WEYES BLOOD – Titanic Rising
~ 2019 (Sub Pop) – Stil: Epic ~
Kurze Rede langer Sinn. Die 30-jährige Natalie Mering, besser bekannt unter der Künstlerbezeichnung WEYES BLOOD, wuchs in einer christlichen als auch musikalischen Familie auf. Diese Sozialisierung scheint Tür und Tor zu einer himmlischen Musik geöffnet zu haben. Bereits als 15-jährige nannte sie sich WISE BLOOD, abgeleitet von der gleichnamigen Novelle Flannery O’Connors, später noch WEYES BLUHD. 2019 veröffentlicht sie ihr viertes Album, ´Titanic Rising´, ihr bislang alles überstrahlendes Meisterwerk.
Bei der Vinyl-Edition in A- und B-Seite getrennt, klingen beide Werkhälften in einem kurzen Instrumental aus, und unterscheiden sich voneinander aufgrund einer dezent intimeren Rückseite im Gegensatz zur gefühlsmäßig überbordenden Vorderseite. Natalie Mering kreiert dabei bitter-zarte Melodien, die niemals aufdringlich wirken, aber einen irgendwann, eines nachts, selbst im Schlaf verfolgen. Ihr Gesang erscheint nicht von dieser Welt, allein in den Sechziger- und Siebzigerjahren durften solche Gesangsschönheiten weiblicher Natur aus Liedern erklingen. Der letzte männliche Erdenbewohner dieser Bedeutung nannte sich Rufus Wainwright.
Wer sich nicht von Sonnenstrahlen aus Stimme, Klavier und Geigen zu ´A Lot’s Gonna Change´ küssen lässt, lebt auf der Schattenseite der Erdkugel. Wer seine kleinen Füße bei ´Andromeda´ nicht dermaßen schnell wie Rotoren zum Drehen bekommt, ist noch nie zu solch einer Americana-Gitarre einige Zentimeter über dem Boden geflogen. Wer noch nie in der Luft die Fußsohlen aneinander geschlagen hat, sollte es mit ´Everyday´ versuchen und sich mit Chorgesang sowie Orchestrierung davontragen lassen. Wer zur Musik von John Miles oder anderer Großwesire zittern kann, wird eine Ganzkörpergänsehaut zu ´Something To Believe´ erhalten. Wer beim erzeugten Hintergrund-Flirren á la Matt Bellamy & Co. echte Erregung erfährt, ist beim Kopffilm der ´Movies´ mehr als nur am richtigen Ort, dessen Herz wird zwischendurch zerspringen. Wer das Fingerschnippen von ´Mirror Forever´ beachtet, um dem Gesang zu folgen, entdeckt den geheimen Pfad zur Himmelstüre. Wer die Jetztzeit Arm in Arm mit Natalie Mering verbringen möchte, schwebt mit ihr in ´Wild Time´ davon. Wer noch nie die Augen zu ´Picture Me Better´ geschlossen hat, in diesem Moment aber nichts anderes mehr im Leben erfahren und fühlen möchte, ist angekommen. Wer sich in gleicher Weise beim Genuss von ´Titanic Rising´ blutspritzend die Fingerkuppe beschneidet, wird dennoch nicht von WEYES BLOOD ablassen können. Nimmermehr.
(10 Punkte)
Photocredit: Brett Stanley