Livehaftig

ORPHANED LAND, SUBTERRANEAN MASQUERADE, SYSTEMHOUSE 33

~ 25. April 2019, ZOOM CLUB, Frankfurt am Main ~


Der Ort des Geschehens am heutigen Abend, ein in der Regel nicht so Metal-affiner Club, befindet sich mitten in der Bankenhauptstadt Frankfurt, nur zwei Minuten entfernt von der “Zeil” genannten Plastik- und Konsummeile. Dort eingetroffen, dürfen die Fans erst einmal den Aushang verdauen, dass Einlass und Showstart um etwa 40 Minuten verschoben sind. Also wird ein Kaffee geholt und noch etwas Zeit totgeschlagen. Bis endlich die Lokalität betreten werden darf, ein recht angenehmer kleiner Laden, mit für eine Großstadt recht wenig “Chi-Chi” und noch fast als human zu bezeichnenden Getränkepreisen. Nach dem holprigen Start geht es dann aber dafür mal so richtig in die Vollen.

Als erste Band darf das Quartett SYSTEMHOUSE 33 aus dem indischen Mumbai die Bühne betreten. Das tun sie mit reichlich Elan. Mich erinnern sie mit ihrem Death-Thrash-Gebräu sehr stark an SEPULTURA zu deren ´Roots´-Zeiten. Ich kann das Leben in ihrer Heimat nicht beurteilen, was ich weiß, ist mir aus Zeitung und TV bekannt, es scheint jedoch reichlich Wut in jungen Menschen auszulösen. So wütend geben sie sich, so politisch auch. Der Song ´Lift This Plague´ ist den indischen Frauen gewidmet, die sich nach Einbruch der Dunkelheit kaum noch auf die Straße trauen können wegen der allgegenwärtigen sexuellen Gewalt in ihrem Land. Eine Schweigeminute für die Opfer der Bombenanschläge zu Ostern in Sri Lanka wird eingelegt, es wird so still, dass eine fallende Stecknadel zu hören wäre. Und weiter geht es mit dem, wie ich es nenne, Halsweh-Metal. Ja, Musikern aus solchen Ländern wie Indien, Brasilien oder Costa Rica nehme ich solch wütende Musik ab. Eher noch als so manchen verwöhnten Europäern, denn denen geht es mit Sicherheit bedeutend besser.

 

Aus Israel kommt dann als erstes der Duft von Räucherstäbchen. Sänger Davidavi Dolev, schon auf der Bühne, nutzt diese, um das Publikum zu weihen und zu reinigen. Es folgt der Auftritt von SUBTERRANEAN MASQUERADE. Die wurden im Vorfeld als Prog Rock beschrieben, das trifft es aber eher unvollständig. Natürlich gibt es Prog-Anteile, aber dieser Oriental Rock bewegt sich viel weiter, bis hin zu hartem Metal. Diese Musik auf großer Bühne, mit ein paar Musikern zusätzlich, die die alten orientalischen Instrumente bedienen, das wäre ein Erlebnis. So ist hier einiges, weniges, vom Band eingespielt, das tut der Qualität des Auftritts jedoch keinen Abbruch.

Davidavi tobt wie ein Derwisch über die Bühne. Singt, klagt, schreit, growlt. Nutzt das solide instrumentale Fundament, das ihm seine Musiker bauen. Wenn ich einen Verwandten dieser Truppe nennen sollte, mir fielen, aufgrund des lebendigen Stageactings LAZULI ein. Nur Davidavi ist noch wilder, klettert, hängt an Deckenrohren, springt ins Publikum.

So nach und nach erfahren wir die deutschen Wörter, die er noch neben “Danke” kennt. “From the Bottom of my Kugelschreiber” ein neuer Song wird angesagt, vom im Sommer erscheinenden Album ´Mountain Fever´. ´Ascend´ ist, wohl nicht nur für mich, der erste Gänsehaut-Moment des Abends. Und dann werden alle animiert zu springen, “so hard, that we gonna have so many Krankenwagens out there!” Alles springt, singt, tobt. Was für ein Auftritt! Und, was für ein Publikum!

 

All das soll von den Hauptakteuren des Abends aber noch getoppt werden. Mit ´The Cave´, und verstärkt durch eine Keyboarderin, betreten Kobi, Uri und Co. die Bühne. Das ist kein schnöder Auftritt, das ist ein Siegeszug. Das Hauptaugenmerk liegt klar auf den beiden letzten Alben ´All Is One´ und vor allem ´Unsung Prophets & Dead Messiahs´, einige der Klassiker werden dennoch auch zu Gehör gebracht. Schon der zweite Song des Abends, der Titeltrack des vorletzten Studiodrehers, verursacht allgemeine Gänsehaut.

Ganz klar, Kobi bezieht Stellung in seinen Ansagen, er spricht zu den Verhältnissen im Nahen Osten, wo alle Religionen miteinander im Clinch liegen, sich bekriegen. Er spricht über Politiker, die diese Verhältnisse genau so wollen. Spricht darüber, dass wir aufstehen müssen, widerstehen. Wütende Songs, wie ´We Do Not Resist´, trauriges und melancholisches der Marke ´Brother´, fröhliche Lieder wie ´Sapari´ wechseln sich ab. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, eine emotionale Achterbahnfahrt, die die Jungs hier verursachen. Jeder Ton wird genossen, jeder Schlag am Schlagzeug gespürt. Tanzen, Singen, Lachen, Weinen… Eine Feier des Lebens. Schon vor den Zugaben sind einige Zuhörer emotional wirklich platt. Dort kommen dann auch noch Klassiker wie ´Norra El Norra´ zu Gehör.

Dieser Abend ist einfach nur Wow. Keiner der Anwesenden bereut, den Weg gemacht zu haben, und da waren weite Wege dabei. Die Rede war von Bayrischer Wald bis hin zu Zypern. Körperlich und emotional ziemlich ermattet, und während ich auf meinen Autogramme jagenden Sohn warte, habe und nutze ich die Gelegenheit, den beteiligten Musikern Danke zu sagen. SUBTERRANEAN MASQUERADE sind am Merch fast völlig ausverkauft. CDs gibt es gar keine mehr. Soviel zur Qualität ihrer Musik. Kurz vor eins am Morgen verlassen dann auch die letzten den Club. Mit leuchtenden (und zum Teil auch feuchten) Augen.

Eins steht fest, egal, woher wir kommen, Osten, Süden, Norden oder Westen, egal was wir lieben, Hard Rock oder Death Metal, egal welchen Gott wir anbeten, oder auch nicht, egal ob Veganer oder Carnivore:

ALL IS ONE

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