MIDNIGHT PRIEST – Aggressive Hauntings
~ 2019 (Metal On Metal Records) – Stil: Heavy Metal ~
Ein Intro auf der Orgel von fast Bachscher Erhabenheit kündet noch nicht von aggressiven Heimsuchungen, gibt dem Album aber einen Hauch von Besessenheit mit auf den Weg. ´Funeral´ als erster richtiger Headbanger wird dem aggressiven Charakter des Titels schon eher gerecht. Roher, wuchtiger Heavy Metal mit mal schrillen, mal kräftig gesungenen Vocals deutet auf eine musikalische Sozialisierung der Musiker durch 80er Metal hin. Der Song an sich ist schön straight aufgebaut, hat aber viele kleine Schnörkel an sich, gerade im Bereich der Leadgitarren. Der Refrain ist mitreißend, emotional und eingängig, kommt aber eher selten vor. Die Gitarrenfraktion spielt sich stattdessen in einen regelrechten Rausch. Chapeau! Rhythmisch geht es ebenso recht gerade und treibend vonstatten, aber auch hier liegt der Teufel im Detail. Vielleicht auch der den geneigten Headbanger aggressiv heimsuchende Dämon. ´Melissa´ trifft auf ´Painkiller´, MERCYFUL FATE klüngeln mit JUDAS PRIEST rum, wenn man denn Namedropping braucht.
Die Songs sind bei aller Melodiösität immer verspielt und abwechslungsreich aufgebaut. Und die Riffs sind in der Tat sehr bissig und treffen Dich hart. Der Gesang, den man im Mix ein wenig tiefer eingegraben hat, bohrt sich förmlich in Deine Seele. Spitze, helle Schreie sind des Sängers liebste Art der Lautäußerung, wobei er stets die richtige Tonlage trifft und sich an die Grundmelodien hält. Feine Sache das. Natürlich haben wir viele Alben gehört, die einem ähnlichen Stil zuzuordnen sind und wir haben so manche Band erlebt, die zumindest vom Image her den Metalunderdog sprichwörtlich lebt. MIDNIGHT PRIEST mit ihren Undergroundchaostouren durch Deutschland setzen dem ganzen noch einen drauf. Und das schlägt sich in ihrer Musik nieder. Die Platte mag nicht innovativ sein, aber sie ist schlichtweg vollkommen. Die verrückten Vocals, die immer wieder zwischen eruptiv und majestätisch pendeln, strahlen die Leidenschaft der Musiker für den Metal, pardon, den HEAVY METAL förmlich aus. Und die Songs, denen sie die Stimme geben, atmen das Lebensgefühl. Die Melodien des Albums sind ergreifend. Man fühlt sich gleich aufgenommen in den Kreis der Freunde, die für einen da sind. Man wird fortgerissen von den Wogen großer Emotionen und reitet auf ihrem Rücken. Und dieses Gefühl sorgt dafür, dass man sich ´Aggressive Hauntings´ wieder und wieder anhört und somit gewahr wird, wie gewaltig der Songaufbau bei jedem Stück ist.
Die Musiker an sich gehören zu den wirklich guten, professionellen Akteuren der Szene. Jede Note sitzt an ihrem Platz, die Rhythmen kommen präzise und alles ist erfüllt mit einem unheiligen Leben, mit schierer Magie. Das Album wirkt wie eine Geschichte und jeder Song, jede Melodie ist ein Kapitel. Ich, als Heavy Metal-Fanatiker, liebe Songs, die einerseits auf den Punkt kommen, aber immer genug Tiefe haben, um ihre Wirkung langsam zu entfalten. Das ist bei MIDNIGHT PRIEST gegeben. Ich mochte den 30-minütigen Vorgänger, aber das hier ist große Kunst. Weil eben diese Songs hier wirklich einprägsam sind, weil sie Dir unter die Haut gehen und das mit Zutaten, die alle nicht jünger als 35 Jahre sind. In der Tat hätte die Band mit diesem Album in den 80ern zwar keine Reichtümer angehäuft, aber zumindest Legendstatus erreicht.
Der Sound ist gut, schön druckvoll, aber sehr natürlich, dabei transparent genug, jedes Instrument klar herauszustellen. Irgendwie muss ich immer an die frühen LÄÄZ ROCKIT denken, ´No Stranger To Danger´ und ´Cities Gonna Burn´, weil Michael Coons auch gerne solch spitze Screams angebracht hat. Aber egal, kein Namedropping mehr, sondern MIDNIGHT PRIEST Worship. Wenn die Band in manchen Songs über auf- und absteigende Riffs zu furiosen Passagen tänzelt, bei denen über jubilierenden Leadgitarren der spitz schreiende Gesang förmlich explodiert, steht einem das Herz in Flammen.
Heavy Metal ist 2019 wirklich wieder auf dem Höhenflug in Sachen Kreativität und Klasse. Auch wenn manch Nörgler meint, das schiere Kopieren von alten Stilmustern wäre nicht kreativ, daraus neue Songs zu machen, die zwar alt sein könnten, aber durchaus der ewigen Geschichte erfrischende Wendungen geben, ist ein Akt von Halfords Gnaden. Einem uralten Genre neue potentielle Klassiker zuzuführen ist wirklich genial. Wenn sich dann noch eine Hymne nach der nächsten auf dem Album wiederfindet, kann man von höchster Klangkunst ausgehen. Zwangsinnovationen hingegen sind Geschmackszerstörungen. Aber davor brauchen wir uns bei MIDNIGHT PRIEST nicht fürchten. Sie zelebrieren ihren Heavy Metal frei von Trends, abseits aller Modeströmungen, ohne Reißbrettprogressivität, Morsecoderhythmen, Keyboardbombastkleister, Popmelodien und WACKEN-Kompatibilität. Sie leben das alles und sie laden uns ein, an ihrem guten Leben teilzuhaben. Und mit “Metal On Metal” haben sie dabei das richtige Label gefunden.
(9 Punkte)