einem Meisterwerk. Niemals wurden `Rex Irae´ oder ´Winter´ bislang live gespielt, und der zweite Teil existierte bis vor einem Jahr nur in Tom Warriors Kopf – wie fügt er sich zu den beiden anderen? Ein grosses Experiment. Wird es glücken?
„You – have joined your fathers feast…”
Jeder Extremmetalfan kennt dieses Stück – wie mit einer Fanfare, nun jedoch deutlich tiefer und weniger dissonant gesetzt als im Original, startet der erste Teil ´Rex Irae (Requiem, Chapter One: Overture)´ von Null auf Hundert, extrem Bass- und Pauken-betont, und schnell fällt die Nervosität von allen Protagonisten auf der Bühne hörbar ab. Die tunesische Mezzosopranistin Safa Heraghi konnte bereits bei ihrer Zusammenarbeit mit Morean und V. Santura bei DARK FORTRESS (´On Fever’s Wings´) zeigen, wie gut sie in dieses Team passt, und drückt dem eröffnenden Duett mit Tom ihren eigenen, selbstbewussten Stempel auf; sein vibrierender Sprechgesang kontrastiert in diesem Part wunderbar mit ihrer vollen, bisweilen zornigen Stimme, sie verkörpert ihre Rolle („I am the wrath beneath the heavens…“) mit expressiver Modulation, Mimik und Gestik, und schneller als erwartet sind diese ersten sechseinhalb Minuten um, und der bislang unbekannte, mythische zweite Teil beginnt…
„Wave after wave…”
…und zwar zuerst sehr ruhig. ´Grave Eternal (Requiem, Chapter Two: Transition)´ ist zum einen eine Zeitreise durch diverse Musikstile des vergangenen Jahrhunderts, mit Motiven aus Progressive und Art Rock (auf die Spitze getrieben in V. Santuras traumhaftes Roger Waters-Solo zu Beginn dieses Satzes), aus Neuer Musik und Klassik, Weltmusik, Electronica, Dark Wave und Gothic Rock – wie ein Rückblick auf Thomas Gabriel Fischers Leben, seine verschiedenen Interessen und Einflüsse, die sich sicherlich genauso mit der Zeit verändert haben, wie sich auch seine Stimme in den letzten drei Dekaden wandelte. Er gibt jedem Bandmitglied viel Raum, sich zu präsentieren (das so spannungsgeladene wie rhythmisch perfekt durchkomponierte „Wave after wave“-Duett zwischen Toms und Safas Stimmen, sowie Vanjas vorausgehender Solo-Basspart!), lässt aber vor allem die verschiedenen Percussion-Instrumente des Metropole Orkest, allen voran die Pauken, aber auch Vibraphon und Tubular Bells immer wieder aufscheinen, um sie bedrohlich und düster die Lebens-Uhr schlagen zu lassen.
Es wird deutlich, Rhythmus ist für Tom Warrior alles, und so zieht sich ein Herzschlag als verbindendes Element durch den gesamten neuen Mittelteil, uhrwerksgenau und gleichzeitig gefühlvoll ausgeführt von Band-Neuzugang Hannes Grossmann. Immer wieder sind nur er und Paukist Eddy Koopman aktiv, und die tragende Rolle, die Grossmann hier übernimmt, ist keinem zweiten zuzutrauen, ohne seinen professionellen musikalischen Hintergrund und seine Erfahrung wäre diese zentrale und verantwortungsvolle Aufgabe als takthaltendes Bindeglied zwischen Dirigent Jukka Iisakkila, Orchester und Band nicht machbar gewesen; Chapeau für diesen Veröffentlichungs-Einstand!
Wie schon mehrfach angesprochen, ist die Zeit, und damit auch Vergänglichkeit, Hinfälligkeit des Lebens das Hauptthema dieses zweiten Kapitels. Der Tod spielt die Hauptrolle in einem Requiem, und dies ist ein Hochgesang an den ewigen Wandler zwischen den Zeiten, und ganz sicher auch an die beiden, in den letzten Jahren verstorbenen engen Freunde, denen dieses Opus gewidmet ist: Martin Eric Ain und H.R. Giger. Darüber hinaus bietet dieser gerade in seinem Kern extrem reduktionistische Mittelteil (der zentrale, lange Pauken/Drumpart, zu dem langsam wieder Vanjas supertief schnarrender Bass hinzukommt) sowie die ganz unterschiedlichen Stimmungen, die innerhalb dieser mehr als dreißig Minuten heraufbeschworen werden, viel Platz für eigene Interpretation des Geschehens. Und als sich ganz langsam alle bisherigen Motive zusammenfinden und den Schluss des zweiten Kapitels vorbereiten, der noch einmal zurückblickt und dabei gleichzeitig alles Enge, Ängstliche und Weltliche in die Schranken verweist, um die Transition vollends abzuschliessen, öffnet Tom seiner Komposition, auch mithilfe der engelsgleichen Stimmen des Kobra Ensembles, eine unendliche Weite, eine ätherische, himmlische Freiheit, einen wahrhaft heiligen Raum, und spätestens wenn sein Riff einsetzt, überwältigen uns Hörer die Gefühle – ich zumindest kann diese Klimax nicht ohne massive Gänsehaut und Tränen in den Augen hören, zu ergreifend, zu sehr die Seele berührend ist sie. Und ich erinnere mich daran, wie ich vor einem Jahr, dort in der ersten Reihe, die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht laut zu schluchzen – vor Trauer, aber genauso vor Freude über diese in all ihrer Düsternis so paradiesische Musik…
Dann gibt es noch etwas Jon Lord-Orgel, eine kurze, klagende Streicherfigur, und mit Pauken und Trompeten, so wie es begann, endet das neue, zweite Kapitel. Das Publikum lässt sich auch durch Victors Gesten nicht davon abbringen, zu applaudieren, die Band verlässt die Bühne, doch das Orchester spielt weiter, und…
Winter
…wird zum tieftraurigen, kontemplativen Cool-Down nach all dem gerade erlebten. Zeit, sich zu sammeln, die reinen Streicher- und Chorklänge auf sich wirken zu lassen, und der Katharsis Raum zu geben, ihr befreiendes Werk zu tun. Noch einmal wird deutlich, wie brillant der Sound dieser Aufnahme ist, in all seiner perfekten Transparenz und Breite, trotz aller Details und Finessen warm, weich und tragend, den ganzen Raum der 3.000 Köpfe fassenden Main-Stage erfüllend, und er braucht den Vergleich mit einer klassischen Orchesteraufnahme nicht zu scheuen. Dem Metropole Orkest und seinem Dirigenten Jukka Iisakkila gebührt Respekt und Dank für die so einfühlsame und niemals effektheischende Interpretation, ich ziehe den Hut jedoch insbesondere vor dem Komponisten und Interpreten in Personalunion Thomas Gabriel Fischer, und seinem Team von Musikdirektoren, auf Seiten der Band Victor Santura, und vor allem auf Seiten des Orchesters Florian Magnus Maier aka Morean, die in diesem Projekt all ihre gemeinsame Erfahrung zusammenbringen konnten, und dabei über sich hinausgewachsen sind. Dieses Großprojekt so vieler Beteiligter hat nicht nur meine Erwartungen bei weitem übertroffen, der zuerst kurz vor Fassungslosigkeit stockende, dann jedoch frenetische Applaus macht dies deutlich. Dieses Erlebnis lässt uns sprachlos zurück, und der Weg in die Realität fällt schwer – ich hoffe, dass es auch euch so gehen wird, wenn ihr dieses Meisterwerk, dieses Jahrhundertereignis des Extremen Metal, in einer ruhigen Stunde und am besten mit Kopfhörern zum ersten, und danach ganz sicher nicht zum letzten Mal goutiert.
Und um zurückzukommen zu meiner ganz am Anfang gestellten Frage: oh, ja, ihr spürt es, und zwar mit jeder Faser eures langsam mitschwingenden Körpers, mit jedem andächtig angehaltenem Atemzug, mit jedem aufgestellten Körperhaar auf Nacken und Rücken, mit jeder Träne, die aus dem Augenwinkel fliesst, und vor allem mit eurer ganzen Seele, und ihr spürt, dass es allen um Euch herum genauso geht – dies ist ein Höhepunkt nicht nur eures eigenen Lebens. Näher an die Essenz des Menschseins als heute wird euch eine Aufführung geliebter Musik nicht mehr bringen können.
(Höchstwertung)
www.facebook.com/triptykonofficial
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