ADRIAN TABACARU – Lucifer – A Rock Opera
~ 2020 (Independent) – Stil: Prog ~
Der Kollege Zufall ist manchmal schon ein guter Ratgeber. Durch seine Hilfe stolperte ich in der Timeline eines Bekannten aus Rumänien über dieses spannende Stück Musik, ´Lucifer – A Rock Opera´. Zuerst befürchtete ich, seine Vorlieben kennend, eher Death oder Black Metal, schließlich jedoch obsiegte die Neugier. Die Belohnung folgte direkt…
Der rumänische Musiker und Produzent Adrian Tabacaru hat fast fünf Jahre benötigt, dieses Werk in die heutige Form zu bringen. Grundlage dafür ist “Luceafarul”, ein Gedicht von Mihai Eminescu, einem der bedeutendsten rumänischen Dichter im 19. Jahrhundert. Einerseits kann man ihm aus heutiger Sicht wohl Xenophobie und Antisemitismus vorwerfen, andererseits hat er für die rumänische Literatur und Sprache Großes bewirkt. Ähnlich wie bei meinetwegen Richard Wagner muss man heute versuchen, beide Seiten zu sehen und zu bewerten. Dass Eminescu 1889 nach langem Leiden an einer Geisteskrankheit verstarb, macht seine Legende als großer Künstler perfekt.
Das Gedicht “Luceafarul”, entstanden 1882 nach einem rumänischen Märchen, erzählt von der Liebe des Abendsterns zu einer Prinzessen aus hohem Hause. Mit 98 Strophen gilt es als längstes Liebesgedicht der Welt. Daraus wurde diese Rockoper gewebt, mit der Hilfe vieler in Rumänien bekannter Musiker sowohl aus Klassik als auch aus dem Metal.
Um es einfach auch klar zu formulieren, hier ist mit Lucifer nicht der biblische Teufel gemeint, sondern der Abendstern, wörtlich als Lichtbringer.
´Exordium´, als Ouvertüre zu hören, weckt Erinnerungen an das Soundtrackartige der Italiener GOBLIN und die Wärme und Melancholie von CAMELs ´The Snow Goose´. Die ganze Dreiviertelstunde wird geprägt von dem warmen Klang klassischer Instrumente. Hier schön sind die Glissandi der Flöten. Der Titeltrack ´Lucifer´folgt in Härte und Dynamik den Spuren OPETHs zu Zeiten von ´Sorceress´. Das ruhige ´Longing For The Star´verknüpft ENYA mit rumänischer Folklore, ohne in den Kitsch abzugleiten der uns beim ESC seit Jahrzehnten vom Balkan entgegenklingt.
´Intermezzo´ führt den Song weiter und bildet mit dem dramatischen ´Beyond Infinity´ die Klammer zu ´The Long Way Home´, einem irgendwie düsteren, aber auch magischen Trip. Fast schon Death-metallisch geht ´Asking The Void´durch die Gehörgänge. Der extreme Gesang verkommt jedoch nicht zum Selbstzweck, eher unterstreicht er noch die finstere Stimmung. Das Unbehagen wird noch verstärkt mit dem folgenden ´Antithesis´.
So einfach ´Valediction – Forbidden Mourning´ eigentlich gestrickt ist, so effektiv walzt es alles nieder. ´Conclusio´ kann leider die Stimmung nicht halten, dafür wird ´Celestial Funeral´ durch die wunderbaren Holzbläser getragen zum, für den Stern, versöhnlichen scheinenden Ende von ´Singularity´.
What matters thee, clod of dust,
If ’Tis me or someone else?
You live in your sphere’s narrowness
And luck rules over you,
But in my steady world I feel
Eternal, cold and true
Beeindruckend wurde die Musik zur textlichen Vorlage konzipiert, sparsam dosierter Abriss und vollkommene ruhige Momente ergänzen und verstärken sich. So sorgt Adrian Tabacaru mit seinen Mitstreitern für 45 unterhaltsame Minuten.
Leider ist ´Lucifer – A Rock Opera´ (noch) nicht als Tonträger erhältlich, Mir ist auch nicht bekannt, ob es da überhaupt eine Planung gibt. Dafür kann man das komplette Werk für frei downloaden auf http://www.lucifer-rockopera.com/. Auf der entsprechenden Seite bei Bandcamp kann der Hörer aber auch, so er möchte, eine selbst gewählte Summe bezahlen.
Auf der Homepage findet man auch ´Lucifer´als Gesamtkunstwerk. Hier wurde die Rockoper in Videoformat gebracht und damit eine zusätzliche Dimension hinzugefügt. Technisch vielleicht nicht State of the Art, dafür künstlerisch beeindruckend wurde die Bildsprache zeitgenössischer Graphic Novels kombiniert mit der Ornamentik des Jugendstils. Jugendstil, Art Nouveau, passt zur Entstehungszeit der literarischen Vorlage. Und Rumänien war zu dieser Zeit näher an Europa als selten zuvor oder danach, wie Städte wie Timisoara, Oradea oder Craiova eindrücklich zeigen. Dieser visuelle Aspekt macht das vorliegende Stück Musik tatsächlich zum Gesamtkunstwerk und sorgt so für fette 9 Punkte.
Was macht es dir, du Lehmgebild,
Ob ich’s bin, ob ein Andrer?
In eures Kreises engem Saum
Ist Glück und Tod euch erblich,
Ich bleib’ in meinem Himmelsraum
So kalt, wie ich unsterblich