RORY GALLAGHER – Irish Tour
~ 1974 (Polydor Records) ~
Jene, die mich kennen, haben bestimmt schon damit gerechnet und nun ist es soweit!
Eigentlich wollte ich nur ein kurzes Filet daraus machen, habe diese Idee aber nach gefühlten 1,3 Millisekunden verworfen, denn wie soll man einem derartigen Meilenstein der Musikgeschichte mit ein paar Zeilen gerecht werden? Vergessenes Juwel? Bei bisher über 2 Millionen verkauften Exemplaren wohl eher nicht! Bleibt also die Rubrik „Lebensverlängernde Werke”, obwohl es bei mir eher ein “Lebensveränderndes Werk” gewesen ist. Dazu aber gleich mehr.
Zunächst möchte ich kurz auf die Motivation eingehen, die gerade jetzt zu diesen Zeilen führt, denn diese beziehe ich traurigerweise aus einer Tourabsage, zu deren Verkündung sich derzeit weltweit Künstler und Veranstalter gezwungen sehen. Im März und April wäre Gerry McAvoy mit seiner BAND OF FRIENDS auch in Deutschland unterwegs gewesen, um anlässlich des 25. Todestages von Rory Gallagher seiner Musik zu huldigen. Und ausgerechnet zu diesem ganz besonderen Jahrestag sieht sich Gerry dazu gezwungen, alle Konzerte bis zunächst Ende April abzusagen.
Bei der BAND OF FRIENDS (http://www.bandoffriends.eu/) handelt es sich allerdings nicht um irgendeine Coverband, denn Gerry McAvoy war der Bassist, der Rory Gallagher zwanzig Jahre lang von 1971 bis 1991, also unter anderem auch 1974 auf der ´Irish Tour´, begleitet hat. Auch Schlagzeuger Brendan O’Neill war immerhin zehn Jahre und zwar von 1981 bis 1991 gemeinsam mit Rory unterwegs. Authentischer kann eine Coverband wohl kaum noch sein.
Rory hätte sehr unter der aktuellen Situation gelitten, wahrscheinlich noch viel mehr, als die heute betroffenen Musiker. Nein, nicht wegen der finanziellen Einbußen, sondern weil er nicht in der Lage wäre, seine Musik zu seinen Fans zu bringen. Er hat das Aufnehmen von Studioscheiben nicht sonderlich gemocht und wäre am liebsten unentwegt auf Tour gewesen, ein Wunsch, welchem er mit teilweise über 300 Konzerten pro Jahr recht nahe kam. Seine Abneigung, Zeit im Studio zu verbringen, belegt auch die Geschwindigkeit, mit der er seine Studioalben aufnahm. So verbrachte er für das 1973er Album ´Blueprint´ gerade mal zwei Wochen darin. Er blühte erst auf der Bühne richtig auf und bezog all seine Energie aus seinen Auftritten, was seine Live-Aufnahmen auch so einzigartig macht. Bereits nach seinen ersten beiden Solo-Alben (die Veröffentlichungen seiner Band TASTE zähle ich an dieser Stelle mal nicht mit), wurde mit ´Live! In Europe´ das erste Live-Album veröffentlicht, aber erst der Mitschnitt seiner Irland-Tour aus dem Jahre 1974 macht deutlich, wie wichtig ihm seine Fans wirklich waren. Nach dem “Bloody Sunday” am 30. Januar 1972 in Derry war die Situation in Nordirland eskaliert und die Gewalt von Seiten der IRA und loyalistischen Paramilitärs hatte bereits eine hohe Anzahl von Menschenleben gefordert. Verständlich, dass sich kaum noch ein Künstler in den Norden Irlands traute. Nicht so Rory, der, unpolitisch wie er war, sowohl Shows in Nordirland als auch in der Republik Irland gab und nicht einmal seine Show in Belfast absagte, als am Vortag des Konzertes zehn Bombenattentate in der Stadt erfolgten und er von Soldaten zur Konzertstätte eskortiert werden musste.
Seitdem ich das Musikhören zu meiner Leidenschaft gemacht und jeden Monat gierig auf mein Taschengeld gewartet habe, um mir meine monatliche LP (manchmal waren es auch zwei) zu kaufen, haben es mir vor allem die Gitarrenhelden jener Zeit angetan und ich spreche hier nicht nur von den Veröffentlichungen aus den späten 70ern. Da ich mich in jener Zeit mit meinen gleichaltrigen Freunden auch in Personenkreisen bewegte, die uns einige Jahre voraus wahren, darunter insbesondere auch einige ältere Geschwister meiner Freunde, konnte ich nämlich aus einem musikalischen Fundus schöpfen, der weit in die 60er hineinreichte. Mir hatte (und hat) es dabei vor allem das Gitarrenspiel von Ritchie Blackmore, Jimmy Page, natürlich Jimi Hendrix, Georg Thorogood, aber auch (ich gebe es zu) Ted Nugent angetan und eben jenes von Rory Gallagher, von dem ich als erstes tatsächlich eine Scheibe seiner Band TASTE in Händen hielt.
Aber bereits vorher hatte es ein Ereignis gegeben, welches ich ohne jene älteren Geschwister und deren Freunde nicht erlebt hätte. In der Nacht von Samstag auf Sonntag des 24. Juli 1977 fand in der Essener Grugahalle die erste Rockpalast-Nacht mit Little Feat, Roger McGuinns Thunderbyrds und eben Rory Gallagher statt, die auch live im Deutschen Fernsehen übertragen wurde. Ich war an jenem Abend zusammen mit anderen Freunden zu einer Übernachtungsparty eingeladen und der ältere Bruder des Gastgebers hatte ähnliches für sich und seine Freunde vorgesehen, allerdings war dort schlafen nicht als Bestandteil des Abendprogramms eingeplant. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf und wir verbrachten allesamt die Nacht vor dem eigens hierfür im Zimmer des Bruders aufgebauten Fernseher.
Seit jener Nacht im Jahr 1977 hat mich die Musik von Rory Gallagher stets begleitet und das nicht nur im letzten Jahr auf meiner Rundreise durch Nordirland und die Republik Irland. Insbesondere der Besuch in seinem Geburtsort Ballyshannon, in welchem jedes Jahr ein über die gesamte Stadt verteiltes Gratis-Festival mit internationalen Künstlern zu seinen Ehren stattfindet, war für mich ein unvergesslicher Moment und hochemotionales Erlebnis.
Es sollte allerdings noch bis zum 22. August 1992 dauern, bis ich Rory zum ersten…und zum letzten Mal live erleben durfte. Ein Erlebnis, welches ich immer im Herzen tragen werde, aber das ist eine andere Geschichte…
Von allen Alben Rorys habe ich das zwischen dem 2. und 4. Januar 1974 in Dublin, Belfast und Cork aufgenommene Live-Album ´Irish Tour´ immer am meisten gemocht. Es bietet sowohl rockige Nummern, wie den mit einer Slide-Gitarre dargebotenen Opener ´Cradle Rock´ aber auch bluesige Titel, wie den sich daran anschließenden Track ´I Wonder Who´ (einer Coverversion eines Songs von Muddy Waters). Besonders die erste Seite der zweiten LP bietet mit ´Walk On Hot Coals´und ´Who´s That Coming´ alles, was das Herz nicht nur eines Fans von Rory Gallagher, sondern eines jeden Gitarren-Aficionados höher schlagen lässt. Es sind aber vor allem das akustisch dargebotene ´As The Crow Flies´ (ebenfalls eine Coverversion, dieses Mal von Tony Joe White ) und ganz besonders das epochale und melancholische ´A Million Miles Away´, welche mich immer noch bei jedem Hören tief im Inneren berühren. So viel Gefühl in einem Song hat es selten gegeben.
Bereits stark von seiner Krankheit gezeichnet und unter starken Schmerzen gab Rory am 10. Januar 1995 sein letztes Konzert in den Niederlanden. Im März des gleichen Jahres wurde akutes Leberversagen, verursacht durch übermäßigen Alkohol und Tablettenkonsums diagnostiziert. Mit nur 47 Jahren verstarb Rory Gallagher am 14. Juni 1995 an einer Staphylokokkeninfektion, die er sich nach der erforderlich gewordenen Lebertransplantation zugezogen hatte.
´Irish Tour´ ist ein Zeitdokument, welches zeitlose Musik enthält. Sollte irgendein Leser dieser Zeilen dieses Meisterwerk noch nicht kennen, dann wird es jetzt aber allerhöchste Zeit. Ich zumindest, hole es nach wie vor regelmäßig aus dem Regal und werde es auch am 14. Juni wieder tun.