PENNA – SoulMagnet
~ 2019 (Independent) – Stil: Rock ~
2019. Abermals sitze ich mit dem Fremden, der uns gar nicht mehr so fremd wie vor zwei Jahren sein sollte, am Kiosk. Die Fenster und Türen sind jedoch verrammelt, mit Brettern zugenagelt. Das Wasserhäuschen existiert nicht mehr. Somit bleiben nur die Erinnerungen an die guten Jahrzehnte zurück: die Tage und Abende, die wir hier verbrachten, die Unterhaltungen, die wir führten, die Musik, die wir dazu hörten und den Qualm, den wir durch unsere Lungen pusteten, an der Arbeit, im Stadtverkehr.
In den Achtzigern hielten sich noch die alten Männer mit wenig Zähnen an den Kauleisten hier auf, doch die sind schon lange nicht mehr da. In den Neunzigerjahren wurden wir selbst erwachsen und moderner. Noch bevor uns die Grunge-Welle mit PEARL JAM packte, hörten wir hier KING’S X, manchmal sogar, allein um diesen langen Brillenträger zu ärgern kein FATES WARNING, sondern ENGINE. Aber vorher waren wir bereits den Sounds der DEFTONES verfallen. Wenn dann ab und an der eine haar- und zahnlose ex-Junkie aufkreuzte, schoben wir sogar die BEATLES in die Anlage.
Und nun? Nun sitzen wir ganz alleine hier. Selbst die Tauben fliegen nicht mehr diesen Platz an. Wir sitzen mit dem neuen iPhone 11 in der Tasche auf dem letzten verbliebenen Überbleibsel der Trinkhallen-Geschichte, der Holzbank davor. Unser Smartphone benutzen wir nicht, um uns hier wie verabredet zu treffen, sondern um uns von überall, also allein zuhause, zu unterhalten. Wenigstens der Fremde kam mal wieder vorbei und erzählt mir jetzt gerade von seinem dritten Werk, das er kürzlich eingespielt hat, der Brillenträger verschont uns zumindest heute mit seiner Anwesenheit.
David Penna ist zum dritten Mal seiner Liebe nachgegangen, die er diesmal auf einem Full-Length-Album all den Künstlern in Gedanken gewidmet hat, die wir eben aufgezählt haben. Ich stecke mir die Stöpsel in die Ohren und lausche den Klängen, die er mir hier erstmals vorstellt: ´Enough´ ist weit mehr als Grunge in Schönklang und selbstredend müssen wir alle Zeit an Doug Pinnick, Ty Tabor und Jerry Gaskill denken. Bei ´Faith´ lugen sogar POLICE mit herein und bei ´Eclipse´ die legendären RUSH in der epischen Ausbreitung.
Nach einer Dreiviertelstunde unterhalten wir uns schließlich noch über Gott und die Welt, und ob es momentan noch andere musikalische Projekte von ihm gibt, schließlich spielte David Penna einst bei den Thrashern KRONIN. Doch diese Musik ist ebenso wie das hinter uns ehemals blühende Wasserhäuschen dem Verfall preisgegeben. Ich nehme noch einen letzten Schluck aus der hochprozentigen Pulle, die ich zu dieser realen Verabredung mitgebracht hatte, checke mein Smartphone auf neue Nachrichten von Tinder und gehe meines Weges.
(7 Punkte)