CELTIC FROST / TRIPTYKON & METROPOLE ORKEST with KOBRA ENSEMBLE
~ REQUIEM ~
~ 12.04.2019, Roadburn Festival, Tilburg, Niederlande ~
I. Enstehungsgeschichte
A long way…
Vor 32 Jahren erschien mit CELTIC FROSTs zweitem Longplayer ein Album, welches die damalige Metalwelt spaltete – weil extrem forderte. Es war geschmückt mit einem Ausschnitt aus Hieronymus Boschs Triptychon (!!!) “Der Garten der Lüste”, und zwar logischerweise demjenigen der rechten oberen Ecke, der die Hölle zeigt, und begann geradezu blasphemisch mit einem Cover des WALL OF VOODOO-Hits ´Mexican Radio´.
Den jungen, sich gerade selbst findenden Extremmetaller und ´Morbid Tales´-Verehrer maximal verstörend durch massiven Elektronikanteil, großartige Wave-Laszivität und schließlich auch noch Streichereinsatz und weiblichen Gesang beim avantgardistischen ´Tristesses De La Lune´ und noch viel mehr bei ´Rex Irae´, ging das Tradertape doch relativ schnell weiter an die Freundin, wenn auch noch nicht mit dem resignierten Gesichtsausdruck wie ein Jahr später sein umstrittenes Folgewerk (…welches ich ebenfalls nicht müde werde zu verteidigen).
Was für ein Glücksfall! Für mich war ´Into The Pandemonium´, seinem Namen entsprechend, das Tor zu einer vollkommen neuen musikalischen Welt, in der möglich war, absolut ALLES so neuartig wie stimmig miteinander zu verbinden; und diese Tür hat sich mir glücklicherweise seitdem nie mehr verschlossen. Im Gegensatz zu vielen anderen sich damals bereits abkehrenden Fans habe ich meine CELTIC FROST-Lieblingsplatte geradezu inhaliert und mich verloren in Stücken wie dem das gesamte Gothic-Genre vorwegnehmenden ´I Won’t Dance´ oder dem orientalisch-mystischen ´Caress Into Oblivion´, sowie allen weiteren Preziosen dieses im Wortsinn Avant Garde-Meisterwerkes.
Geschrieben wurde das Album von Tom Gabriel Warrior und Martin Eric Ain, und arrangiert zusammen mit Schlagzeuger Reed St. Mark, aufgenommen wurde es in den Hannoveraner Horus Sound Studios von ELOY-Gründer Frank Bornemann, für das Arrangement der klassischen Teile zeichneten Lothar Krist sowie Hannes Folberth, ebenfalls ELOY, verantwortlich.
Über die Benennung des zehnten Tracks ´Rex Irae (Requiem: Ouverture – Fourth Version)´ machten sich damals wohl nur die wenigsten Fans des Werkes Gedanken, obwohl die klassische Requiem-Form doch eine Folge mehrerer, ursprünglich durch die katholische Liturgie festgelegter Sätze bedeutet; Tom Warrior hat jedoch schon den ersten Teil des Dies Irae, also des Jüngsten Gerichtes, umbenannt in den Rex Irae, den „König des Zorns“. Es war also eine stark alternative Version der Totenmesse, konzentriert auf hier drei Teile, in den folgenden Veröffentlichungen zu erwarten, ja sogar eine eigene Requiem-EP war bereits geplant.
Doch wie das Leben so spielt, kam es dazu erst einmal nicht. In den für den Metal sehr turbulenten 80er Jahren gerieten auch CELTIC FROST in ein Fahrwasser, das die Band zuerst stark schlingern, am Ende jedoch komplett auseinander brechen ließ. Grund dafür war vor allem die Kontroverse mit ihrer damaligen Plattenfirma Noise Records, die den bahnbrechenden, experimentellen Ideen der Band wegen des befürchteten wirtschaftlichen Risikos nicht folgen wollte. Die Fortsetzung des Requiems lag damit bis auf weiteres auf Eis.
Es mussten 16 weitere Jahre ins Land gehen, bis durch die Wiedervereinigung der Band der dritte Teil, ´Winter (Requiem, Chapter Three: Finale)´ auf dem Album ´Monotheist´ veröffentlicht werden konnte. Es handelt sich diesmal nicht wie bei ´Rex Irae´ um eine Kooperation zwischen Band und Orchester, sondern um ein rein orchestrales Werk. In den Liner Notes zum elften Track ist die bisherige Geschichte des Requiems zu lesen, und sie beginnt sehr eindeutig mit den Worten: PRETENSION IS BUT DUST. Wir erfahren weiterhin, dass Christoph Littmann die klassische Transkription dieses Teils, und auch das Dirigat des zehnköpfigen Streicherensembles wiederum in den Horus Sound Studios übernahm. Die Anmerkungen enden folgendermaßen:
„The requiem shall be concluded once Celtic Frost record the still omitted second part.“
Tom Gabriel Fischer, December 2005
Daran war nach dem erneuten und diesmal endgültigen Ende der Band im April 2008 jedoch nicht mehr zu denken. Ohne CELTIC FROST kein Requiem. Und der viel zu frühe Tod Martin Eric Ains im Oktober 2017 schien dann endgültig zu untermauern, dass dieses Werk ein unvollendetes bleiben würde, auch wenn Tom G. Warrior immer betont hatte, dass sämtliche drei Teile bereits seit Beginn der ersten Kompositionsarbeit in seinem Kopf komplett vorhanden wären.
Nur – das wusste auch Walter Hoeijmakers, Initiator und künstlerischer Kopf des legendären Roadburn Festivals, das alljährlich in Tilburg in den Niederlanden stattfindet. Es ist außer für sein ausgewähltes Programm in den Sparten Doom-/Sludge-/Psychedelic- und Extremmetal inklusive sämtlicher Post-… Genres auch für großartige Mitschnitte von Konzertauftritten teilnehmender Bands bekannt. Walter schlug Tom daher im Frühjahr 2018 vor, das noch zu vollendende Requiem mit seiner aktuellen Band TRIPTYKON und einem kompletten Orchester beim Roadburn 2019 aufzuführen, und Tom sagte zu.
Zur aktuellen Arbeit an einem neuen TRIPTYKON-Album, seiner neu gegründeten Band NIRYTH sowie der ebenfalls neuen HELLHAMMER-Tribute-Band TRIUMPH OF DEATH kam damit noch die Vollendung des zweiten und grössten Teils des Requiems hinzu. Toms Partner für das Orchesterarrangement, also die Transkription seiner Kompositionen in den Notensatz der verschiedenen Orchestermusiker und auch die Zusammenstellung des Orchesters selbst uvm., wurde hierfür kein geringerer als Morean, Sänger von DARK FORTRESS und ALKALOID und im bürgerlichen Leben Florian Magnus Maier, studierter Komponist und Arrangeur, der schon für das DEVIN TOWNSEND PROJECT die Orchestration der Alben ´Deconstruction´ und ´Z²´ übernommen hatte. Es könnte wohl keinen grösseren Glücksfall als einen klassischen Komponisten und Extremmetaller in Personalunion als Musikdirektor auf Seiten des Orchesters für dieses Vorhaben geben! Sein Pendant auf Seiten der Band dagegen war sein DARK FORTRESS-Bandkollege Victor Santura, TRIPTYKON-Gitarrist und Produzent; es arbeitete also ein Team zusammen, das sich bereits lange Jahre kennt. Trotzdem brauchte es von Tom Warriors Seite acht Versionen, bis er mit dem zweiten Teil komplett zufrieden war. Und damit fing die Arbeit für Morean, die Band und die Orchestermusiker sowie alle anderen Beteiligten erst an…
II. Uraufführung
…finally finds its completion
Als im Oktober 2018 die ersten Ankündigungen zu lesen waren, dass das Requiem beim Roadburn 2019 uraufgeführt werden sollte, gab es für mich keinerlei andere Überlegung, als mir umgehend Tickets hierfür zu sichern. Und am Freitag, den 20.04.2019, dem zweiten Roadburn-Tag, wache ich morgens bereits mit einer Nervosität und kribbelnden Aufregung auf, als ob ich später selbst auf der Bühne stehen müsste. Doch diese latente Anspannung ist bis zum Nachmittag überall unter den Anwesenden fast greifbar – jeder weiß, dass uns heute etwas ganz Einzigartiges bevorsteht, wurde doch nicht nur der brandneue Mittelteil, sondern auch die beiden bekannten Stücke noch niemals live gespielt.
Walter Hoeijmakers hat 2018 damit begonnen, exklusive, einmalige Aufführungen, darunter vor allem Kollaborationen, bei Bands und Künstlern als “Commissioned Music” in Auftrag zu geben, die dann natürlich zu den absoluten Höhepunkten des Festivals zählen. In diesem Jahr hat das Requiem sicherlich das Interesse der meisten Besucher auf sich vereinigen können. Seine Realisation bedeutet jedoch auch enorme Kosten, wobei das Festival hier glücklicherweise zusätzlich von der Stadt Tilburg und dem Kulturförderfonds Brabant C unterstützt wird.
Ein komplettes Symphonieorchester mit integrierter Big Band wie die mehrfachen Grammygewinner des niederländischen METROPOL ORKEST, eines der weltweit bedeutendsten Pop- und Jazz-Orchester, bekommt man nicht ständig als Partner in solch einer Unternehmung an die Seite gestellt; heute wird es aus dreißig Köpfen bestehen. Desweiteren übernimmt das KOBRA ENSEMBLE die weiblichen Chorstimmen, und für die extrem wichtigen weiblichen Soloparts konnte mit Safa Heraghi die perfekte Besetzung gefunden werden. Über all dem wacht als Dirigent Jukka Iisakkila, und technisch möglich gemacht wird das Unternehmen durch die gemeinsame Hightech-Anstrengung von TRIPTYKON-Crew und METROPOL ORKEST- sowie Roadburn-Technikern.
Ein großes Werk, an dem viele beteiligt sind – doch einer fehlt mehr als schmerzlich, und ist doch ständig spürbar dabei: Martin Eric Ain. Es ist so, als ob er persönlich in Saal präsent wäre, und dies wird von sehr vielen genau so wahrgenommen…und ist tröstlich.
Doch mit den Gedanken an ihn nun endlich an den Ort des Geschehens! Schon mehr als eine Stunde vor Beginn ist es kaum noch möglich, einen Platz in den ersten Reihen der 3.000 Personen fassenden Main Stage des Poppodium 013 zu erwischen (mein Dank für meinen strategisch so günstigen geht an meine persönliche Entourage Denis & John an diesem denkwürdigen Tag!), denn viele sind extra für das Requiem angereist.
Als alles vorbereitet ist, schließt sich ein schwarzer Vorhang vor der Bühne, und ab diesem Moment könnte man für mehrere Minuten in einem riesigen Konzertsaal inklusive Emporen, knallvoll mit Metalheads aus aller Welt, eine Stecknadel fallen hören! Die Spannung ist fast elektrisch, und die wenigsten werden nun keine Gänsehaut spüren. Fast erlösend erschallen nun tatsächlich die ersten fanfarenartigen Klänge des bekannten ersten Teils, und es geht nach 32 langen Jahren nun endlich los!
REX IRAE
(Requiem, Chapter One: Overture – Fourth Incarnation)
Und was für eine Energie hier entfesselt wird! Zwar ist vor allem bei der Band eine gewisse Nervosität nicht zu übersehen, Vanja und Tom stehen ganz nahe beieinander an der linken Seite dieser so riesigen wie heute auch vollgestellten Bühne, doch nach jedem gelungenen Abschnitt des sehr komplexen Stückes weicht die Anspannung der Freude am Vortrag. Toms im Original lasziv-manierierter Sprechgesang (wie wird er später im Interview so treffend bemerken – die Achtziger waren auch für CELTIC FROST die Hochzeit des Testosterons…) wird fester, und auch der durch die Distanz nur selten mögliche Augenkontakt beim Dialog mit Safa zeigt immer wieder die Freude über das funktionierende Miteinander an. Victor dagegen spricht gelegentlich nach gelungenen Passagen mit sich selbst, was mich noch mehr anrührt – wobei ich eigentlich die gesamte Zeit nur gegen die ständig aufsteigenden Tränen anphotographiere. Die Stimmung im gesamten Raum ist nur noch pure Emotion…
Doch das Uhrwerk, dass allen Beteiligten wie magnetisch die Richtung weist, ist der unglaublich präzise agierende Hannes Grossmann! Direkt vor dem Dirigenten positioniert, hält er Orchester und Band zusammen mit seinem absolut perfekten Rhythmus und emotional wunderbar abgestimmten Spiel. Wer immer noch glaubt, dass er als „progressiver Techniker“ nicht zu TRIPTYKON passe, soll sich einfach nur diesen Auftritt anschauen. Seine Rolle wird sogar noch wichtiger, als es ganz allmählich und ohne jeglichen Bruch übergeht in den bislang unbekannten zweiten Teil…
GRAVE ETERNAL
(Requiem, Chapter Two: Transition – Eighth Incarnation)
…der zuerst unglaublich atmosphärisch beginnt. Das ist Musik, mit der sich jeder sofort verbinden kann, das Publikum schwingt mit in diesem völlig entspannten Herzschlag, genießt so etwas abgefahrenes wie ein sphärisches Posaunensolo, nur um komplett überrascht zu werden, als Victor ein veritables David Gilmour-Solo hinzaubert, das Götz Kühnemund im anschließenden Gespräch zur Feststellung „HELLHAMMER meets PINK FLOYD“ bewegen wird.
Der fast sinnliche Beginn wird abgelöst durch einen noch ruhigeren, ja hypnotischen, räumlich sehr weiten, rein perkussiven Teil, der mit seiner extremen Bass- und Rhythmuslastigkeit wie eine Verneigung vor den beiden Musikern, die CELTIC FROST in der Hochphase mitgeprägt haben, erscheint: hat Reed St. Mark für die Aufnahmen zu Teil I die Pauken noch selbst gespielt, bekommt Eddy Koopman, der Perkussionist des METROPOL ORKEST, nun zusammen mit Hannes, neben dessen Drumset er direkt vor dem Dirigent positioniert ist, richtig viel zu tun, und auch Vanja ist mit der starken Bassbetonung des neuen Parts schwer beschäftigt. Es ist eine wahre Freude, sie breitbeinig, gut geerdet wie immer, doch diesmal im langen schwarzen Kleid headbangen zu sehen.
Doch ich möchte nicht zuviel vorwegnehmen, schließlich wird das Requiem gegen Jahresende als Tonträger sowie audiovisuelles Spektakel veröffentlicht – und anders als ein solches ist auch dieser entspannte wie vibrierende, teilweise extrem reduzierte und generell sehr überraschende zweite Teil nicht zu bezeichnen. Alle Musiker und Sänger sind mittlerweile gelöst und mit offensichtlicher Freude dabei, und es ist fast schmerzlich, als die Band schließlich die Bühne ver- und sie komplett dem Orchester überlässt; und auch Victors Versuch, das Publikum davon abzuhalten, kann den nun einsetzenden Applaus nicht verhindern…
WINTER
(Requiem, Chapter Three: Finale – Ninth Incarnation)
…der sich jedoch sofort wieder auflöst in den tief ergreifenden Klängen von ´Winter´. Ja, es ist schließlich doch eine Totenmesse, und nichts könnte die Vergänglichkeit, Sinnentleertheit und Tragik allen Lebens besser ausdrücken als diese tief berührenden, tiefen Cello-, Bass-, Bratschen- und auch Violinenklänge. Ein Moment der Sammlung, des Abschieds und der tiefen Trauer bringt eine spürbare Abkühlung in den Saal, den Hauch des allgegenwärtigen Todes. Martin Stricker a.k.a. Martin Eric Ain war heute niemals gegenwärtiger als in diesen fünf Minuten, und wer nun ohne Tränen in den Augen hier steht, muss unter einer Persönlichkeitsstörung leiden. Als auch der letzte Bogenstrich verklungen ist, dauert es sehr lange, bis ein Applaus aufbrandet, zu sehr sind wir alle noch gefangen im gerade Erlebten. Und an Wortbeiträge zum Geschehen ist danach erst einmal gar nicht zu denken, überall sieht man kopfschüttelnd auf den Boden oder in die Leere starrende Menschen, die noch für eine ganze Weile nur mit sich selbst und dieser einmaligen Erfahrung beschäftigt sind…und dankbar.
Aus dieser Versunkenheit holt uns nur die so typisch finnisch-lakonisch vom Bühnenrand herunter gestellte Frage des Dirigenten Jukka Iisakkila heraus: „Was it okay?“ – „Well, far more than that. It was a live changing experience!“.
R E Q U I E M
Noch nie hat mich eine Aufführung, sei es Oper, Neuentdeckung oder Lieblingsband, dermaßen berührt. Natürlich gibt es schon etliche Handymitschnitte im Netz zu finden, ich kann jedoch nur jeden warnen: schaut sie Euch, wenn überhaupt, nicht in der Öffentlichkeit wie z.B. der S-Bahn an, und generell nur mit einem generösen Vorrat an bereitliegenden Taschentüchern! Ich weine jedes verdammte Mal erneut wie ein Schlosshund, was auch das Verfassen dieser Zeilen nicht gerade einfacher macht. Und es fällt mir immer wieder schwer zu entscheiden, ob ich mich einfach nur komplett fallen lasse in diese großen Emotionen, oder mich auf den musikalischen Genuss fokussiere. Wir sprechen uns zum Jahresende noch einmal, wenn auch ihr endlich nachvollziehen könnt, was am Nachmittag des 12. April 2019 im Poppodium 013 in Tilburg geschah…
3. Conversation
Interview zwischen Götz K. und Tom G. Warrior
Im Rahmenprogramm des Roadburn Festivals war wenige Stunden nach der Uraufführung eine Konversation als Mischung aus Interview und Podiumsdiskussion angesetzt, zu welcher sich Tom G. Warrior nur unter der Bedingung bereiterklärt hatte, dass sein langjähriger Freund Götz Kühnemund, seit Sommer 2014 Herausgeber des Deaf Forever, der Moderator sei. Und plötzlich erinnere ich mich an den Moment beim Rock Hard Festival 2014 zurück, TRIPTYKON waren Freitagsheadliner und H.R. Gigers Tod keine drei Wochen her, als Tom ankündigte, den Gig einem sehr guten Freund der Band widmen zu wollen. Während die Hälfte der ersten Reihen „Giger!!!!!“ schreit, kommt von Tom: „Götz Kühnemund…“. Das zum Vertrauensverhältnis dieser beiden Metalpioniere.
Beide hatten jedoch durch Toms extreme Mehrfachbelastung seit vielen Monaten keinen Kontakt mehr, und so war dies auch gleich erste Thema des sehr intimen Gespräches, das uns einen lockeren, gut aufgelegten, aber dennoch wie immer sehr nachdenklichen bis extrem desillusionierten Tom Warrior präsentierte, dem jedoch vor allem überdeutlich gerade eine zentnerschwere Last von den Schultern gefallen war.
Er hat mehr als gesamte letzte Jahr mit der Komposition des zweiten Requiem-Teils verbracht, von denen es acht Versionen brauchte, bis er sie aus der Hand und an Morean zur Weiterbearbeitung weitergeben konnte. Gerade in den letzten „höllischen“ Wochen hatte auch sein Privatleben merklich unter den Anforderungen der Requiem-Vorbereitungen leiden müssen, und so sind auch keine weiteren Aufführungen geplant.
Tom hob dabei hervor, dass es für eine Metalband wie TRIPTYKON gar nicht machbar sei, auf sich allein gestellt mit einem westeuropäischen Orchester bei solch einem Projekt zu arbeiten, allein weil der immense logistische Aufwand finanziell einfach nicht zu stemmen ist – dies ist auch der Grund dafür, wieso die meisten anderen Bands auf wesentlich kostengünstigere osteuropäische Symphonieorchester ausweichen, die jedoch wiederum den Anspruch Toms und Moreans, nicht einfach nur Tonfolgen der Songs nachzuspielen, sondern eigene Rollen im musikalischen Geschehen auszufüllen, nicht entsprechen könnten. Das in jeglicher modernen Musik beheimatete METROPOL ORKEST mit seinen selbst als Solisten oder sogar Komponisten tätigen Mitgliedern dagegen war hier ein absoluter Glücksfall für diese mehr als gelungene Kooperation, und Tom ist Walter und allen Unterstützern daher mehr als dankbar.
Um all diesen immensen Aufwand für die Ewigkeit festzuhalten, wurden nicht nur die Proben, sondern auch der Soundcheck und natürlich die heutige Aufführung in Bild und Ton konserviert. Die die Band seit langem begleitende Photographin Ester Segarra hat all dies photographisch festgehalten, und ich bin mehr als gespannt auf ihre Bilder! Noch mehr natürlich auf das Requiem-Album, das in verschiedenen aufwendigen Ausführung inklusive diverser Poster zum Jahresende erscheinen wird. Das kommende TRIPTYKON-Album musste dagegen nach 2020 verschoben werden.
„HELLHAMMER meets PINK FLOYD“, das war wie bereits erwähnt Götz’ Fazit dazu, Victor noch nie solch ein schwebend-filigranes Solo wie heute spielen gehört zu haben. Genau diese Plattform wollte Tom ihm jedoch hiermit bieten, da er zu so viel mehr fähig sei als dem, was er bei TRIPTYKON an seinem Instrument zeigen kann. Seine Rolle als Musikdirektor auf Seiten der Band sei für das Gelingen des Requiems genauso wichtig gewesen, wie die des neuen Drummers Hannes Grossmann nicht zu unterschätzen sei, und exakt dafür war Tom auch augenzwinkernd bereit, zum ersten mal einen Kurzhaarigen in die Band aufzunehmen, um seine extrem Bass- und Rhythmuslastigen Kompositionen („Rhythmus ist für mich ALLES!“) auf höchstem Niveau verwirklichen zu können.
Er betonte weiterhin, dass es, obwohl er diverse Komponisten sehr schätze, kein Einfluss klassischer Musik sei, der im Requiem zutage tritt, sondern dass er das Instrumentarium eines Orchesters dafür genutzt habe, um Gefühle eins zu eins in Musik übersetzen zu können. Auf die Frage nach dem verwendeten Artwork geriet er über die Arbeit mit Daniele Valeriani ins Schwärmen, dessen Gemälde “Blood Angel” als Backdrop während des zweiten Teils verwendet wurde. Zugleich sei die Tatsache, für den Teil I ein Hieronymus Bosch-Bild („Der Giger des 15. Jahrhunderts“) gerade in dessen Heimat verwenden zu dürfen, eine weitere große Ehre gewesen.
Götz stellte aus seiner Sicht fest, was für ein gutes Zeichen es sei, dass keine einzige Person die Main Stage während der gesamten Aufführung verlassen hat – und auch der knallvolle Raum jetzt ein paar Stunden nach der Aufführung macht das enorme Interesse am Requiem, aber natürlich auch an Toms Person deutlich. Und zu dessen Geschichte und der seiner diversen Bands gab es noch viel Spannendes zu hören. Tom hob vor allem hervor, dass er bei der Arbeit am Requiem immens durch Martin („Celtic Frost could only exist with the two of us“) inspiriert wurde, an den er heute auch zu jeglichem Zeitpunkt dachte. Das Requiem-Album wird Martin Eric Ain sowie Hans Rudolf Giger gewidmet sein; Giger, dem Oscargewinner und vor allem Freund, der schon die ganz junge Band mit seinen Illustrationen für ihre Artworks unterstützte, eine Band von Jugendlichen, für die der HELLHAMMER-Proberaum einen Zufluchtsort aus ihren problematischen Familienverhältnissen darstellte. Und die es auch später nicht einfacher hatte in ihrer Schweizer Heimat, zuerst überall nur niedergemacht und nicht ernst genommen wurde; Tom sagt, dass er seit seiner Kindheit kämpfe, und der Name „Warrior“ nicht von ungefähr komme…und äußert noch viele weitere, manchmal erschreckend tiefsinnige Gedanken über unsere heutige Welt, die Menschheit und den fraglichen Sinn des Lebens.
Mit einem Schwenk zurück in die auch für CELTIC FROST turbulenten 80er („We completely lost the plot, and believed in our own hype. Grunge was deserved at that time!”) geht es über zu Fragen des Publikums, und eine gefiel mir hier besonders gut. Gefragt nach dem Soundtrack seines Lebens, also Platten, die er sich immer wieder anhören könnte, antwortet Tom mit „Early SISTERS OF MERCY!“, und dies zeigt genau wie das heute erlebte Meisterwerk, wie komplett offen Tom sämtliche Einflüsse in sich aufsaugt und Neues daraus entstehen lässt.
Die Veranstaltung dauert inklusive der langen Schlange an Autogramm- und Selfiejägern, aber auch Wegbegleitern, die es sich nicht nehmen ließen, heute dabei zu sein, fast doppelt so lang wie geplant, doch hier geht heute jeder beseelt und glücklich heraus…
Das Requiem, Thomas Gabriel Fischers persönliches Triptychon, ist vollendet und uraufgeführt. Ein sehr lange offen gehaltener Kreis hat sich endlich geschlossen, doch die starke Energie, die die ganze lange Zeit in ihm gebunden war, beginnt nun erst ihren Weg in die Welt hinaus zu finden. Lasst euch von ihr berühren – und für immer verändern.
Alle Bilder, solange nicht anderweitig gekennzeichnet: U. Violet.
Update Mai 2020: hier geht es zum Review der Aufnahme!
Mehr zu TRIPTYKON findet ihr hier.