BRUCE SPRINGSTEEN – Western Stars
~ 2019 (Sony Music/Columbia) – Stil: Rock ~
Bruce Springsteens neunzehntes Album ist ein nostalgischer Blick zurück in eine Vergangenheit, in der wir von einer besseren Zukunft träumten. ´Western Stars´ ist kein Aufbruch zu neuen Ufern der Musikgeschichte und keineswegs das erwartete, politisch motivierte Roadmovie. Der Boss widmet sich vielmehr in opulenter Ausführung uramerikanischen Themen, denen er jedoch zu keiner Sekunde mit einem neuen Ansatz begegnet. Ob Highway oder wüste Natur, ob in der Einsamkeit oder in der gemeinschaftlichen Isolation, am Ende findet sich Hoffnung, für den Einzelnen als auch die Heimat selbst. Glücksmomente, die im Gegensatz zum momentanen Zeitgeschehen eine Stunde lang aufflackern. Der Brown Beauty des Coverartworks genießt jedenfalls die Freiheit der Natur, die wir begehren.
Womöglich ist Bruce Springsteen des harten Kampfes überdrüssig, seine verdreckten Jeans längst verschlissen, und bereits glücklich, seine Depressionen in diesem Lebensjahrzehnt überwunden zu haben. Daher gibt sich der 69-jährige 2019 weder als Folk-Barde, Singer-/Songwriter noch als Rocker. Im Softrock und Soulrock führt es ihn an die Westküste, zu Country und Pop. Glen Campbell und Burt Bacharach sollen ihn beeindruckt haben, so dass nur noch Dionne Warwick und Jimmy Webb in dieser Aufzählung fehlen. Sanft und äußerst sentimental erklingen die neuesten Kompositionen. Streicher, Hörner, Flöten, und Glöckchen spielen im Melodienreigen eine große Rolle – und die Pedal Steel. ´Western Stars´ ist eine Lounge, eine Chill-Oase in diesen hektischen und propagandistisch brüllenden Zeiten.
Schlagen wir das Buch zu dieser neuen Boss-Musik auf, purzeln sentimentale Songs wie das in die Höhe treibende ´Hitch Hikin’´ oder das – vielen anderen gleich – von Geigen unterlegte ´The Wayfarer´ entgegen. Wer sich vertieft, steigt nicht nur beim ´Tucson Train´ und zu ´Hello Sunshine´ in den Zug der Sentimentalitäten ein. Ungünstig für Menschen, die nah am Wasser gebaut sind. Den Höhepunkten blättern wir mit ´Stones´ und dem Album-Hit ´There Goes My Miracle´ entgegen. Große Gefühle erzeugt ebenso der Sunshine-Pop von ´Sundown´. Ein abgehalfterter Held schafft es hingegen zur Lap Steel im Titelsong nur noch mit den blauen Pillen, so wie der Protagonist in ´Chasin’ Wild Horses´. Die Identifizierung mit dem einfachen Arbeiter funktioniert weithin problemlos. Den harschen Songwriter gibt Springsteen kurzfristig und überraschend in ´Somewhere North Of Nashville´. Allein das mit Akkordeon geschmückte ´Sleepy Joe’s Café´ wirkt etwas zu substanzlos. Und schon schließt sich ein weiteres Kapitel.
“To sail beyond the sunset, and the baths; of all the western stars, until I die” – heißt es im Gedicht “Ulysses” von Alfred, Lord Tennyson. Die Odyssee mit Bruce Springsteen endet vorerst, wenn sich der Tag dem Ende zuneigt und man gemeinsam dem Sonnenuntergang beiwohnen kann. Denn in den Songs von ´Western Stars´ hat jemand seinen Frieden gefunden und der Hörer darf es ihm gleichtun.