BLOODYWOOD, BURIED IN SMOKE
~ 17.07.2019, Das Bett, Frankfurt/M. ~
Raj Against The Machine Tour
Ein Phänomen! Da tourt eine Metalband aus New Delhi durch Europa, die noch keinen einzigen Tonträger veröffentlicht hat, von der selbst Insider in Metalkreisen noch nie gehört haben, die folkloristische Instrumente verwendet und einen Bandnamen gewählt hat, dessen Bollywood-Bezug die Zielgruppe nicht unbedingt ansprechen wird, ja und vor allem – indischer Metal??? Raj Against The Machine?? WTF?
Jedoch, unglaublich aber wahr – die sechs jungen Herren spielen in Frankreich, England und hierzulande vor ausverkauften Häusern und bei großen Festivals wie dem Dong Open Air und Wacken, und erleben dort ein begeistertes, die Tiranga schwenkendes europäisches Publikum, das sogar die Hindi-Texte der metallisierten indischen Gassenhauer mitsingen kann.
Ein modernes Metalmärchen, das ohne www und youtube unmöglich gewesen wäre, doch wer die Jungs schon einmal live erleben durfte, weiß, woher der Erfolg rührt, und deswegen habe auch ich mich heute bei tropischen Temperaturen ins Frankfurter „Bett“ aufgemacht, um Ohrenzeugin dieser Erfolgsgeschichte zu werden…
…und es ist voll, schon von weitem kann ich die Menschenmenge vor dem Eingang sehen. Was soll’s, in Indiens Klima ist es normal, dass einem der Schweiß den Körper hinabrinnt, damit fühlt sich die Sache nur noch authentischer an! Doch zuerst einmal entert die Vorband die Bühne, und hoppla, sehr schnell wird klar, wieso man gerade BURIED IN SMOKE hier als Anheizer verpflichtet hat!
Die vier Hanauer haben nicht nur ihren persönlichen Fanclub, sondern auch eine Menge extrem coole und mitreißende Mucke dabei, und gehen vor allem auf der Bühne ab wie das berühmte rote Moped! An ihr Tempo und ständig in-Bewegung-sein muss ich mich und meine Kamera erstmal gewöhnen. Allen voran der junge Herr in roter Turnhose, sorry, Bermuda und mit vielsagendem LED ZEP-Logo auf dem Bauch; Bandleader Robert an der Gitarre. Unglaublich, wie man gleichzeitig auf ganz hohem Niveau spielen, posen und ständig nur herumrennen kann! Doch seine Counterparts stehen ihm in nichts nach, da wird getanzt, gehüpft (inklusive Publikumsbeteiligung) und auf der rauchenden Toilette namens K-lo sogar funkige Basssoli hinziseliert. Ein Wahnsinn, man weiß gar nicht, wo zuerst hingucken, um einigermaßen alles mitzukriegen.
Musikalisch bewegen wir uns im alternativen Crossover à la SYSTEM OF A DOWN und FAITH NO MORE mit Anleihen aus dem progressiven Groove Metal, wobei im nächsten Moment schon wieder bluesige Classic Rock-Melodien die Ohren bezirzen. Sie selbst nennen das “Meta Metal & Every Rock”, und das kann man auch so stehen lassen. Doch WIE sich die Hanauer an allen Ecken der harten Gitarrenmusik bedienen, das ist schon einmalig! Ein Fundament aus klassischem Hardrock, funkige Rhythmen sowie progressives (oft auch dagegen-) Riffing, thrashiger und Nu-Metal-Groove und und ein Gesang, der zwischen kraftvoll rauem, fast bluesigem Singen und Sprech-Shouting wechselt, und bei all dem stets & vor allem Groove, Groove, Groove!
Glaubt ihr nicht, dass das funktioniert? Na, dann haltet mal Ausschau nach ´Tales From The Bermuda´, denn im Gegensatz zur Hauptband hat das wahnwitzige Quartett sogar schon eine Platte veröffentlicht. Und auf dieser kommen wie auch heute Abend ebenso die gefühlvollen, ruhigen Töne zur Geltung – und wie! Das geht tief unter die Haut, wenn Tony sich die Seele aus dem Leib singt und das Ganze von Roberts gefühlvollen und brillanten und wunderbar ausufernden Gitarrensoli begleitet wird…
Ihr Genrecrossover passt auf jeden Fall wie Bandshirt auf Astralleib zur indischen Fusionmucke, und wenn ich mit einem bekannten Album zusammenfassen müsste, wie dieser Abend schmeckt, wäre es SEPULTURAs Roots – diese Aufbruchsstimmung hin zu etwas völlig Neuem, bisher Ungehörtem, dieser wahnsinnige Groove, diese Wut und auch (Spiel)Freude, das ist es, was alle drei Bands verbindet! Und außerdem der Humor, der heute auch nicht zu kurz kommt, sei es Selbstironie oder einfach nur Albernheit…
Das Quartett nutzt seine gute Stunde Auftrittszeit auf jeden Fall sehr beeindruckend, mitreißend und unterhaltsam aus, und jeden Anwesenden treibt es nun an die frische Luft zum Sauerstoff tanken – denn auch draußen ist mit Abkühlen ist noch nicht viel drin…da hilft nur der Weg an die Bar, um zumindest innerlich etwas frischer zu werden 😉
Drinnen besteht die Umbaupause dann erstaunlicherweise vor allem aus dem Entfernen von Dingen statt Neuaufbau, denn außer dem Schlagzeug und einem Mikroständer mit Karans Flöten sowie den Monitorboxen ist die Bühne leer; die Musiker haben alles Notwendige in den Händen oder am Körper, was ihnen eine Menge Spielraum gibt. Der Soundcheck läuft bei BLOODYWOOD komplett übers Handy, mit dem auch erst einmal die Crowd abgelichtet werden muss, und zwar von so gut wie jedem Musiker – auch mal ne interessante Erfahrung…
Doch dann steigen sie in ihr Set ein, und es gibt auch unten vor der Bühne kein Halten mehr. Photographieren ist ab zweiter Reihe unmöglich, sofort wird getanzt und gemosht, als ob das für viele Besucher nicht der erste BLOODYWOOD-Gig wäre. Später wird sich herausstellen, dass dem genauso ist, viele kennen die Band vom Dong Open Air und mussten sie einfach nochmal im intimeren Rahmen erleben. Ob das auch gerade diejenigen sind, die die ganze Zeit mitsingen? Wahnsinn! Wie gesagt, es gibt noch keinerlei Platte, nur youtube-Videos…aber ringsum erschallen in Hindi die Songtexte von ´Machi Bhasad´und ´Endurant´, ich bin hin und weg von soviel Begeisterung! Das Publikum ist übrigens buntgemischt, alle Altersstufen incl. zweier Geschwister die trotz dickem Gehörschutz mitgrooven und gleich mal auf die Bühne gerufen und interviewt werden (der kleine Bruder traut sich jedoch nicht), und auch der Frauenanteil ist deutlich höher als bei einem Nerdpublikum-Metalkonzert. Sehr erfreulich!
Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, zum einen hat die Musik neben all ihrer überschäumenden Lebensfreude und Energie für mich auch einen nostalgischen Touch, ich fühle mich an die grungigen Mitt-90er erinnert, als RAGE AGAINST THE MACHINE ihre großen Erfolge hatten und SEPULTURA ´Roots´ herausbrachten, diese Art von Folklore-Crossover, wie er gerade wieder extrem angesagt ist, ist zumindest für mich weit weg von dem, was ich aktuell so höre, aber vielleicht finde ich es ja auch gerade deswegen so spannend? Egal, es bleibt keine Zeit für derartige Überlegungen, hier hüpft die Menge, hier tropft der Schweiß, volle Action ist angesagt, auf wie vor der Bühne! Dazu trägt auf jeden Fall vor allem auch Sarthak an der Dhol, der typischen Röhrentrommel der Bhangra-Musik aus dem Punjab, bei.
Leise und auch melancholisch wird es jedoch immer dann, wenn Bandleader Karan statt seiner Gitarre seine Flöten erklingen lässt. Ihr sehnsuchtsvoller Ton bringt eine ganz besondere Note in die Songs, von denen viele Metalversionen indischer Folklore sind. Und dann wird es wirklich ernst: Shouter Raoul bitte die Menge, sich vor der Bühne zusammenzurotten, um ein Monster zu jagen. Ein Monster, das viele von uns schon in den Klauen hatten und in die Tiefe gezogen hat…dieses Monster heißt Depression, und da sind wir bein einem weiteren großen Anliegen der Inder angekommen. Ich kenne die Band daher, dass sie vor ca. einem Jahr eine Fundraising-Aktion für Depressionspatienten ins Leben gerufen haben, nachdem das indische Gesundheitsministerium dementsprechende Ausgaben gekürzt hat (Information dazu findet ihr nach dem Song in diesem Video, siehe hier).
Die Band konnte mit den eingegangenen Spenden für einige junge Menschen Therapien finanzieren, und hat selbst eine Song über das enorm wichtige Thema geschrieben: ´Jee Veerey´, was übersetzt soviel heißt wie “Lebe, du Tapferer”, doch bevor seine ersten Flötentöne erklingen, bitten Raoul und der Sänger Jayant jeden, der schon einmal mit Depressionen zu kämpfen hatte, die Faust zu heben und sich umzusehen. Ein absoluter Gänsehautmoment, und die Zeit steht still – mindestens ein Drittel der Anwesenden, mich eingeschlossen, reckt die Faust, auch Raoul und Jayant…ich kämpfe noch einige Zeit danach, trotz der unbändigen Lebenslust, die aus der ganzen Musik spricht, mit den Tränen, und ich kann dieses Lied nicht mehr hören, ohne dass mir Schauer über den Rücken laufen…
Doch wie im echten Leben geht es weiter, und die Wucht von Songs wie ´Rang De Basanti´ oder ´Tunak Tunak´ nimmt uns gefangen, ebenso das ´Smells Like Teen Spirit´-Cover. Der immer grinsende Roshan am Bass treibt die Songs wie auch Drummer Vishesh immer weiter voran, bis schließlich mit dem Hit ´Ari Ari´das Set leider schon zu Ende ist. Aber der Song wird nochmal kräftig abgefeiert, es wird getanzt, gehüpft, die Arme geschwenkt bis wirklich nichts mehr geht und die letzten Töne erklingen.
Eine so aufgeheizte Menge lässt die Band jedoch nicht so einfach ziehen – Zugaben werden gefordert, und die Jungs fangen einfach nochmal von vorne an, ´Machi Bhasad´ erklingt zum zweiten und letzten Mal, und ein Bild mit der Menge schließt den höchst erfolgreichen Auftritt endgültig ab. Auch wenn es am Merchtisch nur Shirts und Poster gibt, der Andrang ist immens, auch als die Band dazukommt und fleißig signiert und für Selfies zur Verfügung steht. Ich bin extrem gespannt auf die ebenfalls per Crowdfunding finanzierte erste Platte, und kann jedem bis dahin nur empfehlen, den youtube-Kanal von BLOODYWOOD zu checken – euch erwartet dort mehr als eine Überraschung! Und ihr könnt dann zumindest mitreden, wenn Euch die Wacken-Heimkehrer von den völlig abgefahrenen Indern, die dort alles aufgemischt haben, erzählen werden… 😉
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