LOWRIDER – Refractions
~ 2020 (Blues Funeral Recordings) – Stil: Desert/Stoner Rock ~
Am Anfang erschuf Gott KYUSS und Gott sah, dass es gut war.
(Und ich auch…siehe hier)
Und alle Menschen erfreuten sich an der Musik und frohlockten!
Aber große Trauer senkte sich Anno Domini 1996 über die Söhne der Wüste, denn KYUSS war nicht mehr. Gott aber hatte erbarmen und also sprach er “Es werde mehr von dieser Art” und erschuf 1997 NEBULA in den U.S.A. und LOWRIDER in Schweden. Und die beiden Brüder verstanden sich so vortrefflich, dass man diese Botschaft in Vinyl gravieren ließ (Split 1999).
So oder so ähnlich wird es sich mit Sicherheit zugetragen haben.
Zwanzig Jahre ist es nun her, dass das aus Karlstad stammende Quartett die Welt mit ihrem Erstling ´Ode To Io´ beglückt hat und es stellt sich nach so langer Zeit immer die Frage, ob der alte Spirit noch vorhanden ist. Um es vorweg zu nehmen, ja, er ist es! Aber die Jahre sind nicht spurlos an LOWRIDER vorbei gegangen, denn ihre Trennung 2003 sollte endgültig sein. Die Bandmitglieder hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt und ihren Lebensmittelpunkt in unterschiedliche Städte verlegt. Aber genau das gibt dem vorliegenden Album das gewisse Etwas, denn obwohl sich die vier Mitglieder bereits 2013 zum “Desertfest” in London wieder zusammenrauften, hat es bis heute gedauert, ein neues Album herauszubringen. Von einem Schnellschuss kann also keine Rede sein. Vielmehr wurden die letzten Jahre (nach Angabe der Band ab 2001) genutzt, um ein wohldurchdachtes Werk zu schaffen, das sowohl den alten Geist beschwört, als auch mit einer Reihe interessanter Neuerungen aufwartet, welche dieses Comeback zu einem einzigartigen Erlebnis machen. Die Herren sind älter und weiser geworden (bei dem Debüt waren die vier zwischen 17 und 26 Jahre alt) und das merkt man dem vorliegenden Album zu jeder Sekunde an. Ich preise die Götter für dieses Comeback.
Gleich der Opener ´Red River´ lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, worum es geht. Verzerrte Gitarren dröhnen einem so tieftönend entgegen, wie es vermutlich auch die Motoren der Automobile tun, nach denen LOWRIDER benannt worden sind. Kein Gitarrenton ist dreckig genug, dass er nicht noch durch Effekte weiter “veredelt” werden könnte, wobei die Fuzz-Box selbstredend bei weitem am stärksten zum Glühen gebracht wird. Wabernde Gitarren, groovender Bass…ich fühle förmlich den Wüstensand im Gesicht, in den Augen und in der Kehle. Es ist halt Wüstenrock par excellence. Die Töne, die aus dem Lautsprecher schallen, schaffen es sogleich, mir ein Lächeln aufs Gesicht zu malen und ich vermute, dass ich dabei nicht der Einzige bleiben werde.
Die Zeit hat seit ´Ode To Io´ stillgestanden. Nostalgische Gefühle überfluten mich. Der oben beschworene alte Spirit ist sofort da und versetzt mich schlagartig in die für dieses Genre glorreichen Neunziger. Und als wenn dieser Beginn nicht schon genug Reminiszenzen an die seligen KYUSS beinhalten würde, setzt der Gesang von Peder Bergstrand mit seiner unglaublichen Nähe zur Stimme von John Garcia dem Ganzen die Krone auf. Möglicherweise war es aber genau diese Nähe zu den Übervätern, die das Schicksal von LOWRIDER nach ihrem Debüt besiegelte. Aber LOWRIDER sind mehr, viel, viel mehr als bloße KYUSS-Klone. Das wird spätestens im zweiten Teil des Stückes mit Einsetzen des Solos auf der von Ole Hellquist gespielten Leadgitarre deutlich, bei welchem er das Wah-Wah-Pedal ordentlich durchtritt. Während Ole sein im Vergleich zur zweiten Gitarre glockenhell klingendes Instrument bearbeitet, hämmert uns Niclas ein das Stück tragende Riff gnadenlos in die Ohren. Das Tempo des Stücks wird geschickt variiert und Peder reduziert zwischenzeitlich seinen Gesang auf ein beschwörendes Flüstern. Ein grandioser Beginn, aber die wahren Überraschungen liegen auf diesem Werk noch vor einem und offenbaren sich Stück für Stück…
Mit ´Ode To Ganymed´ ist nach Io einem weiteren galiläischen Mond von Jupiter ein Lied gewidmet. Nach einem kurzen, sehr organisch klingendem Schlagzeugintro, wird das Stück hauptsächlich durch eben dieses in Kombination mit der Leadgitarre getragen. Das Hauptriff des Songs bohrt sich förmlich in die Gehörgänge…verdammt heavy! Und dann vernimmt man die Klänge einer Hammondorgel (!!), welche vom Gastmusiker Pontus Mutka gespielt wird. Das Instrument ist ja nun nicht gerade genretypisch, aber es wirkt ganz und gar nicht als Fremdkörper, sondern gliedert sich sehr harmonisch in die Songstruktur ein. Das hätten nicht viele Bands aus dieser musikalischen Richtung hinbekommen, aber LOWRIDER können es eben. ´Sernanders Krog´ fügt dem Album eine psychedelische, stellenweise sogar pinkfloydeske Note hinzu. Das Stück mündet in einem Solo mit einer wundervoll jaulenden und rückgekoppelten Gitarre, welches auch Jimi Hendrix mit der Band of Gypsys hätte spielen können. Der kleine Bruder von ´Machine Gun´ gleitet auf einem Fluss voller Rhythmus dahin und würde das Stück nicht behutsam ausgeblendet werden, ich wäre immer noch in einem meditativen Tagtraum versunken und ließe mich zwischen Sternen dahintreiben.
Der alte Maulesel Pepe ´Ol’ Mule Pepe´ ist in der Tat alt, befand er sich doch bereits auf dem Split mit NEBULA, zumindest auf den 1998er LP-Versionen von ´I Used To Fuck People Like You In Prison Records´und ´MeteorCity´. Andere Versionen dieses Splits auf LP und CD beinhaltet stattdessen das Stück Lameneshma und verfügen über eine andere Reihenfolge der Titel. (Zum 20-jährigen Bandjubiläum erschien in geringer Auflage eine Deluxe-Edition von ´Ode To Io´ als DoLP und DoCD auf welcher praktisch das Gesamtwerk von LOWRIDER enthalten ist. Neben dem Debüt und den Stücken vom Split mit NEBULA, auch ihr erster veröffentlichter Song ´Lameneshma´ welcher auf einer 1997 Split-Single mit SPARZANZA erschien und das Stück ´David William Hughes´ vom Soundtrack zum Film ´I Am Vengeance´.) Wie es sich für einen alten Maulesel gehört, widersetzt sich das Stück störrisch allen modernen Einflüssen. Ein galoppierendes Riff treibt Pepe unerbittlich voran und das Stück grooved was das Zeug hält.
Für das zweigeteilte ´Sun Devil/M87´ wurde das bereits auf der ´Ode To Io´ lediglich mit einer Akustikgitarre dargebotene knapp einminütige´Sun Devil´ elektrifiziert und durch M87 thematisch ergänzt, welches seinem Namen alle Ehre macht. Denn wie M(essier) 87, in dessen Zentrum Anfang letzten Jahres ein supermassereiches Schwarzes Loch nachgewiesen werden konnte, offenbart sich dieses Instrumentalstück als allesverschlingendes Groovemonster, bei welchem sich das Hauptriff von ´Sun Devil´ als Hauptthema durch den gesamten Song erstreckt. Den gelungenen Abschluss bildet das über elf Minuten lange, träumerisch verspielte ´Pipe Rider´, welches mich vom Songaufbau, Grundrhythmus und den Melodienbögen an FLEETWOOD MAC, irgendwo zwischen ´Tusk´ und ´Albatross´ erinnert. Faszinierenderweise zaubert ein in diesem Song eingesetztes Gitarrenriff sogar ein Cello vor mein geistiges Auge, dem es von der Klangfarbe und dem Ton her in meinen Ohren verblüffend nahe kommt.
Mit dem knapp über 41 Minuten langen und sechs Stücke enthaltenden Album ´Refractions´ besinnen sich LOWRIDER im wahrsten Sinne des Wortes alter Glanztaten und fügen ihrer Diskographie einen zweiten Diamanten hinzu, der durchaus dazu geeignet ist, dem Heiligen Geiste gleich sein Licht auch in die dunkelsten Ecken hineinstrahlen zu lassen und die Botschaft des in einer intelligenten und abwechslungsreichen Form wiedererstarkten Desert/Stoner Rock (ich bin geneigt eine neue Schublade namens progressiver Desert/Stoner Rock zu erfinden) in jugendliche Musikerköpfe zu pflanzen. So sei es! Ich für meinen Teil werde mich sogleich daran machen, mir dieses Werk auf Vinyl vorzubestellen, denn für diese Töne ist Vinyl (unter anderem) erschaffen worden!
´Refractions´ erscheint am 21. Februar 2020 via “Blues Funeral Recordings” in einer Reihe unterschiedlicher Versionen auf LP, CD und als Digital Download. Der LP ist eine einseitig abspielbare 7“-Flexidisc beigefügt, auf welcher sich das Stück ´Leaning Times´ in einer Demoversion aus dem Jahre 2003 befindet. Da mir dieses Stück nicht zur Begutachtung vorliegt, kann ich dazu aber auch nichts sagen.
Abschließend noch ein Tipp:
Wer sich von der Qualität LOWRIDERs live überzeugen möchte, der hat dazu auf dem diesjährigen “Desertfest” in Berlin Gelegenheit, wo LOWRIDER mal wieder auftreten werden.
Eigentlich handelt es sich ganz klar um ein Referenzwerk in diesem Genre und ich müsste von Rechtswegen zehn Punkte vergeben. Aber da mit ´Sun Devil´ und ´Ol‘ Mule Pepe´ ja auch zwei alte Stücke, wenngleich aufgepeppt, wiederverwendet worden sind und damit noch ein wenig Motivation für die nächste Scheibe von LOWRIDER übrig bleibt…und wer weiß was da noch kommt, lasse ich ein wenig Luft nach oben und beschränke mich auf:
(9,5 Punkte)
Besetzung:
Ole Hellquist – Leadgitarre und Gesang
Niclas Stålfors – Gitarre
Andreas Eriksson – Schlagzeug
Peder Bergstrand – Bass und Gesang
(VÖ: 21.02.2020)