ZONDER / WEHRKAMP – If It’s Real
~ 2019 (Independent) – Stil: Rock ~
Was für ein wunderschönes Stück Musik! Muss man vorstellen, wer dahinter steckt?
Mark Zonder war ab 1989 über acht Alben hinweg die Rhythmusmaschine von FATES WARNING und hat sich allein damit seinen Platz in den Geschichtsbüchern erspielt. Sein Partner in Crime, der Multiinstrumentalist und Sänger Gary Wehrkamp ist der Kopf von SHADOW GALLERY, die mit ´Carved In Stone´ einen ewigen Platz in meinem Herzen haben. Seit 2014 arbeiten sie mittlerweile zusammen und erfreuen uns mit ihrem Debüt. Das ist das für mich schönste, traurigste, melancholischste Stück Musik, das mir 2019 bisher untergekommen ist.
Schon der Eröffnungssong ´I Can’t Believe´ greift ans Herz. Nicht klar, ist es eine Trennung, ist es der Tod,
I can’t believe you’re leaving now
I never thought I’d be alone
And I’m kneeling
Dark exposure
Is it over?
Or can we work it out?
so schön kann Trauer sein. Dieser Refrain nimmt Dich, packt Dich, nimmt Dein Herz, streichelt die Seele, spendet Trost. Ein Flair von FATES WARNING liegt in der Luft, Parallelen zu den ruhigeren Teilen von Alben wie ´Inside Out´. Der folgende Titelsong ist ähnlich schlicht und ruhig gelagert, wer unter der Bezeichnung Rock wildes Getrümmer und zerschlagenes Equipment erwartet, den erwartet eine riesige Enttäuschung. Ebenso enttäuscht wird, wer wildeste Prog-Orgien vermutet.
´I’d Do Anything´, hier wird mir spätestens klar, es geht darum, einen Todesfall zu verarbeiten.
I’d do anything
For one more chance
I’d do anything
To see you again
Wenn Musik Tote auferwecken könnte, dieser Song wäre sicher das geeignete Werkzeug. so flehend, selbst Hades, der Gott der Unterwelt hätte ein Einsehen.
´Last Place´ist eine echte Ballade, die auch aus der Feder von Neal Morse stammen könnte. Darauf folgt ´Two Years´, eine der aggressiveren Nummern der Scheibe. Leider muss ich gestehen, diese Aggressivität steht im krassen musikalischen Widerspruch zum übrigen Material und nimmt mich nicht ganz so mit. Dafür ´Where Are The Children Going?´. Hier wird zwar der Themenbereich Tod und Verlust verlassen, dennoch wird wieder diese wunderbar melancholische Stimmung erreicht.
I’m losing faith in humanity
‘Cus everywhere I turn
I see the greed, the fear, the selfish side
Where are our children going?
Wenn man ganz ehrlich ist, das Thema, das hier aufgegriffen wird, geht uns alle an. Und unsere Kinder und Kindeskinder. Wenn jeder Hinz und Kunz auf allen Bildschirmen verbreiten kann, was er will, ungebremster Hass, Mobbing. Und jeder kann sehen, wie viel Zeit mit Videos und sozialen Netzwerken verbracht wird. ´Too Late´ ist ebenfalls etwas rockiger, verbreitet aber einen gewisses orientalisches Flair. Dazu kommt ein wunderbar gelungener Refrain.
Ein Höhepunkt ist ´The Next Big Thing´. Akustische Gitarre und Drums leiten ein in ein Stück, das so auch auf ´Falling Into Infinity´ hätte stehen können. Gleichzeitig komplex aufgebaut, ohne die Gesamtstimmung aus den Augen zu verlieren. Andere würden sich für so ein Lied die Hände abhacken. ´It’s Not The End´, ist sicher nicht das Ende, im Gegenteil, eine der Empfehlungen, die dieses Menü zu bieten hat.
It’s okay if you’re down
It’s okay if you’re down
It’s not the end
Dieses Lied verbreitet Hoffnung und Zuversicht. Es ist Okay, Du darfst unten sein, verzweifelt, niedergeschlagen, Steh auf! Geh Deinen Weg! Genieße Dein Leben, die Liebe. Es ist nicht das Ende, es ist ein Anfang…
Das letzte Stück ist ein kleines Juwel. ´Goodnight´, nur Piano und Gesang, alle Gefühle werden noch einmal gesammelt, gebündelt, finde die Ruhe, Schlaf, Erholung, es geht weiter, weil es ist nicht das Ende. Es ist ganz einfach, zurück auf Anfang, den Weg noch einmal einschlagen.
Ganz klar ist, sehr wenig weist auf die musikalische Vergangenheit der Herren Zonder und Wehrkamp auf diesem Album hin. Aber vielleicht ist genau das die Größe von ´If It’s Real´. Für mich gehört diese CD in einem Atemzug genannt mit ARCH/MATHEOS.
(9,5 Punkte)
Mario Wolski
Schlagzeuger Mark Zonder, der zuletzt im Verbund mit ARCH/MATHEOS brillieren durfte und Jahrzehnte im Dienst von FATES WARNING stand sowie noch immer bei WARLORD aktiv ist, und Gitarrist Gary Wehrkamp, Mastermind von SHADOW GALLERY und AMARAN´S PLIGHT, kennen sich seit ewigen Zeiten. In den letzten Jahren spielten sie mit WARLORD gar vereinzelt live zusammen auf der Bühne. Zudem haben sie 19 Jahre lang weit über 80 Songs gemeinsam komponiert, vom Prog bis hin zum kommerziellen Rock. Als sie von einem Label zu einem dunklen und atmosphärisch-luftigen Album eine Anfrage erhielten, lehnten sie das Angebot natürlich nicht ab. ZONDER/WEHRKAMP waren geboren.
Unglücklicherweise beließen sie das Projekt als Gemeinschaft aus zwei Männern. Mark Zonder spielte die Drums, Gary Wehrkamp den Rest, inklusive des Gesangs, ein. Die Produktion einer echten Formation im Studio, und nicht in ihren jeweiligen Home-Studios, hätte womöglich anders geklungen. Die Kompositionen bleiben natürlich die selben. Diese sind sehr ruhig und sentimental, es ist schlichter Rock, der allein aufgrund der songwriterischen Handschrift und kompositorischen Klasse der Herrschaften nicht zur soften Fahrstuhlmusik verkommt.
´If It’s Real´ küsst atmosphärisch die Nacht, ist für den späten Genuss morgens um drei Uhr geeignet. Völlig entspannt greifen die Songs die sentimentalen Momente von SHADOW GALLERY auf (´I Can’t Believe´), denn dermaßen schunkelig gaben sich FATES WARNING nie. Das Duo bringt eine spirituelle Verlorenheit ins Spiel, die sich nicht nur solistisch im PINK FLOYD-Universum verliert (´If It’s Real´). Vereinzelt ertönen anfangs äußerst schlichte Prog Rock-Nummern auf der Spur von David Gilmour (´I’d Do Anything´).
Dass es ZONDER/WEHRKAMP tatsächlich noch ruhiger angehen, beweisen sie sogleich, Akustikgitarre und Klavier verfangen sich im puren Seventies-Sound, inklusive Anklänge an QUEEN und ein Brian May würdiges Solo (´Last Place´). Immerhin nimmt das Konzept ab der Mitte des Albums an Fahrt auf (´Two Years´), selbst wenn des Öfteren noch die Akustikgitarre ins Spiel kommt (´Where Are The Children Going´). Die Musik schmiegt sich dann sogar an den Hals von ASIA-Anhängern.
FATES WARNING-Liebhaber sollten beim Genuss von ´If It’s Real´ ein Faible für ruhige Momente des Lebens mitbringen und einen Hauch von OSI vertragen können. Freunde von SHADOW GALLERY sind sowieso wie die von MAGELLAN sehr aufgeschlossen und leidensfähig.
ZONDER/WEHRKAMP darf natürlich selbst unter Narkose nicht in einem Atemzug mit ARCH/MATHEOS genannt werden, da die beiden Scheiben nichts vereint. Ihrem anvisierten Ziel, gemeinsam den Kosmos von PINK FLOYD und PETER GABRIEL zu betreten, sind sie ein Stückchen näher gekommen.
(8 Punkte)
Michael Haifl
https://www.facebook.com/ZWBAND/