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HAVOK – V

~ 2020 (Century Media Records) – Stil: Thrash Metal ~


Der nicht sonderlich einfallsreiche Titel ´V´ deutet es an und in der Tat handelt es sich hierbei bereits um das fünfte Album, die zwei EPs nicht mitgezählt, dieser 2004 in Denver gegründeten Band rund um Sänger und Riffmeister David Sanchez, der als einziges verbleibendes Gründungsmitglied all die Jahre die Fahne hochgehalten hat. HAVOK sind also keine Newcomer und dürften, dank einer Vielzahl von in der Vergangenheit hierzulande absolvierter Auftritte, einigen von euch nicht ganz unbekannt sein. Allerdings sind Drummer Pete Webber und Leadgitarrist Reece Scruggs auch bereits gleich nach dem ersten Longplayer ´Burn´ von 2009 eingestiegen und somit keine Bandfrischlinge mehr. Lediglich Bassist Brandon Bruce ist erst seit diesem Jahr dabei und frisch zu den Aufnahmen der neuen Scheibe dazugestoßen.

Soweit also zu den Fakten. Und was gibt es musikalisch?

Ich will euch an dieser Stelle nicht vorenthalten, was Bandleader David Sanchez hierzu sinngemäß zum Besten gibt: „Wir sind jetzt alle in den Dreißigern und natürlich klingen wir nicht mehr wie in unseren Anfangstagen. Wir haben uns körperlich und geistig weiterentwickelt und parallel dazu hat sich auch unsere Musik weiterentwickelt“. Einen ersten Eindruck dieser Weiterentwicklung vermittelt bereits das Cover, für welches sich HAVOK die Dienste des jungen (Jahrgang 1984) und in Berlin ansässigen Elinor Kantor gesichert hat, der unter anderem bereits auch für solche Szenegrößen wie TESTAMENT, ICED EARTH, MEKONG DELTA und ANACRUSIS tätig geworden ist. Dargestellt wird, in einfachen Worten ausgedrückt, ein sich in Auflösung befindlicher Homo Sapiens, der im wahrsten Sinne des Wortes von der Natur heimgeholt wird, was zumindest in meinen Augen durch die auf ihm wachsenden Pilze mehr als eindringlich zum Ausdruck kommt. Und tatsächlich entpuppt sich das Album als Weck- oder noch besser Warnruf an die Menschheit, wie bereits ein paar recht zufällig herausgegriffene Zeilen aus dem Opener ´Post-Truth Era´ sehr deutlich vermitteln:

Truth is the first casualty
In a world of lies
Remain vigilant
Believe half of what you see
And none of what you hear

Ob es da wohl irgendeinen Bezug zur aktuellen Führung der USA gibt? Aber auch Songtitel wie ´Fear Campaign´ oder ´Betrayed By Technology´ sprechen eine überdeutliche Sprache.

Der soeben zitierte Opener ´Post-Truth Era´ legt nach kurzem Intro bereits ordentlich los und sowohl das darauffolgende ´Fear Campaign´ als auch ´Cosmetic Surgery´, ´Phantom Force´ und ´Merchands Of Death´ bieten all das, was man von HAVOK kennt und schätzt. Extrem aggressiver und zumeist giftig keifender Gesang von David, der mich in manchen Momenten sogar an den meines heißgeliebten Mark Oseguda erinnert (musikalische parallelen zu DEATH ANGEL sind ja durchaus ebenfalls erkennbar), pfeilschnelle Gitarrensoli, galoppierende Riffs, Gangshouts und gnadenlose Doublebass-Attacken. Exemplarisch hierfür steht ´Phantom Force´, ein Nackenbrecher par excellence, mit einem vom Bass und Leadgitarre dominierten Mittelteil, wohingegen ´Cosmic Surgery´ die Double-Bass förmlich zum Glühen bringt.

 

 

Und dann gibt es noch die andere, die oben angesprochene reifere Seite. Ich weiß genau, dass viele Fans der ersten Stunde, und ich gehöre  definitiv dazu, der Meinung sein werden, dass gut der Hälfte der Stücke der richtige Punch fehlen würde und leider im Midtempo-Bereich dahindümpeln. Aber das ist genau das Besondere an diesem Album. Es ist diese technische, manchmal sogar progressive Note, die ´V´ für mich so spannend und hochinteressant macht und zumindest bei mir keinerlei Langeweile aufkommen lässt. Letzteres passiert mir gerade bei den Thrashkapellen jüngerer Baujahre in letzter Zeit leider immer häufiger, aber vielleicht liegt ist ja nur daran, dass ich nun doch langsam alt werde.

Nehmen wir beispielsweise gleich das dritte Stück ´Betrayed By Technology´, bei welchem, verglichen mit den ersten beiden Stücken, das Tempo heruntergefahren wird und allen Instrumenten, insbesondere und zum wiederholten Male auf diesem Album dem Bass, ausreichend Raum zur Entfaltung gegeben wird. Ein großartiges Stück Musik, welches mit seiner bedrohlichen Atmosphäre die besungenen Gefahren unkontrollierter Technologie schon fast physisch greifbar macht.

Auch ´Ritual Of The Mind´ bleibt mit seinem galoppierenden Riffing im Midtempobereich und überlässt hauptsächlich den miteinander im Wechsel agierenden Gitarren das Feld. Ähnliches hat ´Interface With The Infinite´ zu bieten, welches mich stellenweise sogar, bei allen auf der Hand liegenden Unterschieden, vom Aufbau und seiner Atmosphäre her an ´Seasons In The Abyss´ erinnert.´Panopsychism´ hingegen beginnt mit einer Akustikgitarre und ist das progressivste Stück auf der Scheibe, was ganz besonders mal wieder durch das dominante Spiel der Bassgitarre zum Ausdruck kommt, aber an dem auch das zum Teil ordentlich vertrackte Gitarrenspiel nicht ganz unschuldig ist. Wie bei ´Betrayed By Technology´ kommen auch hier alle Instrumente zum Zuge und treten Dank der glasklaren Produktion jedes für sich individuell in den Vordergrund. Dabei schaffen sie es dennoch, die Idee hinter dem Titel dieses Stückes, Panpsychismus ist die Theorie der Einheit von Geist und Seele, auf die Musikinstrumente zu übertragen und diese trotz aller Individualität als Einheit auftreten zu lassen.

Da ist es eigentlich nur eine Randnotiz wert, dass das lediglich knapp über eine Minute lange ´Tab Tsog´ als sechstes Stück ziemlich genau in der Mitte des Album platziertes ist und ohne Gesang und Gitarre, nicht nur als Interludium fungiert, in welchem der aus dem Untergrund anschwellende Ton wie von einem Didgeridoo stammend klingt und auch die sonstige Instrumentierung an einen Stammestanz erinnert, sondern auch gut die Funktion eines Intros für das darauffolgende brachiale ´Phantom Force´ ausfüllt.

Das abschließende, achtminütige ´Don’t Do it´ steht stellvertretend für die neuen HAVOK und beginnt ruhig, aber bedrohlich und baut im Folgenden eine überwältigende Spannung auf, die zwar ab dem Mittelpart zunächst mit melodischen und cleanen Gesangseinlagen kurz aufgefangen wird, obwohl das intensive Riffing sehr wohl zum Headbangen einlädt, sich aber zum Ende hin dann doch noch in einem Thrashgewitter entlädt. Beendet wird das Stück und somit auch das Album mit den Klängen einer Akustikgitarre, die bereits zu Beginn von ´Panpsychism´ zu vernehmen waren. Ich bin mir allerdings noch nicht ganz klar darüber, ob dies ein versöhnlicher Abschluss, quasi als Hoffnungsschimmer, oder den endgültigen Abgesang darstellen soll.

Alles in allem werden in 45 Minuten elf, egal ob schnell oder im Midtempo gehalten stets energiegeladene Stücke, mal roh und brutal, mal bedrohlich, aber dennoch immer technisch ausgefeilt, zumeist voller Melodien und musikalischer Spannungsbögen dargeboten, die vom Hörer unweigerlich Besitz ergreifen.

Ich werde jedenfalls derzeit nicht Müde, dieses Album zu hören und vergebe deswegen konsequenterweise

(8.5 Punkte)

 

HAVOK sind:
David Sanchez – Rhythmusgitarre und Gesang
Reece Scruggs – Leadgitarre
Pete Webber – Schlagzeug
Brandon Bruce – Bass

Online:
http://HAVOKband.com
https://www.facebook.com/HAVOKOfficial


(VÖ: 01.05.2020)

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