DISTRICT 97 – Screens
~ 2019 (Cherry Red) – Stil: Progressive Rock / Metal ~
Achtung, ihr lieben Zappler da draußen, es gibt lecker Freßchen. Man nehme MEKONG DELTA und WATCHTOWER, subtrahiere die Thrashanteile und addiere kompliziertere MAGELLAN und KING CRIMSON. Das Ergebnis wird mit BJÖRK und Maria Brink minus IN THIS MOMENT plus wirren Gitarrensoli aus den Hirnwindungen eines Robert Fripp oder Adrian Belew (beide KING CRIMSON) angereichert und siehe da, ihr habt die nächsten Wochen mal was zu tun, bis sich euch alles erschließt und die Liebe zündet. Aber dann, Freunde.
Alles, was Spaß und Kopfweh macht, ist auf dem vierten Studioalbum der Amerikaner erlaubt und wird auf höchstem Niveau durch Ur-Mitglied, Komponist & Drummer Jonathan Schang, Jim Tashjian an der Gitarre, Tastentier Andrew Lawrence und Überbasser Tim Seisser umgesetzt. Wie aus dem Nichts tendieren die Songs dann nach dem ´Forest Fire´, episch-riffendem Schäfchenzählen mit ´Sheep´ und ´Sea I Provide´ urplötzlich in eine nachvollziehbarere, fast kommerzielle Richtung, als ob SOUNDGARDEN Gäste auf ´Bread And Yarn´ gewesen wären. Auch der ´Trigger´ mit seinen fantastischen Wechseln von Melodie, starkem Gesang der wunderbaren, ehemaligen American Idol-Finalistin Leslie Hunt und anspruchsvollen Instrumentalpassagen untermauert ein gewisses Rock-Appeal.
KING CRIMSON-artig experimentell bereitet die ´After Orbit Mission´ auf den zappelnden ´Shape Shifter´ vor, der jedoch gesanglich fast lounge-ig-entspannend BJÖRK’sche Gesangslinien ausgräbt und die Mitstreiter inklusive Keyboard jazzen, was das Zeug hält, um erneut in schrägen Flussläufen des MEKONGs zu schwimmen, was vom WACHTOWER aus zu beobachten ist. Auch der ´Blueprint´ strahlt in einem Piano-Bar-Kleid, bevor er durchstartet.
Nicht überraschend lässt sich bei näherer Betrachtung des elfminütigen ´Ghost Girls´ streckenweise erneut ein Wink SIEGES EVEN ausmachen, doch in einer Minute zur anderen kommt man zu einer erzählerischen, als auch ausbrechenden, erneut doomigen Spielweise, die auch eine ROSE KEMP nicht anders angegangen wäre. Das Sich-nicht-Ausruhen in einer Stilart prägt diesen Song ganz speziell – fast eine Progrock-Operette mit vielen Highlights und chamäleon-artigen Veränderungen. Wow. Abartig geil.
Ich versuche mal wieder gar nicht, diese hohe Kunst in ein Punktekorsett zu pressen – erst recht nicht vor Weihnachten und beschämt von meinem Versagen, diese Combo noch in meiner Jahresbestenliste unterzubringen. Wer wirklich progressive Musik mag und sich Zeit nimmt, wird DISTRICT 97 lieben.