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SWANS – Leaving Meaning

~ 2019 (Mute) – Stil: Experimental/Noise/Folk ~


Bei meinem ersten Aufeinandertreffen mit den SWANS im Juni 1989 in der Frankfurter Batschkapp kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das damals betourte ´The Burning World´-Album war zwar eine in weiten Teilen schon sehr drastische Abkehr zu ihren vorherigen Veröffentlichungen und wies durch den Einsatz folkloristischer Instrumente einen gehörigen Anstrich von Folk-, Ethno- und Weltmusik auf, dennoch werde ich die einzigartige Magie dieses Live-Erlebnisses nie vergessen – eine Qualität, die Michael Gira bis in die Gegenwart aufrechterhalten hat und auch bei meinen jüngsten Konzertbesuchen, in den Jahren 2014 und 2017, erneut auf beeindruckende Weise bestätigt wurde.

15 Alben und fast 40 Jahre Band-Geschichte hat der New Yorker inzwischen auf sein Konto gebracht. Der stoische, monotone No-Wave der frühen Jahre wurde damals schon sehr bald um Industrial- und Gothic-Elemente ergänzt, die Hinzunahme von Folk, Drone und Noise waren schließlich nicht minder effiziente Mittel, um musikalisch das Unbeschreibliche auszudrücken. Doch die Schwäne verfielen zusehends dem Schwanengesang und 1999 legte Gira seine Herzensprojekt schließlich auf Eis, um sich ausschließlich seiner neu formierten Folk-Band ANGELS OF LIGHT zu widmen. Seit dem Comeback 2010 überbietet er sich nun von Album zu Album an kompositorischer Genialität. ´The Seer´, ´To Be Kind´ und ´The Glowing Man´ sind wahre Meisterwerke an künstlerischem Ideenreichtum und spirituelle Klangorgien mit einer soghaften, hypnotischen Wirkung. Vibrierend. Rauschhaft. Einfach nur: willenlose Hexerei!

Sein jüngstes Album ´Leaving Meaning´ ist, wie der Titel bereits verrät, nun eine Studie über die Mehrdeutigkeit, und er hat erneut einige exzellente Musiker um sich gereiht. Larry Mullin (Ex-RESIDENTS, Gesang/Schlagzeug/Mellotron), Kristof Hahn (Gitarre), Yoyo Röhm (Bass) bilden die Stammformation, wohingegen unter anderem Thor Harris (Ex-DEVENDRA BANHART, Schlagzeug/Trompete/Klarinette), Elektronik-Assistent Ben Frost, Anna und Maria von Hausswolff (Chorgesang) sowie die Neo-Kabarettsängerin und Pianistin BABY DEE als Gastmusiker ihre eigenen Ideen mit einbrachten.

Doch trotz der veränderten Methode klingt auch das neue Album wie eine Fortführung der Erfolgsgeschichte der jüngsten Zeit. Die Songs bewegen sich irgendwo zwischen Folk und Drone – und die repetitiven Verse wirken wie Geständnisse, die durch die vielen Wiederholungen zu regelrechten Beschwörungsformeln erwachsen. Surrende Rhythmen und Melodien. Zunehmendes Volumen und Dichte. Dazu die ketzerische Intensität in Michael Giras Gesang, die ihn wie einen grimmigen Archivar der Apokalypse erscheinen lässt. Seine Songs katalogisieren menschliches Elend – Gewalt, Erniedrigung, missbräuchlichen Sex, Tod – mit einem unerschütterlichen Auge und tauchen geradewegs hinein, in den Keller unserer kollektiven Seele. Gira hat schon von jeher versucht, eine erhabene Reaktion zu provozieren – eine körperliche Reaktion, die die Sprache übersteigt. Und ´Leaving Meaning´ heißt in der Gira’schen Realität: „Das ´Verlassen der Bedeutung´ ist eine Halle voller Spiegel und eine Ansammlung von Feuerlichtern, die auf düsteren, beschwörenden Gesichtern flackern“. „Ich bin nackt und treibe herum. Wer hat uns denn so gemacht? Wie viel Zeit bleibt noch?“ intoniert der Protagonist dazu in einer zentralen Passage des Titelsongs. Das verdeutlicht einmal mehr, wie zerrissen und orientierungslos sich die Welt im SWANS’schen Kosmos nun mal darstellt.

Das folgende, rund zehnminütige ´Sunfucker´ ist ein beschwörendes Drone aus geschlungener Orgel, klingelnden Kirchenglocken und Chorgesang. Mit den Worten „Warum bin ich an der Schwelle? Ich verehre…“ schreitet der Song, linear ansteigend und bis an den Punkt des Wahnsinns voran – und während die gesamte klangliche und lyrische Strenge auf unterdrückte Gewalt schließen lässt, ist es wieder einmal Giras angst-einflößende Stimme, die dem Stück seine bedrückende Atmosphäre verleiht. ´The Nub´ und ´Amnesia´ hingegen erzeugen ein Geistergefühl inmitten sanfter Akustikgitarren, wobei sich ständig wiederholende Texturen in ruhigem Tempo dahintreiben.

Überhaupt sind das Hauptinstrument dieses faszinierend orchestrierten Albums die riesigen, leeren Räume. Tonscherben schmieden schräge und tief dissonante Effekte. Beklemmendes Klavierklirren. Anhaltende Spektral-Akkorde. Langsame Wellen eines Kontrabasses. Alles ein rollender Donner, eine drohende Gefahr.

´Leaving Meaning´ ist ein blutbespritztes Americana, eine Spukhausversion des sagenumwobenen amerikanischen Traums. Und Gira ist klug – und macht diese Welt zu alles anderem als einen angenehmen Ort. Meisterwerk!

(9,5 Punkte)

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