PENDRAGON – Love Over Fear
~ 2020 (Toff Records / Just For Kicks Records) – Stil: Prog Rock ~
Die Zeit ist ein elendiger Peiniger. Die Jahre verfliegen einfach, ohne irgendwie ins Stocken zu geraten. Als PENDRAGON zu Beginn der Neunzigerjahre begannen, ihre Neo Prog-Meisterwerke zu kreieren, angefangen bei ´The World´ (1991) und ´The Window Of Life´ (1993), erschienen dem jungen Hörer die Alben aus den wenige Jahre zuvor in den Achtzigern veröffentlichten Alben wie aus einem anderen, weit zurückliegenden Leben. Die 1978 gegründete UK-Band bestand gefühlt bereits eine halbe Ewigkeit.
Heute, ganze 30 Jahre später, schauen die Neunzigerjahre aus der Nachbarschaft herüber, als wären sie erst gestern vorüber gegangen. Der Neo Prog und Prog Rock erlebte eine kleine Renaissance, derweil sich die Musikwelt, angefangen mit der Grunge-Epidemie, neuerlichen Änderungen unterzog. Gleichzeitig wurde der Heavy Metal für tot erklärt, obwohl er sich in Progressive- und Crossover-Bereichen allerbester Gesundheit erfreute und grazile Melodie-Ästheten den Muff der Achtzigerjahre wegwischten. PENDRAGON bewegten sich hernach in den Nullerjahren dezent in Richtung New Artrock, um zuletzt wieder etwas die musikalische Zeituhr zurückzudrehen.
Unfassbar sechs lange Jahre mussten seit dem letzten Studioalbum vergehen, damit ´Love Over Fear´ die Geschichte von PENDRAGON fortführen kann. Inzwischen haben sich ihre früheren Mitstreiter wie MARILLION, PALLAS oder TWELFTH NIGHT längst in andere Richtungen bewegt oder aufgelöst. Die Gründungsmitglieder, Sänger/Gitarrist Nick Barrett und Bassist Peter Gee, haben 2020 mit Keyboard-Legende Clive Nolan, immerhin seit 1986 in der Gruppe, und Schlagzeuger Jan-Vincent Velazco zu ihrer musikalischen Essenz zurückgefunden. Feinfühlige und -sinnige zehn Kompositionen zeugen zwar abermals von der melodischen Glückseligkeit der Neunzigerjahre, verzichten jedoch auf den Bombast und jegliches Aufplustern. Die epische Ausführung ist in den Kompositionen geblieben, die schwelgerischen und gefühlvollen Gitarrensoli sind ebenso wie der emotionsgeladene Gesang von Nick Barrett weiterhin präsent. Vergleiche mit MARILLION, ARENA oder IQ verbieten sich in diesen Tagen. Diese ruhige Sensibilität der Stücke lässt sich anderweitig bisweilen höchstens bei CAMEL ausmachen.
Die vom Klavier getragenen Songs ´Starfish And The Moon´, ´Whirlwind´ oder ein bis zu seiner Entladung ruhig verlaufendes ´Soul And The Sea´ bewegen sich in diesen Sphären. ´Everything´ entspricht hingegen als Opener sowie der längere, von mehreren Abschnitten lebende ´Truth And Lies´ klassischem Bandmaterial. Gerade letztgenannter Song nutzt die sich aus den solistischen Darbietungen aufkommende Energie für einen epischen und gepflegt kraftvollen Abgang. ´Eternal Light´ besitzt sogar irgendwie ein sommerliches Feeling. Etwas aus der Reihe tanzt das mit Mandoline und Violine folkloristisch, aber dennoch nach PENDRAGON tönende ´360 Degrees´.
Nick Barrett empfiehlt über das gesamte Werk hinweg, endlich wieder die Schönheit der Welt zu erkunden, die Wunder zu entdecken, lieber ein Buch in die Hand zu nehmen, das Abenteuer zu suchen – und die Liebe.´Who Really Are We?´ sticht dazu ungeschönt in das gesellschaftliche Wespennest. Nick betrachtet das sozialpolitische Klima in unseren westlichen Ländern, und beschreibt damit nicht nur den Zustand von England. Er fragt sich, wie die Menschheit, einst angefangen mit Stöcken und Steinen, überhaupt soweit kommen konnte. Aber wahrscheinlich sind wir nicht mehr ganz bei Verstand. Ideologien sind heutzutage das Maß aller Dinge, dabei müsste die Liebe über jeglicher Angst stehen. Aus Liebe wird derzeit Hass und wird zur neuen Liebe. Der Hass treibt uns auseinander, unsere Herzen werden zu Stein. Die Liebe zueinander schwindet von Tag zu Tag.
Die Zuneigung zu PENDRAGON verblasst hingegen keineswegs. Zur Pflichtveranstaltung wird ´Love Over Fear´ eigentlich bereits durch das traumhafte, 27cm x 27cm große Hardcover-Buch, das nicht nur mit den Lyrics und wundervollen Gemälden von Liz Saddington zum Schmuckstück gerät, sondern drei Silberlinge enthält. Auf den Silberlingen zwei und drei sind die Kompositionen des Werkes jeweils nochmals in ihren akustischen sowie instrumentalen Versionen zu begutachten. Die traumhaften, jederzeit erhabenen Kompositionen begründen einen weiteren Meilenstein in der Geschichte von PENDRAGON.
(9 Punkte)