Livehaftig

AMENRA, E-L-R, YLVA

~ 03.11.2019, jubez, Karlsruhe ~


Ein extrem gefühlsintensives und bewegendes langes Spätherbstwochenende in Schwaben geht zu Ende, und weiterzufahren und wieder daheim anzukommen wäre auch schön. Doch die Bandkombi, die die Dudefest-Macher für den Sonntag nach Halloween zusammengestellt haben, lädt zum abendlichen Zwischenstopp in Karlsruhe ein, zumal mir die verführerischen Melodien von E-L-R seit dem Review ihres Erstlings (das findet ihr hier) nicht mehr aus dem Ohr gehen, und ich sie unbedingt einmal live erleben muss. Und post-rockiger Doom bringt ja auch runter – das haben sich offenbar auch ziemlich viele andere gedacht, denn der Laden wird richtig voll, es sind, wie ich höre, mehr Leute da als am Donnerstag, dem eigentlichen Halloween-Dudefest. AMENRA waren dazu schon einmal beim Dudefest zu Gast, da ist dann doch der eine oder andere Wiederholungstäter unter den Zuschauern.

 

Man solle pünktlich vor Ort sein hiess es, denn offenbar wird ausgelost, wer heute beginnt. Das Los fällt auf die Australier YLVA, die mir bisher komplett unbekannt waren, nicht nur mich jedoch sowohl mit ihrer Musik, ihrer Bühnenpräsenz und ihrer Ästhetik gleich mitnehmen. Drei hohe weiße Leuchtstäbe verwandeln die Bühne in einen postmodern-clean ausgeleuchteten Raum, dezent eingenebelt, der ein perfektes Gegengewicht zu ihrem teils sludgigen, teils düsterdoomigen, aber immer extrem kontrastreichen Post-Metal in der Nachbarschaft von NEUROSIS, ISIS oder SUMAC darstellt. Sie überraschen uns Zuschauer mit langen Songs voller Stimmungswechseln und vielen Hochs und Tiefs, und schnell wird klar, wie gut sie damit zu AMENRA und E-L-R passen – hier wird ausgelotet, wie sich Gefühle durch gegensätzliche Textur- und Dynamikwechsel darstellen lassen, und ähnliche Anliegen haben ja auch die Tourpartner der Melbourner.

Dosiert setzt Mike Deslandes seinen rauen, gequälten Gesang ein, teils fallen auch Dav Byrne an der zweiten Gitarre und Brett O’Riley am körnigen Tieftöner mit ein, viel mehr wird jedoch instrumental zwischen Licht und Schatten hin- und herreflektiert. Leigh Pengelly steuert all dies mit seinem vielschichtigen und expressiven Schlagzeugspiel, und Brett ist sein Sparringspartner im Rhythmusgerüst.

YLVA spielen eine avantagardistische, dabei jedoch extrem reduzierte und hierdurch nur noch eindrücklichere Art Musik, die zwischen ungeschützter Verletzlichkeit und desillusionierter Heavyness bereits alles gesehen hat. Von dem bisher einzigen Output der Band, `Meta´, sollte man sich nicht täuschen lassen, zumal auch zwei neue Songs zum Vortrag kommen – hier sind langjährige Profis am Werke, und so macht dieser Gig einfach nur Spass. Sich in typisch australischer Entspanntheit und Geduld wegtragen und immer wieder überraschen lassen von neuen Wendungen und Entwicklungen, so habe ich mir das für heute Abend vorgestellt! Da müssen hinterher sofort Platte und T-Shirt verhaftet werden, das ist Ehrensache.

 

 

Und dass ich bei E-L-R nebenan gleich in einen veritablen Shoppingrausch verfalle, war abzusehen. Ihr Debüt ´Mænad´ hat mich verzaubert (unser Doppel-Review dazu findet ihr hier), und ich bin sehr gespannt, ob es mir live genauso geht. Karlsruhe ist übrigens der Tourstart einer dreiwöchigen Reise der drei Bands durch Nord- und Osteuropa, dementsprechend liegt heute trotz aller Professionalität bei allen Protagonisten eine gewisse Nervosität in der Luft. Dem Schweizer Trio merkt man das jedoch auf der Bühne nicht an. Nicht nur ihre Lightshow ist heute die bunteste, auch haben sie Bühne und Verstärker mit allerlei Trockensträussen geschmückt, Kerzen flackern, Räucherstäbchen glimmen und alles zusammen erzeugt eine behagliche Atmosphäre, die zum Träumen und Wegschweben einlädt.

Ihre sanfte, doch genauso druckvolle und gewichtige Musik tut da ein Übriges, in endlosen, immer nur minimal abgewandelten Loops und Spiralen geht es hinauf in verhallt-sphärische Höhen, wo manchmal die beiden Saitenhexerinnen S.M. und I.R. auch sirenenhaft-schwebend singen, und hat sich die Spannung entladen, oft mithilfe des druckvollen Schlagwerks von M.K., der immer wieder mit abgefahrenen Figuren seinen Teil zum wabernden, psychedelischen Gesamtsound der Band beiträgt, geht es in serpentinenartigen Windungen schon wieder hinab, um ein weiteres Mal aufzustreben. Auch hier gibt es viele Gegensätze zu erkunden, doch werden sie organisch in das vierfarbig schillernde Klanggewebe der Drei eingebunden, hier ist alles im Fluss und im Unbewussten, harmonisch, mäandernd, Wellen schlagend.

Trotz aller Wucht und Kraft, aller Heavyness der Riffs und Schläge liegt dem Auftritt vor allem eine beeindruckende Ruhe, und ja, eine sehr warme, weibliche Stärke zugrunde. Noch viel mehr als bei den beiden anderen heutigen Bands hat man den Eindruck, dass die Berner vor allem für sich selbst als Dreier-Entität spielen, sich wegbeamen, in eine Trance spielen – und wenn sie wieder daraus erwachen, bringen sie nicht Wut, sondern neue Kraft zurück. E-L-R funktionieren wie eine genauso sanfte als auch druckvolle Seelenmassage, wenn wir es zulassen, berühren sie uns in der Tiefe und bringen Verdrängtes ans Licht, lösen Verhärtungen, heilen alte Narben, und entlassen uns schliesslich beglückt, geerdet und erneuert.

Nachdem Isa und Selina die Bühne bereits verlassen haben, spielt Mischa noch eine Weile per Effektboard mit den Sounds, die sie hinterlassen haben. Es fällt offensichtlich auch anderen Zuschauern schwer, sich loszureissen aus der Hypnose und den sakralen Raum, der hier um und mit uns aufgebaut wurde. Beim Rausgehen an die Bar sind wir uns jedenfalls einig: das wird das nächste grosse Ding!

 

 

Was die Headliner AMENRA dann schliesslich hier abziehen, kann man nicht anders als triumphal beschreiben, auch wenn dies dem Gestus der Band komplett widerspricht. Bekannt dafür, dass ihre Auftritte rituellen, reinigenden Charakter haben, und perfekt durchgestaltet sind, mit Videoprojektionen und der jeweiligen Abfolge der Songs, reissen die zentralen Akteure der „Church of Ra“ die Zuschauer sofort in ihren Bann.

Niemand würde es wagen zu sprechen oder den Ritus in anderer Weise zu stören, in den leisen, zarten Passagen könnte man die berühmte Nadel fallen hören, umso mehr geht das Publikum mit, wenn die postmetallische Dampfwalze sich Bahn bricht und die Belgier sich in einen Rausch spielen. Grössere musikalische Kontraste, als die Mannen um Colin H. van Eeckhout mit ihrem Post-Metal heraufbeschwören, kann man kaum herstellen, und ein buntgemischtes und sehr dankbares Publikum geht bereitwillig, ja fast ergeben in sein Schicksal, den ganzen Weg durch die diversen ´Mass I – VI´-Alben mit, mit Fokus auf den neueren Songs.

Generell ist der Sound heute einmal wieder perfekt herausgearbeitet, und das gilt für alle drei Bands gleichermassen, AMENRA nutzen dies jedoch am meisten aus. Das ist brachial, das ist düster, todtraurig, aber bei all dem immer auch erhaben und erhebend. Van Eeckhout in seinem Leid und Aufbegehren, meist wie üblich nur von hinten zu sehen, und zu erleben, wie alles an Wut und Zorn wie in Schwällen aus ihm herausbricht, ist immer wieder kathartisch und ergreifend. Hinzu kommt der Soundwall, den die Band unermüdlich errichtet und wieder einreisst, aufbaut und zusammenfallen lässt. Wie in der Natur, ein ewiger Kreis des Werdens und Vergehens. Ein grossartiger Auftritt, der einen sprachlos zurücklässt. Auf dem Heimweg, auf der Autobahn erst kann ich mich endgültig lösen von all der Magie, die heute drei Bands des düsteren Spektrums um mich gesponnen haben.

 

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