OPETH – In Cauda Venenum
~ 2019 (Nuclear Blast) – Stil: Prog / Heavy Rock ~
Keine Lust? Deutschland wird zum Land der Sex-Abstinenzler. Die Deutschen haben immer weniger Sex, teilt uns der aktuelle Report “Freizeit-Monitor 2019” mit. Keine Lust auf Sex in Anbetracht des Social-Media-Überflusses? Keine großen Begierden aufgrund allzu hoch gesteckter Idealvorstellungen an den Partner und das Sexualleben? Das Leben 2019 ist nicht allein vom Klima und von politischer Unwucht äußerst grau geworden, der deutsche Pantoffelträger bleibt auch auf der Couch inaktiv und lässt das Bett schlicht seine nächtliche Ruhestätte sein. Lieber gibt sich der Konsument Pornos und der Selbstbefriedigung hin.
Musikalisch sieht es in diesen Landen und weltweit nicht anders aus. Gerne lässt sich der Hörer in all seinen Streaming-Diensten berieseln. Hört dies und das. Gibt sich im gesetzten Alter wohlbekannten Klängen hin, anstatt andere zu erforschen. Lieber dem immer und immer wieder aufgewärmten sowie in klassischer Manier dargebotenen Sound den Vorzug geben, also der Drittklassigkeit, als brandaktuelles aus der Champions-League zu goutieren. Das ist pure Selbstbefriedigung. Pure Befriedigung der jahrelang geeichten Gelüste. Mehr nicht. Das ist Stillstand. Das ist kein Sex.
Wo bleibt das Abenteuer? Nicht auf ´In Cauda Venenum´. Die Autoerotik stellt sich ebenso bei dem neuen Album von OPETH ein. Alles klingt nach dem großen Sprung auf die Wolken. Alles tönt, als wolle sich sogleich der Orgasmus einstellen, doch der bleibt durchgehend aus. ´In Cauda Venenum´ klingt so perfekt wie es schlicht aus den Boxen schallt, wenn jemand wie Bandleader Mikael Åkerfeldt geil produzieren kann. Zudem erweist er sich als Connaisseur des Siebzigerjahre Rock und Prog. Nur diese Vorzüge befähigen niemanden dazu, selbst die perfekten, orgasmusreichen Kompositionen aus der Hüfte zu schießen. Es ist pure Zeitverschwendung, wenn Frau oder Mann nicht zum Höhepunkt gelangen. Irgendwie war es schon geil, bleibt dann letztlich in der Erinnerung zurück, aber leider nur geil geworden und nicht geil gekommen.
Im Anschluss an das Seventies-Intro ´Garden Of Earthly Delights´, denke an Hieronymus Bosch oder CATHEDRAL, suhlt sich nämlich ´Dignity´ erst in hervorragenden, da solistischen Gitarrendarbietungen, doch bevor die Klimax wie so oft nur angedeutet wird, schwebt der Hörer zu Glöckchen und Akustikgitarre in den Siebzigerjahren. Sozusagen die steile Bergwand Strapazen reich hinaufgeklettert, mit Mikael Åkerfeldt gemeinsam “Oh, no, no” geschrien, um an einem Felsvorsprung umzukehren. Überhaupt darf neben einem “Oh, no no no no” obendrein ein längeres “Ahhhhh” im schwelgerischen ´Universal Truth´ nicht unterschlagen werden, sofern sich jemand dementsprechend an ´Pale Cummunion´ erinnern mag. ´Heart In Hand´ nimmt hingegen einen Neunzigerjahre Groove an, gibt bekanntes OPETH´sches Tongut von sich und hofft im episch ausgelegten Refrain auf den wichtigen Botenstoff, bei der Jagd auf Dopamin.
Im Allgemeinen gehören die Gitarrensoli von Fredrik Åkesson gewiss zu den herausstellungsträchtigen Merkmalen von OPETH. Erzeugte Ohrgasmen nicht. Musizieren, oder Klimpern auf hohem Niveau entspricht ´Next Of Kin´, ohne Rücktrittsversicherung. Gleichfalls reicht es bei ´Continuum´ und ´All Things Will Pass´ nicht aus, die Dynamik, oder schlichtweg die Lautstärke zu erhöhen, um einen Refrain erzeugen zu wollen. Das half OPETH vielleicht einst im Death Metal aber nicht im Jahre 2019. Im balladesken ´Lovelorn Crime´ entsteht wenigstens überraschend ein gewisser Zauber, der nach den Wölkchen der Sinne farbenfroh duftet.
´In Cauda Venenum´ ist wie schweißtreibender Sex. Als Involvierter keuchst du auf den höchsten Stufen der Lust, die Emotionen werden alarmierend stark in Anspruch genommen. Leider ist es jedoch nur wie Sex, es ist kein gemeinsamer Sex, es ist nur Onanie. Und plötzlich fällst du beim Masturbieren aus dem Bett und bleibst ohne Endbefriedigung liegen. Erschrocken bleibt als Erkenntnis übrig: Schnelle, zeitgemäße Selbstbefriedigung lässt sich bereits mit ´Lovelorn Crime´ und ´Heart In Hand´ händisch bewältigen. Deutschland, Du wirst ´In Cauda Venenum´ lieben.
(7 Punkte)