JETZT! – Wie es war
~ 2019 (Tapete Records) – Stil: Singer-/Songwriter ~
Michael Girke ist kein Bob Dylan, spielte in den Achtzigerjahren Punkrock ohne echte Musikerambitionen. Der Mann aus Herford sah sich auch nie der Hamburger Schule zugehörig, die Ende der 1980er aufblühte. BLUMFELD, CPT. KIRK &., viele deutschsprachige Gruppen wurden hinzugerechnet, MUTTER aus Berlin. Michael Girke kennt sie alle: Frank Spilker (DIE STERNE), Jochen Distelmeyer (BLUMFELD), Bernd Begemann. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten ist Girke seinerzeit in Herford geblieben, konnte jedoch keine offiziellen Veröffentlichungen mehr vorweisen.
Erst vor zwei Jahren wurden die frühen Kassettenaufnahmen seiner Band JETZT! auf Vinyl und einem Silberling unter dem Namen ´Liebe in GROSSEN Städten (1984-1988)´ wiederveröffentlicht. Wer 2017 zu spät nach der Vinyl-Version gegriffen hat, da diese ruck-zuck ausverkauft war, sollte 2019 beim ersten regulären Album von JETZT! schneller reagieren. ´Wie es war´ erscheint nämlich nicht nur als Einzel-Vinyl, sondern als Doppel-Vinyl und enthält in dieser Version neben der Scheibe mit den neuen Songs ebenfalls die Scheibe ´Liebe in GROSSEN Städten (1984-1988)´. Doppelt hält besser.
´Wie es war´ ist musikalisch besehen kein sentimentaler Rückblick, allein die lyrischen Ausführungen tragen dazu bei. Im Rückspiegel werden die Nachwehen des Zweiten Weltkriegs (´Der Mann, den ich nicht fassen kann´) und die Tage der Jugend in Herford betrachtet, deren Grau aus eben jenen Zeiten heraustropft (´Wie es war´).
Mehrheitlich ist aber die Liebe das Zentralthema. Die Liebe zerfällt (´So sieht es aus, wenn das Herz bricht´), die Liebe bleibt aus (´Die Zeit´), da verbleibt dem eigenen Ego nur noch ein Ausweg, es zu bestärken: selbst ist das Licht. Miteinander reden kann jedoch nicht der schlechteste Ratschlag für das Leben und die Liebe sein (´Red mit mir´, `Wer jetzt kein Wort findet´). Denn gerade die Liebe vertreibt alles Dunkle in jedem Menschen (´Eins und eins ist unendlich viel´), hier mit einem Schuss Country angereichert. Ansonsten kommen im gewohnt Folk-Rock geprägten Singer-/Songwritertum auch Einflüsse von ELEMENT OF CRIME (´Der Mann, den ich nicht fassen kann´) oder gerne Jochen Distelmeyer in epischer Darstellung zum Anklang (´Wie es war´).
Die klügsten Geschichten erzählt zumeist der weise Mensch. Michael Girke ist älter geworden und ergraut, sein Liedgut in seiner äußerlich einfachen Präsentation zur Nachhaltigkeit ausgelegt. Die Pop-Musik muss er nicht mehr, wie in den Achtzigerjahren, im Nachgang des Untergangs der Neuen Deutschen Welle, revolutionieren oder nochmals erfinden. ´Wie es war´ findet in dieser Erkenntnis Trost und seine Erfüllung.
(8 Punkte)