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E-L-R – Mænad

~ 2019 (Prophecy Productions) – Stil: Post Metal/Doom/Psychedelic ~


In der griechischen Mythologie wird Dionysus als Gott der Fruchtbarkeit, Ekstase und des Rausches bezeichnet, die so genannten “Mänaden” waren seine weiblichen Gefolgsleute und Hohepriesterinnen eines lustvollen Kults.

Dennoch verrät der Albumtitel des Debüts der Schweizer Post-Metaller nicht allzu viel über die sich dahinter verbergende Musik. Das Berner Trio hat sich in erster Linie atmosphärische Dichte und Songs im Breitwandformat auf die Fahnen geschrieben. AMENRA-Shouter Colin van Eeckhout ist bei einigen Songs ebenfalls mit von der Partie, und dessen Teilnahme liefert bereits einen ersten schwerwiegenden Anhaltspunkt, in welchen Soundgefilden sich E-L-R hauptsächlich bedienen.

Repetitiv. Weit ausladend. Wie in Trance. Songs mit tiefschürfenden Flächen und einer dramatischen Zuspitzung, die immer wieder in wuchtigen Drums und schneidenden Riffs explodieren. Das Tempo bleibt meist gemäßigt, und E-L-R operieren über weite Strecken mit bewegenden Post Metal-Melodien, die stets in brachialen Ausbrüchen ihren emotionalen Counterpart finden. Dabei wird der weibliche Gesang wie ein weiteres Flächeninstrument eher hauchend in den Hintergrund gemischt, was den Stücken zudem einen geradezu rituellen Charakter verleiht. Alles Ingredienzen und ein altbekanntes Schema, wie wir es vor allem durch die belgischen Sludge/Post-HC-Heroen um Eeckhout & Co. bereits bestens verinnerlicht haben.

´Maenad´ ist ein typisches, stimmungsgeladenes Genre-Album aus den Bereichen Post Metal und Doom. Allerdings gibt es gerade in dieser  Klangkonstellation eben bereits wesentlich innovativere Vertreter. Über die komplette Albumdistanz nutzt sich vieles zunehmend ab, die cinemascopische Grundausrichtung ist zudem ermüdend. Etwas mehr Finesse und das Einbringen von eigenen Ideen hätte den Eidgenossen jedenfalls ganz gut zu Gesicht gestanden. Recht solide – aber eben definitiv nicht mehr.

(7 Punkte)

Marcus Köhler

 

 

Um inneren Nachhall beim Hörer zu erzeugen, genügt nicht einfach nur ein Tritt aufs Reverb-Pedal. Je mehr ein Gedanke reflektiert wird, desto vielfältigere Facetten an Bedeutung erhält er, desto mehr Menschen wird er erreichen. Und ein Echo bedeutet, sich auf Gehörtes wirklich einzulassen und es zu beantworten.
Große Ziele also für eine junge Band, deren musikalischer Anspruch lautet: „Hypnotic rhythms suspended in a haze of eternal reverberation“. Können E-L-R dieses Versprechen halten?

Im Dezember 2018 veröffentlicht die so kryptisch bezeichnete Schweizer Band ein Zwei-Song-Demo namens ´In Splendour & Sedation´ (beide Songs rahmen nun auf ´Mænad´ vier weitere ein), und findet damit derart große Beachtung in der Szene, dass sie bereits im Sommer von “Prophecy Productions” verpflichtet werden, und auf ihrem Debüt nun solch klingende Namen wie AMENRAs Colin van Eeckhout und Ryanne van Dorst von DOOL mitmischen – jedoch so organisch in den Sound der Band integriert, so tief in den kollektiven Klang eingetaucht, dass dieser dermaßen auf sie abfärbt, auf ihren Stimmen weiterschillert, dass man sie gar nicht mehr auf Anhieb erkennt. Doch was zeichnet diesen Klang denn nun aus?

Church of Ra und SUM OF R, Gent und Bern, Ästhetik als Verpflichtung und spirituelle Naturverbundenheit. Tiefe Wurzeln im Doom, etwas Folklore, aber vor allem ritueller Post Metal und hypnotische Psychedelik, schon diese Dualitäten beschreiben Fundament und Spielfeld der Band, grenzen dieses jedoch keineswegs ein. Bassistin I.R. hat bei SUM OF R mitgespielt, darüber entstand auch der Kontakt zu den Belgiern; auch Gitarristin S.M. und Schlagwerker M.K. (u.a. HORACE) sind hörbar keine Neulinge, sondern haben schon einiges an musikalischer Erfahrung gesammelt, und noch mehr an innerer Bewegung nach außen zu bringen. Sie nutzen dazu ein dominantes Schlagzeug, das durch seine große Dynamik bei gleichzeitiger Zurücknahme auf das pure, meditative Trommeln absolut tranceerzeugende Wirkung hat, und legen darüber Schichten und Schleier von Gitarren- und Bassloops, mit wenigen, ständig wiederholt abgewandelten Riffs, die eher Klangräume öffnen, als sich begrenzen zu lassen. Die beiden Saitenartistinnen fügen ein wenig sphärischen Gesang à la früher (DOLCH) hinzu, und spielen mit scheinbar unendlichem Spannungsaufbau und plötzlichem Abbruch der gerade aufgebauten Klangkathedralen. Dieses völlige Eintauchen in Ambientklänge, die Geduld im Aufbau sowie das ständige Weiterspinnen der selbsterzeugten Trance teilen sie mit WOLVENNEST, die sich ebenfalls keiner Genreeinordnung beugen. Dieser düstere, eher kühle und distanzierte Zugang beschreibt jedoch nur einen Teil ihrer Magie.

Denn ich fühlte mich gleich bei den ersten Takten von ´Glancing Limbs´ an eine instrumentale Band aus einer völlig anderen, nämlich Stoner-glimmenden Ecke des Spektrums erinnert, die ebenfalls mithilfe eines so kraftvollen wie vielfarbigen Schlagzeugs, stark verzerrter Gitarren und elektronischen Instrumenten große, repetitive und so schillernde wie hypnotische Klangflächen aufspannt, doch bei der, gerade wenn man an den Bass denkt, sofort ein Begriff in den Sinn kommt, der im oben genannten Umfeld von E-L-R keine wirklich explizite Rolle spielt: nämlich Groove. MY SLEEPING KARMA bezeichnen ihren Stil als „Psychedelic Groove Rock“, und schmecken ihn noch zusätzlich mit heißen orientalischen Gewürzen ab. Wo sie extrovertiert sind, da sind die SchweizerInnen eher auf der introvertieren Seite der Skala zu finden. Was beide Bands verbindet, sind nicht nur episch lange, gewundene, spielerische Songs, die dazu einladen, sich komplett in sie fallen und alle Orientierung fahren zu lassen, sondern vor allem der Fokus auf Emotionen und eigene Erlebnisse. Musik, die eher aus dem Bauch als dem Kopf kommt eben. Abschalten, das Gehirn abgeben, wer darauf Lust hat, sollte ´Mænad´ unbedingt antesten! Anhänger aller genannten Bands sowieso. Eine großartige (nicht nur) Herbstplatte, die zu innerer Einkehr wie psychedelischer Erfahrung gleichzeitig einlädt.

Das Debütalbum einer Band, die zuerst aus zwei rein instrumental arbeitenden Frauen bestand, nach den ausschweifenden Anhängerinnen des dionysischen Kultes zu benennen, deren Name sich von der Manie, also dem Wahnsinn und der Raserei ableitet, macht dabei absolut Sinn. Ich freue mich vor allem auf bacchantische Liveerlebnisse mit ihnen, die ich mir extrem eindringlich vorstelle. Auf dass viele neue AnhängerInnen des berauschendens Kultes den Thyrsosstab weit in die Höhe halten!

(8 Punkte – oder doch ∞ ?)

U. Violet

 

https://e-l-r.bandcamp.com/

https://www.facebook.com/bandELR/

Mehr zu E-L-R findet Ihr hier

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