SAGA & LAZULI
~ 11.03.2020, E Werk, Saarbrücken ~
WOT? Der zweite SAGA-Livebericht innerhalb einer Woche? Nix mehr zu tun? Doch, schon – aber dies ist a) möglicherweise eines der letzte Livereviews auf unbestimmte Zeit, auch wenn b) mein geschätzter Kollege Carlos zu SAGA (fast) alles ausführlich geschrieben hat und c) geht‘s in erster Linie um unsere französischen Freunde von LAZULI, die dermaßen abgeliefert haben, dass ich vor Ort ihre aktuelle Platte kaufte, spontan zur Feder griff und zusätzlich die Gelegenheit nutze, auch meinen alten Faves SAGA nochmal persönlich zu huldigen.
Eine Schande eigentlich, dass der Pälzer noch nie bei unseren saarländischen Schwestern und Brüdern im E-Werk war. Eine richtige Sau von Konzertlocation. Riesenbühne, die von der Höhe her etwa da anfängt, wo ich aufhöre. Riesenhalle – natürlich heute in der Mitte mit schwarzem Vorhang abgeteilt, denn auch im Saarland drohte die Gefahr der 1.000er Absage und außer uns Anwesenden werden die Leute langsam vernünftig.
Ein Herzensanliegen von mir an dieser Stelle: Bitte seid so fair und seht langsam die Ernsthaftigkeit der Situation in der realen Welt, sprich die höhere Gewalt und basht weder Bands noch Veranstalter…ich werde am Ende dieses Jahres auch jede Menge Kohle in den Sand gesetzt haben, aber die Hauptsache ist doch, dass wir schnellstmöglich wieder zusammen feiern! Danke.
Aber nun endlich zum Essenziellen: LAZULI pflanzen nicht nur die Saat der Musik in Form einer Blume auf eine einsame Insel, sie überfluten gerade das dankbare Publikum mit einer überragenden Auswahl an fantastischen Melodien, höchster Avantgarde-Progmusikalität und der schönsten ´Garden Party´, die man einst nur von MARILLION der Post-FISH-Ära kannte.
Zart und mitreißend in stetigem Wechsel packt ihr Oeuvre so ziemlich ausnahmslos die vorwiegend wegen dem Headliner gekommenen Fans aller Altersgruppen – natürlich heute abend jede Menge Best-Ager. Sänger und Gitarrist Dominique Leonetti überzeugt wie auf Tonträger im gesamten Oktavenspektrum und beweist, dass hoher Gesang nicht nervig sein muss, während Gitarrist Gédéric Byar mit seiner erhabenen Art und Rastamatte ein ebenbürtiger Blickfang ist – wie auch die restliche Band.
Ein Chapman Stick-(Das Ding, das Tony Levin bei Peter Gabriel live zuweilen auspackt und auch von Don Schiff der legendären ROCKET SCIENTISTS, Nick Beggs (Kajagoogoo, Steven Wilson) oder John Myung (DREAM THEATER) beherrscht wird)-ähnliches Ding namens „Léode“ (meines Wissens nach benannt nach Dominiques Bruder Claude Leonetti und einer anderen Person, die das Teil zusammen entwickelt haben, nachdem Claude durch einen Unfall nur noch einen Arm benutzen kann), Vibraphon und Waldhorn sieht man auch nicht alle Tage.
Um bei LAZULI zu spielen, genügt nicht entweder Kurzhaarfrisur oder zurückgezopfte Matte, sondern das Meistern des jeweiligen Instrumentes. Ultrasympathisch kommen die vom Spickzettel in Deutsch gebrachten Ansagen rüber. Dazu von Drummer Vincent Barnavol als auch Keyboarder Romain Thorel Percussioneinlagen in feinster PETER GABRIEL Manier. Man wie durchflutet von so vielen positiven Vibes auf höchstem musikalischen Niveau und das noch bei glasklarem Livesound.
Respekt und tausend Dank an die Technik, die das E-Werk beschallt. Energie, Lebensfreude, Kreativität und große Emotionen – das sind LAZULI. Ein besseres Händchen hatten SAGA beim Aufheizer selten bis nie.
Ach ja, ich vergaß: Heavy waren sie auch noch. Als Zugabe steht die gesamte Band am Mannschafts-Vibraphon und überzeugt mit einem Medley von ´99 Luftballons´ bis zur Verbeugung vorm Headliner mit ´Wind Him Up´, was ihnen vom Publikum zusätzlich gedankt wird, wenn überhaupt noch mehr möglich ist. Ein Auftritt des Jahres!
Mit dem Verweis auf das fulminante Review von Carlos mache ich es kurz:
Michael Sadler singt wie ein junger Gott, seit dem dritten Album ´Silent Knight´ (eines meiner absoluten Lieblingsalben) ist Jim Gilmour der einzig wahre Keyboardgott, ohne dessen warme Backings was fehlen würde und Wirbelwind Ian Crichtons göttliches Girarrenspiel konnte niemals kopiert werden.
Was mir definitv fehlt, ist alleine schon die Aura seines Bruders Jim, der jedoch durch den über jeden Zweifel erhabenen Dusty Chesterfield am Bass und Keyboards würdig vertreten wird. Doch lasst uns nun keine weiteren Worte verlieren und ein kleines bisschen über den Drummer Mike Thorne reden.
Mit ´Out Of The Shadows´ als Opener haben sie mich bereits und schon hier wird klar, dass sich die Drums genauso anhören, wie sie es bei SAGA nun mal müssen. Da bin ich Fetischist und lasse auch nicht mit mir verhandeln, wenn man bedenkt, dass Original Steve Negus damals durch sein unvergleichliches, treibendes Powerspiel maßgeblich dazu beitrug, die E-Drums in die weite Welt hinauszutragen.
Und nun seid ihr mich auch fast los, denn es geht nur noch Schlag auf Schlag mit Hits, die für sich selbst sprechen: das superbe ´Catwalk´ – ´Framed´ (“have you no shame“); auch hier das Schlagzeugspiel sehr nahe am Original Steve Negus – ´Mind Over Matter´, welches die rockig-groovigeren Töne von SAGA auslebt – ´On The Other Side´ zum Runterkommen und hierbei wieder das herrlich-filigrane Spiel mit der High-Hat, was ein jahrelanges Markenzeichen war.
Immer weiter knallts, nun ´You’re Not Alone´, bei dem natürlich das Publikum gefordert ist und auch liefert – das hammergeile Instrumental-Show-Off ´Conversations´ mit diesen brillanten, abwechselnden Läufen von Keys und Gitarre – der Heavy-Smasher ´Trust´ – ´Days Like These´ von Jim Gilmour gesungen – die Signature Durchdreh-Nummer ´On The Loose´ – ´The Stranger´ inklusive Fotoshow aus allen Jahrzehnten auf der Leinwand.
Ein wichtiger Bandklassiker nennt sich ´Careful Where You Step´ und mit eben diesem beginnt eines der bedeutendsten Livealben der Musikgeschichte: ´In Transit´. Danach endlich ein Drumsolo und Zeit für mich, das leckere Karlsberg Flaschenbier partiell loszuwerden (sorry Mike) und nicht vergessen: Immer schön die Patschen waschen – vorher und hinterher. Ganz besonders magisch gestaltet sich das wunderschöne, später regelrecht in Soloeskapaden eruptierende ´Ice Nice´.
Das Hirn fegt mir ´Amnesia´ weg, mit dem ultrawitzigen Originalvideo in voller Länge, bei dem Jim Gilmour ohne Plan durch die Gegend läuft, bis er endlich seinen Platz auf der Bühne wiedergefunden hat. Erneut Jim an den Vokals bei dem Hit ´Scratching The Surface´ mit dem genialsten Break, welches die Musikgeschichte je gehört hat (vergesst ´In The Air Tonight´) als maschinengewehrschnellem Drum-/Gitarren-Parallel-Lauf, bei dem Mike und Ian gefordert sind und reinen Musiksex vollführen.
Wenn Michael erneut den Bass in die Hand nimmt, ist es selbstverständlich Zeit für die Fanhymne ´Humble Stance´, direkt gefolgt von ´The Pitchman´, bei dem wiederum Drummer Mike die Menge motiviert und zeigt, dass SAGA auch Powermetal können. Und ZACK! – ´Don’t Be Late´ natürlich auch noch im Anschluß. Wow.
Als erste Zugabe der absolute Must-Play-Orgasmus ´Wind Him Up´- wobei erneut Mike das Züngelchen an der Waage ist und erfolgreich den E-Drum Sound zelebriert, ohne den die ganze Klasse von Gesang und übrigem Instrumentarium nicht diesen Wow-Effekt ergeben würde. By the way: Mitklatschen – besonders bei Metal oder Prog – find ich meist blöd oder störend, aber SAGA ist die einzige wahrhaft progressive, weil unerreichte Band, die förmlich dazu einlädt und das auch darf.
Doch nun hatte Kollege Carlos vorher in Hannover mit ´The Flyer´ mehr Glück als wir, denn leider kam der einzige Fehlgriff des Abends mit ´I‘m Back´, das vielleicht als Opener getaugt hätte, aber nach der Non-Plus-Ultranummer davor leider nur Schulterzucken und fragende Blicke im Publikum hervorrief. Schreibt‘s in den Kalender – Kritik von mir und dann noch an meinem Heiligtum.
Aber mal ehrlich, meine SAGA-Heroes: Wenn man solch starke, späte Platten gemacht hat wie ´Full Circle´ oder ´House Of Cards´ müsstet ihr doch selbst wissen, welchen Wert als Verabschiedung zum Beispiel dieser Trademark-Signature-Song gehabt hätte:
I can’t tell you how, where or when
But I can tell you we’ll meet again
I can’t tell you how, where or when
But we all know this won’t be the end
Wäre das so gekommen, würde man mich heute noch einfangen müssen. Dennoch ist mir eines klar: auch mit über 50 Jahren und einem Musikgeschmack von ABBA über alles, was gut ist – besonders Heavy und Indie – bis ZAPPA wird SAGA meine absolute Lieblingsband bleiben, waren sie doch der einzige Grund für ein Tattoo auf meinem damals jungfräulichen Körper… das erste von vielen.